Die V-Mann-Falle

NPD-Verbot
Erstveröffentlicht: 
05.01.2012

Die V-Mann-Falle

Kommentar von Wolfgang Gast

 

Brandstiftung, Mordaufrufe, Waffenhandel und Gründung einer terroristischen Vereinigung - das sind nur einige der Straftaten, die die sogenannten "Vertrauensmänner" des Verfassungsschutzes im Schutz ihrer Legende begehen. V-Männer waren es auch, die an führender Stelle in der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) tätig wurden - und deren klandestine Tätigkeit für die Sicherheitsbehörden ein Verbotsverfahren gegen die NPD vor dem Bundesverfassungsgericht 2003 zum Scheitern brachte.

 

Für das Verfassungsgericht war es schwierig geworden, den Unterschied zwischen einer "echten" NPD und einer vom Verfassungsschutz unterwanderten NPD auszumachen. Was die Karlsruher Richter am meisten erboste: V-Leute des Verfassungsschutzes hatten an führender Stelle in der rechtsextremen Partei jene belastenden Belege mitproduziert, die dann zur Begründung eines Verbots der Partei herhalten sollten.

 

Unkontrollierte Grauzone


Rund 130 dieser "Vertrauensmänner" der verschiedenen Verfassungsschutzämter sollen auch heute noch in den verschiedenen Gliederungen der NPD tätig sein. Bestätigt wird diese Zahl von den Behörden aus Geheimhaltungsgründen nicht, sie erscheint aber im Licht des vor acht Jahren zu Ende gegangenen Verbotsverfahrens plausibel. Damals wurde berichtet, dass etwa dreißig der führenden NPD-Funktionäre im Dienste des Inlandsgeheimdienst gestanden hätten.

 

Wenn heute angesichts der vielfältigen Kontakte zwischen den Terroristen des Nationalsozialistischen Untergrund, der Neonaziszene und der NPD erneut über ein Verbot der Nationaldemokraten diskutiert wird, wäre das Anlass genug, eine lang verdrängte Tatsache ins öffentliche Bewusstsein zurückzuholen: die Tatsache, dass der Geheimdienst im Auftrag der Exekutiven in kaum kontrollierbaren Grauzonen mit allerlei ausgesprochen fragwürdigen Methoden operiert.

 

 Dass V-Leute keine Ehrenmänner sind, die die Demokratie, die Verfassungsordnung oder schlicht den menschlichen Anstand retten oder verteidigen wollen, ist hinlänglich bekannt. Wer seine Kameraden bei den Behörden anschwärzt, darf keine besondere Sympathie erwarten. Weitgehend verdrängt wird aber, wozu diese Rassisten, Schläger und Rechtsideologen mit Duldung der Sicherheitsbehörden tatsächlich fähig waren und sind.

 

Timo Brandt etwa, 1994 vom Verfassungsschutz in Thüringen als V-Mann Nummer 2045 unter dem Decknamen "Otto" angeworben, war Spitzenfunktionär des NPD-Landesverbands. Er agierte dort als Sprecher einer "revolutionären Plattform", er organisierte über die Jahre alle großen NPD-Aufmärsche. Er war auch Chef des "Thüringer Heimatschutzes", dem die spätere Zwickauer Mordbande um Mundlos, Bönhardt und Zschäpe angehörte. 200.000 DM soll Brandt in sechs Jahren an Spesen und Prämien kassiert haben, die er vorwiegend in den Aufbau seines Heimatschutzes und anderer rechtsextremer Strukturen steckte.

 

"Die ausgesprochen konstruktive Arbeit des Kameraden Brandt", lobte seinerzeit der NPD-Vorsitzenden Udo Voigt, hat sehr dazu beigetragen, dass der Landesverband Thüringen wieder Tritt gefasst hat." Tatsächlich stieg die Mitgliederzahl der NPD unter Timo Brandt, der sich selber zum "Überzeugungsspitzel" erklärte, deutlich an. "Otto" hat auch die gesamte Karriere des Zwickauer Terrortrios bis zu seinem Abtauchen Anfang 1998 mitverfolgt.

 

Fehlgeleitete Informationen


Der amtierende Präsident des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Sippel, fasste vor dem Innenausschuss des Landtages Ende vergangenen Jahres zusammen, was alle Verfassungsschutzämter seit Jahren zum Besten geben: "Es braucht qualitativ gute Quellen, um diese Szene überhaupt penetrieren zu können und Ermittlungsansätze zu finden." Sippel brüstete sich weiter damit, dass sein Amt "zum Auffinden des Unterschlupfes des Trios", gemeint war die Zwickauer Terrorzelle, auch V-Leute eingesetzt habe.

 

Die lieferten aber nicht nur zutreffende Hinweise auf einen Aufenthaltsort der Gesuchten, sie setzten darüber hinaus sowohl das Landesamt als auch die Zielfahnder der Polizei auf falsche Fährten: Mal hieß es, die drei seien in Südafrika untergetaucht, mal hieß es, sie seien auf Kreta tot aufgefunden worden. "Möglicherweise bewusst fehlgeleitete Informationen", urteilte dazu Jörg Zierke, Chef des Bundeskriminalamts in Wiesbaden.

 

Im Auftrag der Partei


Über den Einsatz von V-Leuten wird aus Gründen des "Quellenschutzes" nach wie vor der Schleier der Geheimhaltung ausgebreitet. Angesichts der bislang bekannt gewordenen Fälle drängt sich allerdings die Frage auf: Führt der Einsatz von "Vertrauenspersonen" nicht zwangsläufig dazu, dass der Verfassungsschutz praktisch zur Verfestigung ebenjener Szene beiträgt, die er eigentlich beobachten und bekämpfen soll?

 

Noch zugespitzter könnte gefragt werden, wer hier eigentlich wen durch die Arena zieht: der Verfassungsschutz die rechte Szene oder doch eher die Rechten die Mitarbeiter des Geheimdienstes. Wolfgang Frenz zum Beispiel war von 1959 bis 1995 V-Mann und langjähriges Mitglied im Bundesvorstand der NPD. Für seine Kontakte zu den Schlapphüten hatte er sich seinerzeit das Plazet des damaligen Parteichefs Adolf von Thadden geholt.

 

Im Kampf gegen den rechten Extremismus sind die Erfolge des Verfassungsschutzes ausgesprochen bescheiden. Weder konnte er das zunehmende Gewicht rechtsextremer Organisationen zuverlässig prognostizieren, noch konnte er nennenswert zur Aufklärung von Straftaten beitragen, die von Neonazis begangen wurden.

 

Im Gegenteil: Während antirassistische Initiativen, Bürgerrechts- und Ausländerorganisationen die zunehmende Vernetzung neonazistischer Organisationen anprangerten, bagatellisierten die Verfassungsschutzbehörden: Terroristische Strukturen seien in der rechtsextremen Szene nicht auszumachen. Dass sich in Zwickau unter dem Namen "Nationalsozialistischer Untergrund" ebensolche Strukturen gebildet hatten, ist den Verfassungsschützern entgangen, aller eingeschleusten V-Leute zum Trotz.