Die üblichen Verdächtigen

"Nordsturm Brema"
Erstveröffentlicht: 
28.06.2012

Polizei erkennt nach Überfall rechte Hooligans - und hat keine Anhaltspunkte für ein politisches Tatmotiv

 

18 Verdächtige hat die Polizei nach dem Überfall auf Partygäste in Wunstorf notiert. Rund ein halbes Dutzend von ihnen sind Anhänger der Bremer Hooligan-Gruppe "Nordsturm Brema".

 

VON CHRISTINE KRÖGER UND GESA WICKE

 

BREMEN·WUNSTORF. Die Polizeidirektion Hannover bleibt dabei: Der Überfall mutmaßlicher rechter Werder-Hooligans auf Gäste einer Party in Wunstorf am 19. Mai war nicht politisch motiviert - obwohl sich unter den Verdächtigen Anhänger von "Nordsturm Brema" befanden. Das zeigt die Liste der 18 Tatverdächtigen, die dieser Zeitung vorliegt. "Nordsturm Brema" gilt wie die "Standarte Bremen" als rechte Fußballschlägertruppe, manche ihrer Anhänger sind auch mit beiden Gruppen unterwegs. 2008 sorgten "Nordsturm Brema" Anhänger bundesweit für Schlagzeilen, als sie im Bochumer Ruhrstadion ein Transparent ausrollen wollten. Auf dem prangte groß die Abkürzung "NS HB": "NS" kann für "Nordsturm" stehen, aber auch für "Nationalsozialismus". An der neonazistischen Aktion waren Mirco H., Florian L. und Nicoley S. beteiligt - alle drei hat die Polizei in Wunstorf wieder als Tatverdächtige notiert.

Dasselbe Trio geriet im Januar 2011 vor einem Spiel des 1. FC Köln gegen Werder ins Visier der Polizei: Die drei sollen mit Gleichgesinnten eine Massenschlägerei geplant haben, die die Polizei verhindern konnte. Mit Günter J., Dennis D., und Sebastian E. waren in Köln drei weitere rechte Werder-Hooligans mit von der Partie, die in Wunstorf erneut zugeschlagen haben könnten. Sebastian E. soll auch rund zwei Wochen vor dem Überfall auf das Jugendzentrum mit weiteren rechten Hooligans in Bremen einen 43-jährigen Schalke-Fan durch Schläge und Tritte schwer verletzt haben. Dennis D. besuchte mit "Standarte"-Anhängern bereits Neonazi-Aufmärsche, bevor Gleichgesinnte "Nordsturm Brema" gründeten.

Mirko H. fiel der Polizei nicht nur in Bochum, Köln und Wunstorf auf: Der 28-Jährige wurde zusammen mit Gerhardus B., Nikolas H. und fünf weiteren Bremer Hooligans aus der "Standarte" und "Nordsturm Brema" im sogenannten Ostkurvensaal-Prozess verurteilt. Das Landgericht Bremen sprach insgesamt sieben Männer schuldig, 2007 Partygäste im Ostkurvensaal des Weserstaions überfallen und zusammengeschlagen zu haben. Mit Gerhardus B. und Nikolas H. war Mirko H. auch am Tattag wieder unterwegs.

Wie im Ostkurvensaal traf es in Wunsttorf junge Partygäste. Die Täter gingen mit Schlagstöcken und Schlagringen auf sie los. Sie sollen noch auf ihre Opfer eingetreten haben, als diese bereits am Boden lagen. Zwei der laut Polizei sechs Männer zwischen 16 und 25 Jahre erlitten dabei schwere Verletzungen an Kopf und Wirbelsäule. Zeugen des Überfalls berichten von Schlägern in Shirts mit der Aufschrift "Nordsturm Brema" und "Standarte" sowie einer SS-Rune, die einer der Täter auf seine Hand tätowiert tragen soll.

"Wo sind die Antifas?", sollen die Angreifer geschrien haben. "Antifas" steht für Antifaschisten, Linksautonome bezeichnen sich selbst oft so. Das Jugendzentrum, in dem die jungen Leute feierten, gilt unter anderem als Treffpunkt einer Antifa-Gruppe, die der Verfassungsschutz als linksextrem einstuft. Das Zentrum war bereits in der Vergangenheit Ziel rechtsextremistischer Angriffe.

Gilt eine Gewalttat in Wunstorf als politisch motiviert, müssen die Täter mit einer höheren Strafe rechnen. Das Strafmaß kann auch steigen, wenn der Überfall geplant begangen wurde. Für Letzteres spricht, dass sich nach Zeugenaussagen zwei der späteren Täter kurz vor dem Angriff unter die Partygäste gemischt haben, vermutet wird, dass sie die Räumlichkeiten erkundeten. Später kamen sie mit ihren Komplizen zurück und überfielen die Opfer. Die Polizei Hannover kann bisher weder eine geplante noch eine politisch motivierte Tat erkennen. Obwohl mehrere "Norsturm Brema" -Anhänger unter den Verdächtigen seien, müsse man prüfen, ob derlei Anhängerschaft "überhaupt relaevant" sei, sagte ein Sprecher.

Thomas Hafke vom Bremer Fanprojekt kann sich die Einschätzung der Polizei nicht erklären. Er sieht in dem Überfall eindeutig eine politisch motivierte Straftat. Die Grünen im niedersächsischen Landtag teilen Hafkes Ansicht. In einer Anfrage wollten sie wissen, wie die Landesregierung die Tat bewertet. Innenminister Uwe Schünemann (CDU) mochte das Tatmotiv "noch nicht abschließend" bewerten. "Wenn die Polizei den rechtsextremen Hintergrund solcher Taten bagatellisiert, spielt sie den Neonazi-Schlägern in die Hände", sagt der Abgeordnete Helge Limburg, "schlimmer noch: Sie degradiert die Opfer politischer Gewalt zu Beteiligten einer profanen Keilerei unter Fußballrowdys."

 

Schlugen auch Ultras in Wunstorf zu?

Auf der Liste der Verdächtigen, deren Personalien die Polizei nach dem Überfall in Wunstorf feststellten, finden sich neben einschlägig bekannten rechten Werder-Hooligans auch Anhänger anderer Bremer Fangruppen. Etwa die Hälfte dieser Männer gilt als Anhänger der sogenannten Ultraszene. Einige von ihnen sollen früher der poltisch links orientierten Gruppe "Racaille Verte" angehört haben, die sich vor wenigen Wochen auflöste. "Racaille Verte" ist die Ultragruppe, deren Partygäste Anfang 2007 im Ostkurvensaal des Weserstadions von Anhängern der rechten Hooligangruppen "Standarte" und "Nordsturm Brema" überfallen wurden.

In der Fanszene wird kontrovers diskutiert, ob ehemalige linke Ultras jetzt mit rechten Schlägern gemeinsame Sache machen. Nach Informationen dieser Zeitung wusste die Ultra-Gruppe zumindest vor dem Spieltag, mit wem sie im selben Zug sitzen würde. Die "Nordsturm Brema"-Anhänger sollen den Ultras auch angeboten haben, gemeinsam zu reisen und ein Regionalligaspiel in Essen zusammen zu besuchen. "Die rechten Hooligangruppen versuchen offenbar gezielt, sich den eher unpolitischen Ultras der hiesigen Szene zu nähern. So soll das antifaschistische Selbstverständnis der gesamten Bremer Ultraszene unterwandert werden", sagt Wilko Zicht, Sprecher des Bündnisses Aktiver Fußballfans. "Sollten tatsächlich Ultras an dem Überfall auf die jungen Partygäste im Wunstrofer Jugendzentrum beteiligt gewesen sein, wäre das ein schwerer Rückschlag für das Bemühen der Werder-Fanszene, sich eindeutig von den rechten Fußballschlägern zu distanzieren."