Ulm: Lob und Kritik für den 1. Mai

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Erstveröffentlicht: 
04.05.2009

Die Bilanz nach den NPD-Aufmärschen fällt zwiespältig aus: Lob für die Bürger, Lob und Tadel für die Polizei, Kritik an den Gerichten sowie an der einseitigen Darstellung in überregionalen Medien.
Hans-Uli Mayer, Edwin Ruschitzka, Regina Frank

 

50 Verletzte, 19 Festnahmen, 440 Platzverweise. Die Zahlen zu den NPD-Aufmärschen und den Gegendemonstrationen am 1. Mai in Ulm und Neu-Ulm muten martialisch an - so wie das Bild, das in überregionalen Medien gezeichnet wurde, wo von "blutigen Krawallen in Ulm" die Rede war. Bei genauer Betrachtung relativiert sich das Geschehen aber zu einem meist friedlichen Protest, der nur an wenigen Orten eskalierte, weil vereinzelt Steine und Flaschen flogen.

 

Mitverantwortlich daran ist nach Beobachtungen vieler nicht zuletzt die nicht immer eingehaltene Strategie der Deeskalation der baden-württembergischen Polizei, vor allem der mitunter hart vorgehenden Festnahmeeinheit. Von ihr wurden friedliche und gewalttätige Gegendemonstranten in einen Topf geworfen, attackiert, eingekesselt und teilweise stundenlang festgehalten. Ein Vertreter des Anwaltsnotdienstes kündigte gestern an, die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahmen überprüfen lassen zu wollen.

 

Ein überwiegend positives Fazit ziehen die beiden OBs. "Die Veranstaltungen des DGB und des Aktionsbündnisses gegen Rechts waren friedlich und sehr eindrucksvoll - alles in allem ein Erfolg", sagt der Ulmer Oberbürgermeister Ivo Gönner. Mit harten Worten verurteilt er dagegen das Vorgehen militanter Gegendemonstranten: "Das waren rotlackierte Faschisten, die nur auf Randale aus sind." Die Polizei habe "hervorragend reagiert".

 

Neu-Ulms OB Gerold Noerenberg spricht von "Licht und Schatten". Gefreut habe ihn, dass so viele Bürger auf die Straße gegangen seien, um ein klares Bekenntnis gegen Rechts abzulegen. "Wir haben viele Menschen erreicht, die nie zuvor auf einer Demonstration waren." Die Polizeitaktik für Neu-Ulm lobt Noerenberg - dort gab es keine Zusammenstöße zwischen Rechten und Linken. Allerdings befürchtet das Neu-Ulmer Stadtoberhaupt, dass dies nicht der letzte Neonazi-Aufmarsch in Ulm/Neu-Ulm war. "Ich richte mich darauf ein, dass wir im nächsten Jahr wieder so etwas erleben müssen." Seit Freitag sei er entschiedener für ein NPD-Verbot als je zuvor. "Ich werde versuchen, das in die Politik zu tragen."

 

Eine öffentliche Diskussion über die Situation am Ulmer Bahnhof fordert DGB-Regionalchef Werner Gloning: "Wegen dieser Ewiggestrigen muss der Rechtsstaat so ein Aufhebens machen - mit der Folge, dass der Bürger sich nicht mehr frei bewegen kann." Sein DGB-Kollege Wolfgang Klook ist irritiert angesichts von mehr als 100 Platzverweisen für Demonstranten, die mit der Bahn angereist kamen. "Ich kenne viele persönlich, die wollten friedlich demonstrieren." Dennoch sei an diesem Tag Wesentliches gelungen: eine friedliche Demonstration an der man teilnehmen konnte, ohne sich in Gefahr zu begeben.

 

Für die größte Aufregung haben allenthalben die Verwaltungsgerichte gesorgt, vor allem auf bayerischer Seite. Politiker wie der Neu-Ulmer Landrat Erich Josef Geßner äußerten sich mehr als deutlich. Sorgte schon die Genehmigung des Neonazi-Aufmarsches in Ulm für Wirbel, so stieß die Entscheidung der Augsburger und Münchner Gerichte, auch in Neu-Ulm eine NPD-Demo zu erlauben, auf geballtes Unverständnis. "Ich halte die Entscheidungen der Richter für weltfremd", betonte auch Ivo Gönner. "Hoffentlich führen die Ereignisse vom Freitag zu einem Umdenken."

 

Vor allem die Begründung, dass die Aufmärsche der Rechten in Ulm und Neu-Ulm nichts miteinander zu tun hätten, war schwer nachzuvollziehen. Die Münchner Richter hatten eher den Neonazis als Polizei und Verwaltung geglaubt und waren von 300 rechten Demonstranten ausgegangen. Tatsächlich dürften es dann aber mehr als 800 Neonazis gewesen sein.

 

Vor allem der sich an Ulm anschließende Zug durch Neu-Ulm hatte der Polizei im Vorfeld große Sorgen gemacht, und führte dann auch zu massiven Eingriffen in die Freiheitsrechte vieler Menschen. Um Ausschreitungen à la Ulm zu verhindern, hatte die Polizei die Brücken über die Donau abgeriegelt und alles zurückgewiesen, was nach links, autonom oder störend aussah. Der Neu-Ulmer CSU-Landrat Erich Josef Geßner sprach in seiner Rede während der Gegendemonstration in der Neu-Ulmer Innenstadt später vom "Nachtwächterstaat". Nicht rechtschaffene Bürger würden vor Neonazis geschützt, sondern Neonazis vor Protesten rechtschaffener Bürger.

 

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