Leipzig: Nazi-Strukturen zerschlagen, linke Politik verteidigen: Kein Tag länger das “nationale Zentrum”!

Fence Off

Aufruf der Antifa Klein-Paris (AKP) zur antifaschistischen Demonstration am 24. September 2011

Seit mehr als zwei Jahren gibt es im Leipziger Stadtteil Lindenau ein Nazi-Zentrum, das zum einen als NPD-„Bürgerbüro“, zum anderen als Treffpunkt der „Freien Kräfte“ genutzt wird. Eine Mischung aus NPDlern, „autonomen Nationalisten“, Hooligans und anderen Nazis nutzt die Immobilie in der Odermannstraße zur Vorbereitung von Aktionen, als Schulungsraum und Rückzugsort.

Wir sagen: Schluss damit!

 

Mit der Kampagne „Fence off“, die im Februar gestartet ist, wollen wir zum lautstarken Widerstand aufstacheln, der klar macht: Wir gönnen bekennenden Nationalsozialisten keine Räume und lassen ihrer Propaganda keinen Platz. Mit einer Demonstration soll dieser Standpunkt auf die Straße getragen werden – direkt vor das Nazi-Zentrum. Dessen Schließung ist eines unserer Ziele, das wir vor Ort unterstreichen werden.

 

Antifaschismus in schlechter Gesellschaft


Zugegeben: Es mutet obskur an, dass mehr als ein Jahrzehnt nach dem „Antifa-Sommer“ der damaligen Bundesregierung noch Antifa-Demonstrationen stattfinden, die ihre Opposition zur Verfasstheit der heutigen Gesellschaft betonen. Das Bezeugen einer Anti-Nazi-Gesinnung ist schließlich ein hegemoniales Anliegen geworden, das von einigen Parteien und Verbänden verfochten und durch die ‚Zivilgesellschaft’ institutionalisiert wird. Ein „autonomer“ oder „revolutionärer Antifaschismus“ wird dadurch obsolet: Er findet sich wieder in derselben Sitzblockade mit Parteivorständen bis hin zum Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages – oder er eilt ihnen durch feuerwehrartigen Aktivismus in radikaler Pose voraus.

 

Eingestanden außerdem: Linker Antifaschismus beansprucht in weiten Teilen dasselbe wie der staatlich gedeckte Antifaschismus – dieselben Förderprogramme, den trittsicheren Boden des Grundgesetzes für die Legitimierung ‚zivilen Ungehorsams’ und den prinzipiellen politischen ‚Gestaltungswillen’ für die nationale Gemeinschaft; also ein Deutschland ohne Nazis. Das war gewiss schon vor dem „Antifa-Sommer“ so, nur dass es heute – angesichts beispielsweise der Mobilisierungserfolge von Dresden – nicht mehr diskussionswürdig scheint, ob eine in dieser Konstellation betriebene Bündnispolitik überhaupt vernünftig sein kann. Genau diese Frage ist aber politisch entscheidend, denn:

 

Bei aller Euphorie und dem Drang, jede Niederlage der rechten Szene als antifaschistischen Erfolg auszuweisen, darf nicht vergessen werden, wann und warum sich Ordnungspolitik und deren kommunale AkteurInnen gegen Nazis wenden: dann, wenn sie zum Störfall der öffentlichen Disziplin und zum Ärgernis des staatsbürgerlichen Ordnungsdenkens werden; nicht aber, weil Nazis in den Kategorien von Befehl und Gehorsam denken oder sie prinzipiell verächtlich über Menschen urteilen und ebenso handeln. Denn solche Einstellungen werden in der deutschen Gesellschaft an unzähligen Orten reproduziert, sei es durch rassistische Polizeikontrollen, Pressekampagnen oder durch jenes Alltagshandeln, das Menschen nur als produktive Anhängsel ihrer Arbeit anerkennt oder auf ihre Eignung als untergebene StaatsbürgerInnen reduziert.

 

Das hegemoniale Vorgehen gegen Nazis ist gerade keine Kritik der nationalsozialistischen Ideologie und weit verbreiteten Denkformen wie Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus und Homophobie, sondern ein staatliches Instrument gegen einen als bedrohlich interpretierten „Extremismus“. Nicht ohne Grund wollen sich das bundesdeutsche Familienministerium und das sächsische Innenministerium von Zivilgesellschafts-Initiativen eidesstattlich versichern lassen, dass sie auf dem Boden der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ stehen und der etatistischen Demokratie-Auffassung des Gewaltmonopolisten zustimmen.

 

Antifaschismus als Anti-Extremismus


Einerseits ist es offenkundiger Irrsinn, ausgerechnet Initiativen, die sich der Stärkung demokratischer Partizipation verschrieben haben, genau hierfür gesondert unterschreiben zu lassen. Andererseits wird durch diesen autoritären Akt klar, wo der geduldete Antifaschismus endet: Dort, wo er sich eine Kritik der Gesellschaft leistet, wo er sich nicht mehr institutionalisieren und auf staatliche Zwecke einschwören lässt, wo er das Platznehmen neben Wolfgang Thierse oder eine Radtour mit Ströbele aus politischen Erwägungen ausschlägt.

 

Am 19. Februar in Dresden war genau solch ein Schulterschluss beabsichtigt, und er hat genau dort die Grenzen des Mythos vom antifaschistischen Deutschland aufgezeigt: Die „Massenblockaden“ waren an einigen Stellen harmlos genug, um für die Außenwelt das ‚bessere’ Dresden zu porträtieren. An anderer Stelle waren die Antifa-Aktionen wirksam genug, um der Polizei zum Erklären des „Notstands“ zu verhelfen, wie dafür wohl auch ein Angriff von 200 Nazis auf das Kultur- und Wohnprojekt „Praxis“ in Dresden-Löbtau ‚hilfreich’ war, während die Polizei den Verkehr geregelt hat. Nachdem sie die rechten „Extremisten“ anderswo gezügelt hatte, ging sie über zu einer illegalen Razzia gegen linke „Extremisten“, die verdächtigt werden, Proteste koordiniert, sich also nicht durchweg auf die Ordnungspolitik ver- und eingelassen zu haben.

 

Als am selben Tag in Leipzig einige hundert Menschen spontan gegen die Ankunft von 400 Nazis auf dem Leipziger Hauptbahnhof protestierten, wurden diese Aktion durch die Leipziger Volkszeitung (LVZ) umgehend als „Ausschreitungen“ tituliert. In einem LVZ-Bericht vom 31. Januar wurden AntifaschistInnen, die gegen das Nazi-Zentrum in Lindenau protestiert haben, abwechselnd als „Linke“, „Autonome“, „Linksextreme“ und schließlich „Jugendliche des schwarzen Blocks“ bezeichnet. – In diesem „Extremismus-Diskurs“, der gerade kein Diskurs, sondern eine offiziöse Sprachregelung zur politischen Feindbildpflege ist, können AntifaschistInnen nichts gewinnen als den inhaltsleeren Vorwurf, „extremistisch“ zu sein – samt allen repressiven Folgen.

 

Nie wieder Händchenhalten mit Deutschland


Zu einem staatsnahen Antifaschismus, der statt auf Kritik nationalsozialistischer Ideologie auf solche abstrahierenden Zuschreibungen gegen „rechts“ wie „links“ aufbaut, wählen wir daher den größtmöglichen Abstand. Wer sich dagegen mit dem staatlichen Antifaschismus gemein macht, bereitet die Repression gegen jene vor, die sich eine vernünftige Kritik an dieser Gesellschaft und dem Staat vorbehalten. Wenn wir gegen ein Nazi-Zentrum auf die Straße gehen, dann also nicht, um seine Unvereinbarkeit mit der öffentlichen Ordnung, einer toleranten und weltoffenen Stadt oder einem geläuterten Deutschland zu behaupten – sondern umgekehrt: um zu kritisieren, dass ein Nazi-Zentrum genau unter diesen Bedingungen seinen bisher unstrittigen Ort gefunden hat.

Diese Kritik ist Aufgabe einer radikalen Linken und eines Antifaschismus, der schon dadurch emanzipativ wirkt, dass er sich selbstbewusst vom Staat und dessen Gewalten emanzipiert; dass er an die Stelle rechter Strukturen und Ideologien nicht die Integrativleistung gewöhnlicher Gemeinschaften oder alternativen Ordnungsdenkens setzt, sondern unsere Vorstellungen eines selbstbestimmten Lebens, einer fortschrittlichen Jugendkultur und einer von nationaler Vergemeinschaftung wie materieller Konkurrenz befreiten Gesellschaft.

An diesen Zielen festzuhalten, sie gegen Nazis ebenso verbissen durchzusetzen, wie wir sie gegen staatliche Extremistenfresser zu behaupten haben, ist der nicht-versöhnbare Grund für unsere Demonstration und ersetzt an dieser Stelle die üblichen verbalradikalen Abschlussparolen.

 

 

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