Heuschrecke lässt Freiburger Mieter im Stich

Erstveröffentlicht: 
15.10.2011

Undichte Fenster, Stromausfälle, Schimmel im Bad – das Immobilienunternehmen Gagfah macht den Mietern das Leben schwer. In Freiburg traf man sich nun zu einem gerichtlichen Vor-Ort-Termin.

 

Der Dienstag war für die Yassines ein besonderer Tag. Nicht nur, weil in der Vier-Zimmerwohnung der Familie in Freiburg eine Gerichtsverhandlung stattfand. Die Yassines hatten zum ersten Mal das Gefühl, dass sie von ihrem Vermieter wahrgenommen werden. Ihr Vermieter ist das Immobilienunternehmen Gagfah, das einst als "Gemeinnützige Aktien-Gesellschaft für Angestellten-Heimstätten" einen guten Ruf hatte. Damals, als die Gagfah noch der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte gehörte. Dann wurde die Firma 2004 an den US-Finanzinvestor Fortress verkauft. Inzwischen gilt sie mit rund 155.000 Wohnungen als größtes börsennotiertes Immobilienunternehmen in Deutschland – und sorgt landauf, landab für schlechte Stimmung.

Wo die Yassines wohnen, ist es trist. In den kahlen Treppenhäusern im Auggener Weg 2 bis 6 im Stadtteil Weingarten bröckelt der Putz von grauen, fahlen Wänden, die irgendwann einmal gelb gewesen sein müssen. Überall zeigen sich die Spuren der vergangenen Jahre, in denen die Blocks mit 120 Wohnungen sich selbst überlassen waren.

Die Gagfah vermittelt den Eindruck, als sei sie für ihre Mieter da: Im Erdgeschoss hängt ein Glaskasten mit Telefonnummern, meist mit Stuttgarter Vorwahl. Der Hausmeister wird als "erster Ansprechpartner vor Ort" empfohlen. Wer irgendwo anruft, erzählen Mieter, weiß nie, wo er landet: In Freiburg, Stuttgart oder bei der Zentrale in Mülheim an der Ruhr.

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El-Abed Yassine hat sich schon oft bei der Gagfah gemeldet. Immer wieder kamen Handwerker in seine 96 Quadratmeter große Wohnung, für die er knapp 800 Euro Warmmiete bezahlt. Genutzt hat das wenig. "Die bleiben 20 Minuten und wechseln ein paar Schrauben", sagt der zehnfache Vater, dessen sechs jüngere Kinder zwischen 7 und 16 Jahren bei ihm und seiner Frau wohnen.

Vor knapp einem Jahr haben die Yassines mit ihrem Anwalt Ralf Ullrich ihre Miete selbstständig um zehn Prozent gekürzt. Auch ihre Nebenkostenabrechnung für 2009 haben sie nicht akzeptiert. Jetzt klagt die Gagfah gegen die Familie. Wenn sich die Anwälte beider Seiten in den kommenden Wochen einigen, ist eine außergerichtliche Lösung möglich. Ansonsten entscheidet das Gericht, wie es weitergeht.

Die Richterin Sabine Rothacher vom Freiburger Amtsgericht nutzt ihren Vor-Ort-Termin, um sich mit Ralf Ullrich, der Gagfah-Mitarbeiterin Annette Prottengeier und der Gagfah-Anwältin Constanze Oberkirch ein Bild von der Lage zu machen. Einige Mängel nehmen die Yassines eher hin und stellen sie nicht in den Vordergrund: zum Beispiel, dass in der Küche oft die Sicherung herausfliegt, weil fast alle Geräte über eine einzige Steckdose laufen. Dass er im Bad immer wieder Schimmel wegkratzen muss, erzählt El-Abed Yassine sogar erst, als der offizielle Besuch gegangen ist.

Das, worüber die Yassines in der Gerichtsverhandlung am meisten klagen, sind die Fenster. Sie sind undicht, die Rahmen morsch und verfault, in der Wohnung wird es nie warm. "Wir sind immer dick angezogen", sagt der Familienvater. Als die Kinder kleiner waren, hatte er das Fenster im Kinderzimmer mit einem Fahrradschloss gesichert; sie sollten es nicht öffnen können, beim Putzen war El-Abed Yassines Frau zuvor ein Flügel des Doppelfensters entgegengestürzt. Erst Ende September war dieses Jahr wieder ein Handwerker da, diesmal wegen des Fensters im Wohnzimmer.

Auch der Richterin Sabine Rothacher geht es nicht viel besser: Als sie selbst versucht, das Fenster zu öffnen, hält sie plötzlich den abgelösten Griff in der Hand. Doch der wacklige Fenstergriff ist im Vergleich zu allem anderen nur ein kleines Ärgernis, eher ein Symbol dafür, wie es hier eben läuft: Die Handwerker kommen kurz vorbei, die grundlegenden Probleme lösen sie nicht.

Ähnliches erleben Tausende andere Gagfah-Mieter bundesweit – Schwerpunkte sind Hamburg und Berlin, Beispiele in Baden-Württemberg gibt es in Leutkirch, Villingen, Konstanz und Heidenheim. Die Stadt Dresden, die 2006 rund 48 000 Wohnungen an die Gagfah verkauft hat, verklagte das Unternehmen im Frühling wegen Nicht-Einhaltung der vereinbarten Sozialcharta. Die Gagfah konterte mit einer Gegenklage und wirft der Stadt wirtschaftliche Motive für ihr Vorgehen vor.

Dann stellte Anfang Oktober die Börsenaufsicht Strafanzeige wegen des Verdachts auf Insiderhandel bei der Gagfah, ermittelt wird vor allem gegen den Geschäftsführer William Brennan. Er hatte vor der Dresdener Klage Aktien im Wert von 4,7 Millionen Euro verkauft – rechtzeitig vor dem folgenden Kursabsturz.

Vor zweieinhalb Jahren hatten die Gagfah-Mieter im Auggener Weg noch Hoffnung. Damals kamen zum ersten Mal die Dekane von der evangelischen und katholischen Kirche vorbei. Sie geißelten die Wohnsituation als "Skandal". Kein Wunder: Überall bot sich der Besucherrunde damals dasselbe Bild: Vermoderte, zugige Fenster, kaputte Böden, überlastete Steckdosen, Schimmel.

Damals, im Frühling 2009, war die Gagfah erst knapp eineinhalb Jahre für die Verwaltung der Wohnungen zuständig. Ende 2005 hatte sie der Freiburger Stadtbau (FSB) ein Gesamtpaket mit 743 Wohnungen abgekauft. Zunächst hatte die FSB sie weiter verwaltet, dann übernahm der neue Besitzer selbst. Wenig später zeigten sich die Probleme im Auggener Weg.

Die Gagfah handelte nicht, sie reagierte mit Floskeln und Textbausteinen – sowohl auf die Beschwerden ihrer Mieter als auch auf die Kritik einer wachsenden Öffentlichkeit. Später schaltete sich die grüne Bundestagsabgeordnete Kerstin Andreae ein, der grüne Oberbürgermeister Dieter Salomon schrieb der Immobiliengesellschaft einen Brief, ein Gespräch kam bis heute nicht zustande.

Auch auf eine BZ-Anfrage antwortet die Gagfah nur per E-Mail: "Wir haben ein originäres Interesse, dafür zu sorgen, dass die Wohnungen in einem guten Zustand sind. Selbstverständlich kommen wir der Instandhaltungspflicht nach. Das heißt, erforderliche Reparaturen werden durchgeführt." Schöne Worte, wenig Taten und keine Änderung in Sicht.

Wir hatte es so weit kommen können? Hätte man bei der Freiburger Stadtbau nicht ahnen müssen, wem man Wohnungen und Mieter anvertraut? Nein, sagt die FSB. Ende 2005 sei die Gagfah als "seriöser Partner" erschienen, betont Stadtbau-Chef Ralf Klausmann heute, das Unternehmen sei der einzige Bewerber gewesen, der sich auf eine Sozialcharta einlassen wollte, wenn auch nur befristet auf fünf Jahre. Die Entscheidungen zum Verkauf von FSB-Wohnungen fielen 1998 und 2001. Als die Sache Ende 2005 offiziell wurde, lobte nicht nur Ralf Klausmann die vereinbarte Sozialcharta in den höchsten Tönen. Die Umsetzung erfolgte schließlich in mehreren Etappen.

Noch sicherer fühlte man sich, weil auch die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte bei ihrem Verkauf des Gesamtunternehmens Gagfah an Fortress eine eigene Sozialcharta abgeschlossen hatte – diese gilt sogar bis 2014. Allerdings haben die Grünen die Bundesregierung bisher erfolglos aufgefordert, Druck auf ihren Vertragspartner zu machen. Und nach Einschätzung des Mieterbunds gehen die gängigen Sozialchartas ohnehin nicht über das Mietrecht hinaus.

Zumindest die fünfjährige Frist, die in Freiburg Stadtbau und Gagfah vereinbarten, ist inzwischen abgelaufen. Nach Einschätzung von Ralf Klausmann wurden alle Vereinbarungen eingehalten – auch das Versprechen des Unternehmens, mindestens vier Millionen Euro in die Wohnungen zu investieren. Die Gagfah habe sogar mit zehn Millionen Euro saniert: allerdings nur einen Teil der Wohnungen, vor allem im Stadtteil Landwasser.

Im Auggener Weg dagegen wurde gespart. Das ist die übliche Gagfah-Strategie: Manche Wohnungen werden in Schuss gehalten, andere sich selbst überlassen. Und die Mieter? Die meisten resignieren. Außer den Yassines hat sich in Freiburg nur eine andere Familie auf das Angebot der Grünen und der Kirchen eingelassen und sich juristische Unterstützung finanzieren lassen. Viele sind alt oder sprechen schlecht Deutsch – Anwälte und Gerichte sind für sie eine fremde, beängstigende Welt.

Kerstin Andreae fordert nun die Stadt Freiburg auf, Gagfah-Mietern die Mitgliedschaft in einem Mieterverein zu bezahlen. In Münster gibt es ein ähnliches Modell. Hilfreich wäre auch eine andere Rechtsgrundlage: In manchen Bundesländern können Städte Wohnungen auf Kosten der jeweiligen Wohnungsgesellschaft sanieren lassen – in Baden-Württemberg nicht. Den Yassines bleibt erstmal nur die Hoffnung auf ein Einlenken der Gagfah. Gagfah-Anwältin Constanze Oberkirch hat am Dienstag zumindest bei einem der maroden Fenster angedeutet, über eine Erneuerung könne man reden.