Geheimdienste: Hauptsache, es macht peng!

Erstveröffentlicht: 
20.11.2011

Zehn Menschen könnten noch leben, wenn die Geheimdienste ihre Arbeit getan hätten. Es ist Zeit, sie abzuschaffen.

 

Es ist die größte Schande seit Bestehen der Republik, und täglich wird sie größer. Nicht nur hat unser Heer von Staatsanwälten, Polizisten und Geheimdienstlern die längste rechtsradikale Mordserie unserer Geschichte nicht stoppen können; sie haben sie nicht einmal als solche erkannt. Auch die Aufklärung der Taten haben die Neonazis selbst besorgt.

Überrascht zeigte sich Bundesanwalt Rainer Griesbaum in der ARD, weil die Ermittlungen seiner Behörde keine rechtsterroristischen Strukturen hätten erkennen lassen. So sagte es auch Bundesinnenminister Friedrich nach den Anschlägen von Norwegen, im Sommer: Wir hätten hierzulande keine Strukturen von Naziterroristen. Als gebe es eine Meldepflicht für Terrorgruppen, als wäre nicht der Mord der Terror, sondern erst das Begleitschreiben dazu.

 

Die Verfassungsschützer wiegelten in ihren Berichten Jahr um Jahr ab. Und die Ministerpräsidenten der betroffenen Bundesländer, die Dienstherren der zuständigen Polizei? Schweigen.

 

Man hätte es wissen können
Es gibt in unseren Sicherheitsapparaten solche und solche Ermittler. Es gibt die Profis, die von den am Tatort vorgefundenen oder eben nicht vorgefundenen Spuren ausgehen, die klassische Ermittlungsarbeit leisten. Dazu gehören heutzutage auch die psychologisch geschulten „Profiler“. Sie hatten, so hieß es in einer sehenswerten ARD-Doku vom vergangenen Mittwoch, schon nach den ersten Morden gefolgert, die seien das Werk rechtsradikaler Serienmörder. Die Phantomzeichnung nach dem Bombenattentat von Köln, bei dem ein fremdenfeindlicher Hintergrund nicht auszuschließen war, gleicht einem der Täter, von dem man damals schon wusste, dass er rechtsradikale Ansichten hegte, Bomben baute und mal zur Fahndung ausgeschrieben war. Schon in Zeitungsartikeln aus den neunziger Jahren stehen die Namen der beiden Täter; sie werden dort als gewaltbereite Neonazis identifiziert. Es gab all die Punkte, aber niemand hat sie zur Linie verbunden.

Das wäre die Aufgabe der anderen Art von Ermittlern gewesen, wie wir sie im Verfassungsschutz beschäftigen. Doch unter deren Augen tauchten die Terroristen ab, um den alten Ausdruck zu gebrauchen. Sie tauchten nicht besonders tief. Es war mehr so ein Schnorcheln, ein Untertauchen in der Badewanne: Sie pflegten ein soziales Leben in Zwickau, unterhielten Kontakte zu einem weiten Unterstützerkreis und besuchten Demonstrationen, Konzerte und Veranstaltungen. Viele wussten, wo die drei waren. Und wenn die rechte Szene in Deutschland ein Problem hat, dann sicher nicht jenes, allzu opak und abgeschottet zu agieren, sondern in so hohem Maße von V-Leuten durchsetzt zu sein. Das NPD-Verbotsverfahren scheiterte ja nicht, weil man nichts wusste über den Club, sondern daran, dass sich dort derart viele Informanten der Dienste herumtreiben, dass die ganze Partei nicht mehr von denen zu trennen war, die sie überwachen sollen. Und immens ist weder die sogenannte Szene noch ganz Thüringen.

Wenn man es hätte wissen wollen, hätte man es wissen können.


Er wusste mehr als die Ermittler
Ganz und gar unheimlich wird der Fall, wenn man das nun traurig berühmte Lied „Döner-Killer“ von Gigi und den braunen Stadtmusikanten aus dem Jahre 2009 aufmerksam interpretiert. Es ist keine periphere, sondern eine unter Neonazis beliebte Band, keinem Verfassungsschützer dürfte sie unbekannt sein. Während Polizei und Öffentlichkeit noch rätselten, was die Mordfälle an einzelnen Ausländern in diversen deutschen Städten außer der Tatwaffe noch verbinden mochte, wusste der Texter des Songs Bescheid. Er interpretiert die Morde nicht, wie so viele Zeitungsberichte, als Mafiamorde, um beispielsweise, auch das passt ja zum rechten Hass, gegen kriminelle Ausländer zu wettern. Er beschreibt mit mehr als klammheimlicher Freude einen diskreten Killer, den nichts als der Hass auf Ausländer treibt. Genau so einen, wie ihn die Profiler der bayerischen Polizei beschrieben haben.

Er freut sich in dem Song, dass weder Motiv noch DNA bekannt seien, so als sei dies eine bewusste Strategie des Täters. Dabei gerät das Lied in einen Widerspruch, den das Motiv des Mörders, Hass auf Ausländer, ist dem Texter und seinem Publikum bewusst, nur der Polizei halt nicht. Mehr noch: Der Texter wählt an einer Stelle in dem Song den Begriff des „Phantoms“, der im Zusammenhang mit den neun Morden nie, aber im Fall des Polizistenmords von Heilbronn ständig gebraucht wurde. Womit ein Bezug zu beiden Taten hergestellt ist, von dem die Welt erst seit einer Woche weiß. Eine genaue Interpretation des Songs legt den Schluss nahe, dass Gigi mehr wusste als die ermittelnden Behörden und eine Geschichte vertonte, die seinem speziellen Publikum schon vertraut war.

 

Die Spur des Terrors führt zu einem Dienstgebäude
So funktionierten die Morde: nicht als Terrorakte, die die ganze Gesellschaft in Angst versetzt hätten, sondern als Botschaft an andere Gesinnungsgenossen. Und gerade unter denen sind all die V-Leute. Warum also wurden die Nazimörder bis zuletzt nicht gefasst? Weil man nicht nach ihnen gesucht hat. Und nun bekommen wir einen Faden zu fassen, an dem man sich zu ziehen scheut, weil man ahnt, dass man nicht mag, was am anderen Ende hängt.

Es gibt für solche Fälle einen Satz, der noch nie widerlegt wurde: „Wenn sich jemand über viele Jahre einer intensiven Fahndung entziehen kann, dann genießt er staatlichen Schutz.“ Das ist das Fazit des Terrorexperten und früheren CIA-Agenten Bruce Riedel nach dem Ende der größten Suchaktion der Geschichte, der Jagd auf Usama Bin Ladin. Niemand glaubt, dass der einstige Terrorchef ohne das Wissen der pakistanischen Dienste in deren Lieblingsstadt wohnen konnte, zumal diese Dienste die afghanischen Taliban und deren arabische Freunde von Al Qaida gewissermaßen erfunden haben. Auch „Carlos“ wurde blitzschnell verhaftet - nachdem sein letzter staatlicher Sponsor das Interesse an ihm verloren hatte. Es ist immer die gleiche Geschichte: Verfolgt man die Spur des Terrors nur lange genug, endet man vor einem geheimen Dienstgebäude. Rein kann man nur während einer Revolution. Als so eine in der DDR stattfand, hatte man bald auch das größte Rätsel meiner Kindheit gelöst, nämlich den Aufenthaltsort der Veteranen der Roten Armee Fraktion, beispielsweise Susanne Albrechts. Erst als die Bastille der Stasi fiel, gingen alle ins Netz.


Woher kommen die drei Namen?
Im Westen hat es einen solchen Umsturz nach 1945 nicht gegeben. Die offene Gesellschaft unterhält eine geschlossene und wundert sich nun. Wer eine Idee davon bekommen will, wie selbstherrlich ein Geheimdienst nach wie vor und selbst bei nahezu historischen Themen agiert, braucht nur den bizarren Strafprozess gegen die RAF-Terroristin Verena Becker in Stuttgart zu beobachten. Selbst dort, wo der Verfassungsschutz auskunftswillig ist, muss er keine kohärente Aussage bieten. Grundsätze der Aktenführung, der Nachvollziehbarkeit behördlichen Handelns, des Respekts vor einem Strafgericht, alles ist aufgehoben, wenn die Geheimen kommen.

Nur ein besonders krasses Beispiel: Verena Becker, so viel immerhin wurde eingeräumt, hat 1981 beim Verfassungsschutz ausgesagt, lange und ausführlich. Später wurde sie unter anderem wegen dieser Aussage begnadigt. Zu ihrer Aussage, die 227 Seiten umfasst, hat der Verfassungsschutz einen zusammenfassenden Vermerk angefertigt. In dem steht, wer Generalbundesanwalt Buback erschossen hat und wer daran beteiligt war, drei Namen sind es. Doch in der langen, 227-seitigen Aussage, da stehen diese Namen nicht, da wird über die Täter des Attentats von Karlsruhe kein Wort gesagt. In dem Auswertevermerk und in einer amtlichen Auskunft des Präsidenten des Verfassungsschutzes aber stehen drei Namen. Woher kommen die? Mal um Mal fragt der Vorsitzende Richter Wieland: „Wo ist die Basis für die drei Namen?“

Der Herr vom Verfassungsschutz, der vor Gericht unter dem Phantasienamen Lothar Meerfeld erscheint, antwortet, er wisse es nicht. Man arbeite beim Verfassungsschutz aber „fieberhaft“ daran, die Frage zu klären.


Sie schaffen sich ihre Existenzberechtigung
Dienste im Fieberwahn, das ist wohl eine treffende, aber keine beruhigende Vorstellung. Selbst bei der Klärung des vor mehr als dreißig Jahren verübten Mordes am Generalbundesanwalt versagen sie in geradezu grotesker Weise. Die Justiz kann sie weder beaufsichtigen noch beeindrucken. Eigentlich obliegt die Kontrolle der Dienste den gewählten Abgeordneten der Landtage und des Bundestags. Ist denen nun ein Vorwurf zu machen?

Das verneinte Wolfgang Bosbach von der CDU-Bundestagsfraktion: Man könne nur beaufsichtigen, was einem zur Aufsicht vorgelegt wird. Das ist ein zentraler Satz. Taucht in den Akten nicht auf, wer alles untergetaucht ist, dann wirft man kein Netz aus, ihn zu fangen, dann sucht man nicht - und dann, plötzlich geht es wieder logisch zu, findet man auch nicht. Die Dienste beherrschen die Kunst der Lücke. Bundesanwalt Griesbaum freut sich, es gebe keine Belege für die Zusammenarbeit von Verfassungsschutz und Zwickauer Zelle. Es übersteigt seine Phantasie, dass eine deutsche Behörde etwas ohne Beleg unternehmen könnte. Doch nicht der Beleg schafft den Missstand, nicht das Bekennerschreiben ist das Verbrechen.

Warum gibt es diese Nähe zwischen den Diensten und den Terroristen, und zwar fast überall auf der Welt? Es muss keine politischen Gründe haben. Die IRA war von den jeweiligen Diensten unterwandert, ebenso wie es die algerischen Islamisten oder die japanischen Linksradikalen waren. Der Terrorveteran Bommi Baumann beschreibt den Impuls der Geheimdienste treffend mit: „Ob links oder rechts, ist eigentlich egal, Hauptsache, es macht peng!“ Die großen, durch niemanden kontrollierten Apparate schaffen sich den Gegenstand, der ihre Existenz rechtfertigt, irgendwann selbst: als dürften Drogenfahnder auch mit Mohnsamen umgehen.


Erst die Täter brachten die Wahrheit ans Licht
Heute können wir nur ihr völliges Versagen feststellen, mindestens zehn Menschen könnten noch leben, wenn sie ihre Arbeit gemacht hätten. Die Dienste dienen nur sich selbst. Es ist darum richtig, sie aufzulösen. Eine unabhängige Wahrheitskommission, wie sie etwa die Publizistin Carolin Emcke seit langem fordert, sollte die historischen Zusammenhänge zwischen Terrorismus und Geheimdienst ausleuchten. In ihr müssen die Opfer eine Stimme bekommen, jene, die überlebt haben, und die Angehörigen der Toten, denen man bis zuletzt einreden wollte, die Männer seien an Machenschaften gestorben, in die sie sich selbst verstrickt hätten.

Selbstmord ging ja schlecht, sonst hätte man wohl auch diese Version in Umlauf gebracht. Erst die Täter brachten die Wahrheit ans Licht und demütigten den Rechtsstaat damit ein zweites Mal. Und damit uns, die Leser, Wähler und Bürger. Im Vertrauen auf Sicherheitsorgane, die die Unsicherheit brauchen, sind wir naiv und überhaupt viel zu nett. Kritisches Denken ist aus der Mode gekommen, das sollte sich schleunigst ändern.