Neonazis gibt es auch im Südwesten

Erstveröffentlicht: 
17.11.2011

Rechter Terror

 

Rüdiger Bäßler, Heinz Siebold und Wolfgang Messner

 

Zwickau - Blass, einen Schal um den Hals, die Augen zusammengekniffen gegen den Schein der Kameralampen, hat Helmut Roewer sein Teilschuldeingeständnis abgeliefert. Er übernehme Verantwortung dafür, sagte der frühere thüringische Verfassungsschutzpräsident, dass die Zwickauer Terrorzelle 1998 nicht zerschlagen worden sei. Seitdem gibt Pensionär Roewer dem Amtsversagen gegenüber der braunen Gefahr ein grämliches Gesicht.

Zeit für Baden-Württembergs Staatsschützer, umgehend nachzulegen. Hierzulande, sagte Frank Dittrich, Leiter der Abteilung Links- und Rechtsextremismus beim Verfassungsschutzamt in Stuttgart, gebe es keine rechtsterroristischen Strukturen, nur in "Einzelfällen" einen "Hang zum Militarismus, Gewalt, Sprengstoff und Waffen".

Beate Bube, Präsidentin des Verfassungsschutzamts, sagt über die aktuellen Vorfälle, von der Zwickauer Zelle hätten ihre Leute zuvor nie gehört und auch nicht von einer Untergrundorganisation namens NSU. Auch aus dem Innenministerium verlautet, hier liege aktuell doch wohl ein Problem der Kollegen in Thüringen vor.

Strafverfolger nicht engagiert genug

Alles im Griff, heißt die Grundbotschaft - und alles im Blick. Die Wirklichkeit im Land lässt Zweifel daran aufkommen. Rechtsgesinnte Gewalttäter provozieren, agitieren und prügeln Jahr für Jahr in vielen Städten und Gemeinden dutzendfach, während die Strafverfolger oft seltsam kraftlos wirken. Eine kleine Auswahl:

Am 27. August 2009 wird in Weil am Rhein (Kreis Lörrach) der Lörracher "Stützpunktleiter" der NPD-Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" verhaftet. Die Polizei beschlagnahmt 22 Kilogramm chemische Substanzen, Zünder und Rohrmantel, eine Anleitung zum Bau von Rohrbomben und ein Schweizer Sturmgewehr.

Mitglieder der "Autonomen Antifa" Freiburg haben den entscheidenden Hinweis auf den Mann gegeben. Im Oktober vergangenen Jahres erhebt die Staatsanwaltschaft Lörrach Anklage beim Landgericht Freiburg wegen der Vorbereitung eines Sprengstoffverbrechens. Das Landgericht lehnt im April dieses Jahres die Eröffnung des Hauptverfahrens ab. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist noch anhängig. Der Beschuldigte befindet sich derweil, nach Zahlung einer Kaution und gegen Meldeauflagen, auf freiem Fuß.

 

In der Gemeinde Meckenbeuren (Bodenseekreis) treffen sich in einer an der Hauptstraße gelegenen Gaststätte über Monate hinweg Neonazis, auch aus Österreich und der Schweiz. Die Polizei weiß das. Erst als 2003 ein türkischer Gastronom zusammengeschlagen wird, der sein Geschäft auf der anderen Straßenseite hat, wird reagiert. Das Lokal muss schließen.

 

Mitte Januar 2007 überfallen 15 mit Sturmhauben maskierte Neonazis mehrere Kneipengäste in Langenau (Alb-Donau-Kreis). Es gibt Verletzte, die Angreifer zeigen den Hitlergruß. Als die Polizei eintrifft, sind die Täter längst verschwunden. Es ist nicht der erste Gewaltausbruch in der Kleinstadt nördlich von Ulm. Mehrere ortsansässige Altnazis, so führt inzwischen sogar das Internetlexikon Wikipedia zu Langenau auf, versorgen die neue braune Generation mit Geld und stellen Grundstücke für Treffen zur Verfügung.

 

Zweimal im Jahr 2010, im Mai und November, werden in Rheinfelden (Kreis Lörrach) Fenster der Moschee der türkisch-islamischen Gemeinde eingeworfen. Die Täter schmieren ein Hakenkreuz an die Hauswand. Im März dieses Jahres wird ein Verdächtiger mehr zufällig verhaftet. Er ist in eine Prügelei verwickelt, zu der es nach einer Neonaziparty in Herten unweit von Rheinfelden kam. Nach kurzer U-Haft kommt der 20-jährige Mann wieder frei, bis heute ist keine Anklage erhoben worden.

 

Zu einer der brutalsten Taten kommt es in der Nacht zum 10. April dieses Jahres in Winterbach im Rems-Murr-Kreis. Neonazis jagen eine Gruppe von Menschen mit Migrationshintergrund, fünf der Opfer haben sich in eine Gartenhütte geflüchtet. Das Holzhaus wird angezündet. Die Angegriffenen können ins Freie flüchten, ein Mann wird dabei zusammengeschlagen und verletzt. Die Polizei vernimmt in der Folge 43 Tatverdächtige, die allesamt schweigen. Fast alle kommen rasch wieder auf freien Fuß, aus Mangel an Beweisen. Gegen zwei Männer beginnt bald ein Prozess wegen versuchten Mordes.

 

Polizeistatistik rechtsextremer Gewalt verharmlost?


Das Landesamt für Verfassungsschutz zählt rechtsextremistische Gewaltausbrüche beflissen mit. Im Verfassungsschutzbericht aus 2010 stehen 39 solcher Gewalttaten, die Zahl der gewaltbereiten rechtsextremistischen Skinheads und "Autonomen Nationalisten" wird mit ungefähr 670 angegeben. Der ehemalige CDU-Innenminister Heribert Rech ordnete den Bericht bei dessen Vorstellung Anfang dieses Jahres positiv ein. Der "deutliche Rückgang des rechtsextremistischen Personenpotenzials" habe "sich auch im Jahr 2010 fortgesetzt". Im Vergleich zu 2009 sei die Zahl der Rechtsextremisten von 2400 Personen auf rund 2200 geschrumpft.

 

Eine ganz andere Rechnung macht der Publizist Anton Mägerle auf, einer der führenden deutschen Experten für Rechtsextremismus. Mägerle, der die Szene seit Jahrzehnten beobachtet, hat seit der Wiedervereinigung 1990 rund 140 Todesopfer rechtsextremer Gewalt vermerkt. Die Bundesregierung spreche hingegen nur von 47 Toten. Speziell Brandanschläge träfen, so Mägerle, vermehrt Asylbewerbeheime, Döner- und Asia-Imbisse, Moscheen und Wohnungen linker Gruppen und Politiker.

 

Es ist die ewige Krux aller Polizeistatistik, dass sie falsch wird, sobald Beamte anfangen zu interpretieren. Was ist rechte Gewalt? In der Innenstadt von Neu-Ulm war es zu einer nächtlichen Schlägerei zwischen Rechten und Linken gekommen. Die Polizei aber, unsicher ob der Motive der Beteiligten, sortierte den Vorfall schließlich als Prügelei unter Betrunkenen ein.

 

Gegen den Neonazi aus Riegen wird noch ermittelt


Schlechte Chancen, in die Statistik rechter Gewalt zu kommen, hat wohl auch ein Fall vom 1. Oktober: Auf einem Parkplatz an der Autobahn 5 bei Riegel (Kreis Emmendingen) überfährt ein bekannter Nazi einen maskierten Antifaschisten, der zusammen mit anderen einen "Schleusungspunkt" für eine Neonazifete am Kaiserstuhl beobachtet. Der Überfahrene wird schwer verletzt. Notwehr oder ein gezielter Tötungsversuch? Die Kriminalpolizei Emmendingen ermittelt noch, hat dem Neonazi aber bereits "eine bedrohliche Situation" konzediert.

 

Kaum einmal in solchen Fällen tritt der Verfassungsschutz auf den Plan, im Fall des Neckarwestheimer Neonazis Lars Käppler tat er es doch - und kam zu spät. Käppler, zwischendurch auch NPD-Wahlkandidat, hatte im Dezember 2004 die "Bürgerinitiative für ein besseres Deutschland" gegründet, die sich gegen den EU-Beitritt der Türkei wendete.

 

Das Land Baden-Württemberg wollte den Verein, der sich am Parteiprogramm der NSDAP orientierte, verbieten lassen. Irgendwer muss dem Neonazi davon erzählt haben. Da erklärte er in einem Schreiben an den Verfassungsschutz seinen formellen Austritt aus der Organisation, die sich auch gleich auflöste, weil sie außer dem gebürtigen Esslinger über keine weiteren Mitglieder verfügte.