[Regensburg] NPD-„Flaggschiff" säuft ab

Ronny-Zasowk
Erstveröffentlicht: 
02.08.2012

Einen Schlägertrupp im Kofferraum, Schirme mit Stahlspitze als Bewaffnung: Die NPD kam am Mittwoch mit ihrem „Flaggschiff“ nach Regensburg und stieß auf breiten und friedlichen Protest. Die Nazis zogen nach diversen Blockaden gefrustet ab. Gegen einen wird wegen Körperverletzung ermittelt. Er hat einem Mann mit der Faust ins Gesicht geschlagen.

 

Für manchen Landtagsabgeordneten mag Brigitte Schlee nicht geeignet sein, um eine Führungsposition in der CSU einzunehmen. Aber die Vorsitzende der Regensburger Frauenunion ist tatsächlich die einzige (neben Erich Tahedl) eine der wenigen CSU-Stadträtinnen und Stadträte, die man am Mittwoch sichten kann, als die Regensburger sich zum Protest gegen den NPD-Truck rüsten, der im Rahmen seiner „Deutschland-Tour“ gegen elf in der Altstadt erwartet wird.

 

Schlee steht am Absperrgitter am Kassiansplatz und sagt: „Es ist unglaublich, dass man diese Leute mitten in die Altstadt lässt.“ Der Kassinansplatz – es ist der einzige Platz, der noch übrig geblieben ist für den Neonazi-Tross. Verschiedenste Gruppen – von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes bis hin zu den Julis und Piraten – haben Kundgebungen angemeldet, um die NPD auszusperren, aber auch, um herauszufinden, wo sich die Nazi-Partei nun mit ihren Lautsprechern und Parolen positionieren will. Auf dem Haidplatz findet – bereits eine Stunde vor dem geplanten Eintreffen des „Flaggschiffs“ (die NPD über ihren Lastwagen französischen Fabrikats) – die zentrale Gegenkundgebung des DGB statt.

 

Die Bürgermeister demonstrieren: „Als Privatpersonen“

Im Gegensatz zu früheren Demonstrationen ist die komplette Stadtspitze auf dem Haidplatz versammelt. Oberbürgermeister Hans Schaidinger (CSU), zweiter Bürgermeister Gerhard Weber (CSU) und dritter Bürgermeister Joachim Wolbergs (SPD) gesellen sich zu den Demonstranten. Als Privatpersonen freilich – darauf legt vor allem Schaidinger wert. „Die Stadt kann nicht demonstrieren“. Ein Abgesandter der Stadt sei auch nicht da. Aber er als Hans Schaidinger könne sehr wohl gegen Rechts demonstrieren, und sein Beruf ist eben Oberbürgermeister. Ähnliches war von Wolbergs zu hören. Auch Rechtsreferent Wolfgang Schörnig war auf der Gegen-Demo – selbstverständlich auch rein privat, „das erkennt man daran, dass ich keine Krawatte trage. Zu meinen Dienstaufgaben gehört es sicherlich nicht zu demonstrieren, aber als Privatmann möchte ich dagegenstehen“.

 

Er wolle zeigen, wofür diese Stadt stehe, so Schaidinger. „Offenheit, Toleranz, Miteinander, nicht Ausgrenzung.“ Warum er ausgerechnet an dieser Demonstration teilnehme, wo er doch sonst auch nicht an der Speerspitze des Protests stehe? „Mir ist es wichtiger, einen Standpunkt zu haben, als ihn wie eine Monstranz vor sich herzutragen. Außerdem gehe ich nicht auf eine Demonstration mit Organisationen, die im Verfassungsschutzbericht stehen“. Und wer im Bericht des Verfassungsschutzes stehe, stehe da auch zu Recht, sagt der Oberbürgermeister, vielleicht auch nur der Privatmann Hans Schaidinger. Man weiß nicht, was angesichts der formaljuristischen Argumentation der Stadtspitze nun korrekt ist.

 

Formaljuristische Haarspaltereien

Formaljuristerei herrscht nämlich auch und vor allem im Regensburger Ordnungsamt. Das hatte im Vorfeld mit Verweis auf „Neutralität“ keinerlei Informationen zum Aufmarsch der NPD herausgegeben. Im Gegensatz zu vielen anderen Städten. Auch die – bei anderen Themen durchaus nicht ungewöhnlichen – undichte Stellen in der Stadtverwaltung gab es dieses Mal nicht. Wenn die NPD in die Stadt kommt, wird dies mittlerweile traditionell als geheime Staatssache behandelt. Sich gegen Nazis zu positionieren ist man unter Ägide von Amtsleiter Alfred Santfort – der weilte am Mittwoch bereits in Urlaub – nicht gewohnt. Und diese Linie ist vom Oberbürgermeister durchaus gedeckt: „Die Verwaltung muss gesetzmäßig handeln, auch wenn das manche nicht verstehen“, sagt er.


Betrachtet man die Breite des Widerstands am Mittwoch, ist das städtische Ordnungsamt mit seiner „Neutralität“ ein Minderheit: Menschen, quer durch alle Alters-, Berufs- und Parteistrukturen warten auf den Lastwagen und wollen ihn am Erreichen des Kundgebungsorts hindern. Vom Haidplatz kommen sie (die Bürgermeister sind da schon wieder weg) schnurstracks zum – mit Absperrgittern und Polizisten gesicherten – Kassiansplatz, umringen ihn von allen Seiten. Warten. Was fehlt ist der mit Neonazis beladene LKW. Und dort, am Kassiansplatz, wo Obsthändler Haritun Sarik (übrigens CSU-Stadtrat) Aprikosen an die Demonstranten verteilt und Buchhändler Ulrich Dombrowski Stühle vors Geschäft gestellt hat, damit sich die Presse mal hinsetzen kann, kommt dieser LKW am Mittwoch auch nicht an.

 

Polizei von NPD-Route überrascht?

Völlig überraschend scheint die Einsatzkräfte die Nachricht zu erreichen, dass die NPD es sich auf dem Bismarckplatz gemütlich gemacht hat. Ohne Not. Blockiert wird dort nicht. Es ist eigentlich so gut wie niemand dort. Und angemeldet hat die NPD am Bismarckplatz gar nichts. „Wir waren ständig mit den Anmeldern im Truck in Kontakt“, sagt ein Polizeisprecher auf Nachfrage. „Aber sie haben uns nie mitgeteilt, dass sie auf den Bismarckplatz fahren.“


Dort steht – etwa gegen 11.30 Uhr – ein verwaister LKW, befleckt von Eierwürfen zurückliegender Besuche in anderen Städten, mit Sprüngen in der Windschutzscheibe. Begleitet wird der Nazi-Transporter von einem blauen Kleinbus des Münchner Rassisten Karl Richter (er sitzt für die „BI Ausländerstopp“ im Stadtrat) und zwei Zivilfahrzeugen, besetzt mit Staatsschutzpolizisten, die offenbar besseres zu tun haben, als die Einsatzkräfte vor Ort zu informieren. Man ist ja schon länger mit dem NPD-Truck unterwegs. Da kennt man sich halt gut.

 

Ein paar bullige Typen, die sich allesamt mit Regenschirmen mit Metallspitze bewaffnet haben (übrigens wird das bis zum Schluss des Aufmarschs von der Polizei geduldet) stehen erwartungsvoll daneben. Unter ihnen Heidrich Klenhardt, NPD-Vorsitzender in Amberg, einer Stadt, in der regelmäßige Neonazi-Konzerte und NPD-Treffen stattfinden und deren Ignoranz gegenüber Rechtsextremen die von Regensburg um ein gehöriges Maß überschreitet. Der dortige OB Dandorfer bestreitet schlicht deren Existenz und hat dabei auch den lokalen Polizeichef auf seiner Seite. Doch das nur am Rande.

Jürgen Huber und Jürgen Mistol von den Grünen scheinen irgendwie mitbekommen zu haben, dass der NPD-Truck da vor dem Stadttheater steht. Sie sind schon ein Weilchen vor den anderen Gegendemonstranten da. Als die mit ihren Fahnen, Trillerpfeifen und Transparenten eintreffen, ist von den Polizeikräften, die bereits seit dem frühen Morgen in Regensburg in großer Zahl vorgefahren sind, noch ein gutes Weilchen nichts zu sehen. Dass nichts passiert, ist den friedlichen Gegendemonstranten zu verdanken, die sich von den Schubsereien und Beschimpfungen der NPD-Ordner nicht beeindrucken lassen. Am Ende des Tages läuft gegen einen dieser Ordner eine Anzeige wegen Körperverletzung. Er hat einem jungen Mann mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Verwunderlich ist das nicht wirklich. Auf dem Bismarckplatz liegen die Nerven der Nazis blank.

 

Dicht umringt von Gegendemonstranten, suchen sie an ihrem LKW Zuflucht, abgeschirmt von den schließlich doch noch eintreffenden Bereitschafts- und schwarz uniformierten USK-Einheiten. Die halten sich – nach anfänglichen verdeckten Schlägen gegen einige Demonstranten – zurück, agieren deeskalierend. Hinter der Polizeikette fingert Heidrich Klenhardt immer wieder an seiner Kamera herum, schießt Porträtfotos von Demonstranten. Ein mit Kamera bewaffneter NPDler filmt in die Menge. Manchmal wagt sich der eine oder andere LKW-Mitreisende ganz nah an die Polizeikette, um den Gegendemonstranten irgendwelche Beschimpfungen entgegenzuschleudern. Sie gehen in Pfiffen und Rufen unter. Zu Wort kommt der am Bismarckplatz eingekesselte Tross nicht.

 

Nach etwa einer Stunde drängelt das USK Gegendemonstranten (und auch einige überraschte Beamte der Bereitschaftspolizei) zur Seite. Der LKW verlässt – unter Pfiffen und Jubelrufen – den Bismarckplatz Richtung Bahnhof. Alles vorbei? Von wegen.

 

Prügeltrupp im Kofferraum
In aggressivem Ton hat der ebenfalls im LKW mitreisende stellvertretende Brandenburger NPD-Chef Ronny Zasowk den polizeilichen Einsatzleiter Wolfgang Mache aufgefordert, den Kundgebungsort durchzusetzen, egal wie. Zum Kassiansplatz – ohne wenn und aber. Der Frust sitzt tief. Auf der Fahrt dorthin springen zwei Mal NPDler aus dem Begleitbus und versuchen, protestierende Passanten mit ihren Regenschirmen anzugreifen.
Eier, Tomaten, Luftschlangen

Am Neupfarrplatz, direkt vor dem Kaufhof, geht schließlich nichts mehr. Wolfgang Mache entscheidet: Die geplante Kundgebung der NPD findet hier statt, direkt neben einigen Verkaufsständen, die damit Teil des NPD-Areals werden. Während die Neonazis ihre Lautsprecher aufbauen fliegen ein paar faule Tomaten, Eier und immer wieder Luftschlangen. Als – versteckt hinter dem LKW – Richter und Zasowk (den die Gegendemonstranten immer wieder als „fette Sau“ titulieren) reden und dazwischen Rechtsrock aus den Lautsprechern kommt, hört man davon auch bei konzentriertem Zuhören so gut wie nichts. Die Gegendemo ist lauter. Wie es der Zufall so will, beginnen just mit dem Einsetzen der Reden die Glocken der Neupfarrkirche zu läuten.

 

Wolfgang Mache wird unterdessen von einigen Studenten und Stadträten bearbeitet. Wie es dazu kommen könne, dass er die Kundgebung nun plötzlich am Neupfarrplatz genehmige, fragt etwa Gertrud Maltz-Schwarzfischer (SPD) erbost. Richard Spieß (Linke) fordert, die Versammlung der NPD aufzulösen. Alles ergebnislos. Anrufe beim Ordnungsamt bringen keine Auskünfte. Man erklärt sich für nicht zuständig. Schiebt alles der Polizei zu.

 

Sitzblockade: „Aufstehen ist keine Option“

Eine Stunde dauern die Ansprachen, die sich von Ferne wie alte Schallplatten mit Adolf-Hitler-Reden anhören. Vom Tonfall, ansonsten versteht man allenfalls Wortfetzen. Schließlich scheinen die Neonazis fertig zu sein. Zumindest werden die Lautsprecher abgebaut. Und nun wollen sie weiter. Um 16 Uhr haben sie sich mit ihrem „Flaggschiff“ in Nürnberg angekündigt. Doch das Verlassen des Neupfarrplatzes gestaltet sich schwierig. Etwa 50 Menschen lassen sich zu einer Sitzblockade nieder, unter ihnen Gewerkschaftssekretäre, Mitglieder der Piratenpartei, zwei, drei bekannte Regensburger Geschäftsleute, eine junge Frau und ein älterer Mann, beide mit Krücken.

 

Mehrere Lautsprecherdurchsagen der Polizei, die zunächst mit einem „Liebe Gegendemonstranten“ eingeleitet werden, später von Worten wie „Straftaten“, „Nötigung“ und „unmittelbarem Zwang“ durchsetzt sind, bewegen niemanden, aufzustehen. Auch Wolfgang Mache, der immer wieder in begütigendem Ton auf die Blockierer einredet, bewirkt nichts. „Aufstehen ist keine Option, Herr Mache“, ruft ihm einer zu. „Die Nazis wollen nach Nürnberg und dort hat die NSU drei Menschen ermordet. Wir bleiben sitzen.“ Währenddessen muss sich der Einsatzleiter immer wieder Diskussionen mit anderen Demonstranten stellen (was er übrigens auch anstandslos tut).

 

Das USK blieb ungewohnt friedlich

Schließlich – nach einer halben Stunde Verhandlung – beginnt das USK den Platz zu räumen. Das geschieht – betrachtet man die gewalttätigen Eskalationen, mit der diese Polizeitruppe immer wieder Schlagzeilen macht – erstaunlich reibungslos. Nur zwei, drei Mal brüllt einer der Blockierer vor Schmerzen, als ihn Beamte wegtragen und dann doch mal aufs Auge oder die Fingerknöchel drücken. Unschön, aber das hat man schon ganz anders erlebt. Abgesehen von einigen Blutergüssen, die man später an mehreren Oberarmen sehen kann, gibt es keine Verletzungen. Auch Personalien werden nicht aufgenommen.

 

Ohne weitere Zwischenfälle – aber begleitet von Pfiffen und Buh-Rufen – verlässt der NPD-Truck schließlich um kurz nach 15 Uhr die Stadt. Botschaften haben die Neonazis in Regensburg nicht an den Mann gebracht.

 

Die Bilanz der Polizei spiegelt den durchweg friedlichen Protest wieder: Es gab bei hunderten von Gegendemonstranten zwei Strafanzeigen – wegen versuchter Körperverletzung und Widerstands bei der Feststellung der Identität nach einem Tomatenwurf. Auf Seiten der NPD – die etwa acht Mann hoch vor Ort war – hat einer der selbsternannten aufrechten Deutschen einem Gegendemonstranten mit der Faust ins Gesicht geschlagen.