Militärstrategie in Kolumbien

Zerstörtes Camp in Meta

Mit viel Tamtam kündigte die Regierung Kolumbiens vor kurzem die neue militärische Strategie an, mit dem die Streitkräfte den FARC-EP den endgültigen Schlag versetzen wollen. Passend dazu erfolgten zwei schwere Schläge gegen die Guerilla, als im März zwei Camps bombardiert wurden.


Das Wesen der „neuen“ Strategie ist es, die Guerilla in der Mitte treffen, im Gegensatz zu dem, was noch vor wenigen Jahren von den Streitkräften versucht worden ist. Zuerst war es das Ziel, die Köpfe der FARC-EP auszuschalten, mit der Hoffnung, dass die Masse an Gueriller@s desillusioniert werde und ohne Führung auseinanderbrechen werde. Die erwarteten Demobilisierungen und Aufgaben einer großer Anzahl an KämpferInnen wurde nicht erreicht, obwohl das Militär revolutionäre Führungspersonen wie Raúl Reyes, Iván Ríos, Jorge Briceño und Alfonso Cano tötete. Es gab kaum Auswirkungen auf die Moral der FARC-EP, im Gegenteil, in vielen Kampfeinheiten wurde die Moral dadurch gestärkt und der Kampf für die revolutionäre Sache mit noch größerem Engagement geführt.

Auch wenn sich das Militär auf die Strategie konzentrierte, die Führungspersonen und Mitglieder des Sekretariats des Zentralen Generalstabs der FARC-EP zu töten, vernachlässigte es natürlich nicht, auch jeden anderen Gueriller@ umzubringen. Bekannt wurden viele Tötungen später als sogenannte „Falsos positivos“, getötete Zivilisten, die in der Öffentlichkeit als Gueriller@s deklariert wurden, um Statistiken zu schönen oder Fangprämien abzugreifen. Diesen Zivilisten wurden im Nachhinein Kampfkleidung und Kleidung in Camouflage angezogen oder sie wurden in zivil als Milizionäre der Guerilla präsentiert, die bei den Kämpfen mit den Militärs getötet worden seien.


Die bisherige Strategie des staatlichen Militärapparats ging aber nicht auf, die Guerilla überlebte mehrere Jahrzehnte und konnte bis heute nicht besiegt werden. Die Guerilla änderte ihre Militärtaktik vor einigen Jahren, in dem die Zeit der großen Einheiten, besonders im militärischen Ostblock des Landes, und die Zeit der großen Camps aufgegeben wurde, um sich wieder auf typische Guerillataktiken zu konzentrieren. Während in den 1990er Jahren und zur Jahrtausendwende die FARC-EP zu einer großen Guerilla anwuchs, die mit Einheiten in Bataillonsstärke Militäroperationen durchführte und ein ebenbürtiger Gegner mit den staatlichen Sicherheitskräften war, so änderte sich das Bild in den letzten 10 Jahren. Die Aufrüstung Kolumbiens und die neue Militärtechnologie riefen nach einer Änderung in der Vorgehensweise.
So agierte die Guerilla verstärkt in kleinen beweglichen Einheiten, die Camps und Rückzugsbasen waren beweglich konzipiert und in Gegenden vorzufinden, die als natürlich Rückzugsräume der Aufständischen gelten.

Erkennen kann man die „neue“ Strategie der Militärs besonders an den Luftangriffen auf zwei Camps in Arauca und Meta im letzten Monat, bei der fast 70 Gueriller@s getötet worden sind. Durch infiltrierte Personen in der Guerilla, durch das Bezahlen von Personen für Informationen und durch eine Technologie, wie Infrarottechnik und Drohnen werden die Camps der Guerilla zunehmend leichter aufgespürt. Die Luftwaffe spielt in dieser Strategie zusammen mit ausgebildeten Spezialkräften zur Aufstandsbekämpfung die entscheidende Rolle. Nachdem die Koordinaten und gegebenenfalls die Belegungsstärke eines Camps bekannt sind, beginnt die Operation in der Nacht oder in den dunklen und frühen Morgenstunden. In der Nacht ist die Guerilla am verwundbarsten, da kein aktives Verteidigungssystem vorhanden und sich gegen Flugzeuge und Bomben nur schwer zu verteidigen ist. Am Tag hingegen ist jedes Camp durch verschiedene Verteidigungsringe gesichert und der Luftraum leichter zu überwachen. Die Nachtwachen in den Camps haben daher eine schwere Aufgabe und müssen ständig konzentriert sein, um Motorengeräusche aus der Luft zu orten. Das Chaos und die Angst ausnutzend, seilen sich dann einige Stunden später Spezialkommandos aus Kampfhubschraubern ab, um die Camps zu besetzen sowie getötete Gueriller@s zu identifizieren, Verletzte gefangen zu nehmen und Technik und Waffen zu konfiszieren und auszuwerten.

Zunehmend agieren auch die kolumbianischen Sicherheitskräfte in kleineren Einheiten, die mobiler sind und weniger leicht aufgerieben werden können. Zuvor besann sich das Militär auf große Patrouillen, in der Hoffnung, Respekt und eine große Feuerkraft ausstrahlen zu können. Doch die Angriffe in den zurückliegenden Jahren haben die Änderung hin zu kleineren Einheiten bewirkt. Weiterhin aktuell sind jedoch militärisch aufwendig gesicherte Igelstellungen und Stützpunkte im rückwärtigen Raum, um die staatliche Präsenz auch in scheinbar „regierungsfernen“ Regionen aufrechtzuerhalten und größere Ortschaften und strategisch wichtige Punkte wie größere Ortschaften, Straßen oder Brücken, aber auch wirtschaftlich wichtige Gebiete (Bodenschätze, Landwirtschaft, Infrastrukturprojekte wie Wasserkraftwerke, Stromleitungen, Sendemasten) abzusichern. Versorgt werden diese Stützpunkte von Bataillonen in der Region, dann durch Patrouillen, oder durch die Luft. Entstanden sind viele der Militär- und Polizeistützpunkte in der Zeit unter dem Präsidenten Uribe und seiner Militärdoktrin „Plan Patriota“ und „Plan de Consolidación“.

Dazu kommt die militärische Unterstützung aus den USA. Schon in den 1960er Jahren entwickelte das US-Militär Pläne zur Aufstandsbekämpfung für Kolumbien. Spätestens jedoch seit dem „Plan Colombia“, welcher Ende der 1990er Jahre von Präsident Pastrana erstellt und durch Nordamerika und Europa finanziert wurde, ist die Präsenz von US-Militärs in Kolumbien allgegenwärtig. Es kommt daher nicht von ungefähr, dass die kolumbianische Regierung die USA nun erneut nach Militärhilfe anfleht, um die Guerilla zu bekämpfen. Nun soll vor allem, passend zur „neuen“ Strategie, auf Flugzeuge und erfahrene Militärs (Irak, Afghanistan) gesetzt werden.

Zuletzt lohnt es sich einen kurzen Blick auf die ethisch-moralischen Aspekte zu legen. Nach Angriffen der Guerilla berichten die Medien von feigen Angriffen und Terrorakten. Was jedoch sind Bombenangriffe in der Nacht auf Camps, in denen Menschen schlafen? Sind es die heroischen Helden Kolumbiens, die sich aus Hubschraubern abseilen um vor entstellten Gueriller@s zu posieren? Ist es notwendig in einem Land, in dem seit Jahrzehnten ein Bürgerkrieg existent ist, den Tod von 30 oder 40 Menschen zu feiern? Sind die Gueriller@s etwa keine Menschen und weinen die Mütter nicht genauso um sie?

Nach jedem Angriff von kolumbianischen Militärs auf Camps der Guerilla werden die Leichen in allen Medien wie Vieh präsentiert. Die Berichterstattung soll ein kollektives positives Gefühl bei dem Anblick von bombardierten Camps und getöteten Gueriller@s vermitteln.

Doch diejenigen, die den Krieg führen, gehören der Oligarchie an. Die da oben können nur befehlen, aber sie selber haben keine Waffen in der Hand und müssen in den Kampf ziehen. Sie befehlen andere Menschen, die für die Interessen einer kleinen Schicht ihr Leben riskieren müssen. Die FARC-EP feiern keine Volksfeste und rühmen sich nicht, wenn Soldaten und Polizisten im Kampf sterben. Denn sie wissen, dass ein Großteil jener gezwungen wird und dass es für viele Kolumbianer die einzige Möglichkeit ist, um Geld zu verdienen und so überleben zu können.

Der einzig mögliche Weg, um Frieden zu erreichen, ist eine politische Lösung und die Beseitigung der Ursachen, die zu dem Bürgerkrieg führen. Der Teufelskreis der Gewalt wird immer wieder Gueriller@s töten, aber es werden auch immer wieder neue in die Fußstapfen der Gefallenen treten, die den Kampf für ein neues und gerechtes Kolumbien fortsetzen.

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