Am heutigen Donnerstag begann nach 12-monatiger „Untersuchungs“-Haft in Griechenland und der BRD der § 129b Prozess gegen die türkische Kommunistin Gülaferit Ünsal vor dem Kriminalgericht Berlin-Moabit. Der Genossin werden organisatorische Aktivitäten in und für die Revolutionäre VolksbefreiungsPartei/Front DHKP-C der Türkei vorgeworfen. Angesetzt sind bisher 30 Verhandlungstage. Gesammelte Infos & Artikel beim Netzwerk.
Bereits am Dienstag wurde durch eine gut besuchte
Informationsveranstaltung im Kreuzberger Café Commune unsererseits die
erste Prozesswoche eingeleitet. Dr. Nick Brauns informierte über die
Geschichte des politischen Gesinnungsstrafrechts und seine Kontinuitäten
vom Sozialistengesetz, über KPD-Verbot bis hin zu den heutigen §§ 129
a/b. Überdeutlich wurde aufgezeigt wie sich die Repressionsparagraphen
zukünftig gegen jede linke, gewerkschaftliche oder demokratische
Bewegung in Stellung bringen lassen, und warum das Bekämpfen ebendieser
Paragraphen nicht nur die Aufgabe von Revolutionären ist. Danach kam
Rechtsanwalt Ulrich von Klingräff zu Wort, der was DHKP-C (und somit
§129b)-Verfahren anbelangt, als Verteidiger aus einem eigenen
Erfahrungsschatz schöpfen konnte. Er berichtete von zahlreichen
Verfahrensweisen und Sonderprozeduren die selbst einem bürgerlichen
Gericht nicht würdig sind, und durch die relative Isolation
migrantischer linker Kräfte noch begünstigt werden. Abgeschlossen wurde
die Veranstaltung mit den aktuellsten Informationen zu Gülaferit und
einem Kurzfilm zum DHKP-C Prozess in Stuttgart.
Um 8 Uhr versammelten sich nun heute 30 UnterstützerInnen vor dem Moabiter Gerichtsgebäude und demonstrierten mit Transparenten und Redebeiträgen für die Freiheit der revolutionären Gefangenen Gülaferit Ünsal. Die Kundgebung diente auch den ProzessbeobachterInnen als Anlaufpunkt, und wurde über mehrere Stunden abgehalten. Gleichzeitig begann um 9 Uhr der Prozess, der unter verschärften „Sicherheitsmaßnahmen“ wie Personalausweiskopien und einer hinter einer Glaszelle sitzenden Gefangenen in einem Sondertrakt des Gerichts stattfand.
Nachfolgend das Protokoll des 1. Prozesstages gegen Gülaferit vom Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen:
Zusammenfassung 1. Tag im Prozess gegen Gülaferit Ünsal wegen Verstoßes gegen §129b
Gemäß der Sicherheitsverfügung wurden alle Ausweise der
ProzessbeobachterInnen kopiert. Außerdem durften diese nur Bleistift und
Papier mit in den Saal nehmen. Es kamen ungefähr 15 BesucherInnen und 5
Presseleute, außerdem waren zahlreiche Polizei- und natürlich auch
Justizbeamte im Gerichtssaal.
Der Prozess begann wegen der Verspätung des Dolmetschers 35 Minuten
später. Gülaferit Ünsal musste in einer gesonderten Kabine hinter
Sicherheitsglas sitzen.
Als Richter fungierten der Vorsitzende Richter Hoch sowie vier
Beisitzende RichterInnen. Die Staatsanwaltschaft wurde vertreten durch
StA Meiners und StA Becker-Klein.
Zu Beginn wurden durch den Vorsitzenden Richter Personalien und Haftverhältnisse abgefragt.
Nun verlas der StA die Anklageschrift. Gülaferit Ünsal wird
vorgeworfen, europaweit und speziell in der BRD von 2002 bis 2011 als
Mitglied der DHKP-C finanzielle Mittel für den bewaffneten Kampf in der
Türkei beschafft zu haben.
Als hochrangige Funktionärin soll sie Seminare, Konzerte, den
Verkauf von Zeitungen und Spendensammlungen organisiert und angeleitet
haben. Insofern soll sie als vermeintliche “Europaverantwortliche“ aktiv
gewesen sein im Auftrag der Partei. Anschließend erläuterte er die
Geschichte der DHKP-C, ihre Struktur, Aktivitäten, Ausrichtung und
Ziele.
Der Richter erwähnte im Anschluss an die Anklageverlesung, dass
weitere Ermittlungen wegen Rädelsführerschaft nicht ausgeschlossen
werden.
Nach der Belehrung stellten die Anwälte klar, dass G.Ü. von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht.
Dann wurde von einem Beisitzenden Richter ein vermeintlicher
Lebenslauf von G.Ü. vorgelesen. Eine darin enthaltene Telefonnummer
ihrer Mutter wertete er als Indiz für die Autentizität des Dokuments,
das ihre DHKP-C-Mitgliedschaft untermauern soll.
Der Lebenslauf kommt aus einem Datensatz, der bei einer
Hausdurchsuchung in Belgien bei einem mutmaßlichen DHKP-C Mitglied
gefunden wurde, enthält jedoch keine Unterschrift oder dergleichen.
Der Richter riet ihr zu einem Strategiewechsel, drängte sie eine
Aussage zu machen und wies sie auf die mögliche Strafmilderung hin.
Gülaferit Ünsal blieb bei ihrer Aussageverweigerung.
Daraufhin verlas einer der Beisitzenden Richter den gesamten ihr
zugeordneten Lebenslauf inklusive persönlichen und politischen
Werdegangs.
Wie bereits erwähnt handelt es sich hierbei um eine nicht verifizierte Textdatei ohne Unterschrift.
Die vom Gericht verwertete Übersetzung der Datei ist jedoch an mehreren wesentlichen Punkten falsch.
Nach einer zweieinhalbstündigen Pause kam es zur ersten Zeugenbefragung.
Geladen war der BKA-Beamte Mielach. Er war bis September 2010 im
Ermittlungsreferat des BKA zur DHKP-C als Sachbearbeiter für
Strukturfragen tätig.
Zuerst erläuterte der Zeuge die Geschichte der DHKP-C-Vorläufer
Devrimci Yol und Devrimci Sol ausführlich bis hin zur Gründung der
Partei DHKP-C .
Zwischendurch fiel dem Richter auf, dass von der verminderten
Zuschauerzahl nach der Mittagspause nur noch eine geringe Gefahr ausging
und so beschloss er fünf Minuten Pause zu machen um einige
Justizbeamte zu entlassen.
Im Anschluss stellte Mielach detailliert Struktur und Aufbau der
DHKP-C aus seiner Sicht dar. Hierbei machte er umfangreich Gebrauch von
seinen Aktennotizen.
Hierbei ging er auch auf die Beschaffung finanzieller Mittel durch
Spendenaktionen, Mitgliedsbeiträge, Zeitungsverkäufe etc. ein.
Dann fragte der Richter ihn woher das BKA seine Informationen habe
und er erklärte verschiedene Quellen wie Bekennerschreiben, Auswertung
verschiedener bei Hausdurchsuchungen gefundener Archive und von anderen
europäischen sowie türkischen Behörden zur Verfügung gestellten
Datenträgern .
Der Zeuge Mielach listete noch einmal die genauen Quellen auf und
sagte, dass diese durch Datenabgleiche authentifiziert und somit auch
verwertbar wären. Darunter beschrieb er auch standardisierte Lebensläufe
wie der den der Beisitzende Richter am Anfang verlesen hatte, war aber
nicht mit der Auswertung des Ünsal zugeschriebenen Lebenslaufs
betraut.
Im Zuge dessen erwähnte er drei Hausdurchsuchungen in Europa bei
denen insgesamt 1,2 bis 1,5 Terrabyte Datenmaterial sichergestellt
wurden.
Am Ende wies Ünsals Anwalt den BKA-Beamten noch auf einen offensichtlich falsch datierten Vermerk hin, worauf dieser sich entschuldigte und erklärte, er könne sich nicht an dessen Umstände erinnern.
Um 14:35 wurde der Prozess vertagt. Fortsetzung folgt morgen,
Freitag, den 20.Juli um 9Uhr im Amtsgericht Tiergarten in Saal 700.
Initiativkreis Gülaferit Ünsal
Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen