Einhundert Menschen verbringen die Nacht bei einer Roma-Familie, deren Sohn abgeschoben werden soll. Die Polizei VON CHRISTIAN JAKOB
verzichtet vorerst darauf, den Mann zu holen.
DELMENHORST taz | 18 Jahre lebte Fitim M. als Geduldeter in Delmenhorst. Am Dienstag sollte dies ein Ende haben: Ein Abschiebe-Charterflug hätte den 28-jährigen Ashkali nach Serbien bringen sollen - in ein Land, in dem der hörbehinderte M. noch nie war, dessen Sprache er nicht spricht und wo er keine Angehörigen hat. Doch M.s Platz im Flugzeug blieb leer. In letzter Sekunde wurde seine Abschiebung abgesagt.
Rund einhundert Menschen hatten die ganze Nacht vor dem Haus der Familie M. im Delmenhorster Stadtteil Adelheide ausgeharrt. Sie wollten die elfköpfige Familie nicht alleinlassen, wenn Polizei und Ausländerbehörde klingeln, um den Sohn abzuholen. Der war aufgefordert worden, sich um vier Uhr früh "bereitzuhalten". Bis weit nach Sonnenaufgang warteten die Unterstützer aus Delmenhorst, Oldenburg und Bremen dicht gedrängt hinter dem Jägerzaun des Hauses, während die Geschwister von Fitim M. ihnen Tee aus dem Fenster reichten. Doch niemand kam, um M. zum Flughafen zu bringen.
"Der Verzicht auf die Abschiebung hatte einsatztaktische Hintergründe", sagt ein Sprecher der Delmenhorster Polizei. Was darunter zu verstehen ist, dazu möchte er "nicht ins Detail gehen". An der Sachlage allerdings habe sich nichts geändert. "Das ist nur aufgeschoben."
Die Stadt verweist darauf, dass M., der als Zehnjähriger mit seinen Eltern aus dem Kosovo nach Deutschland kam, hier sieben Mal straffällig geworden sei. Deshalb komme er für die Bleiberechtsregelung nicht in Betracht. Herrn M.s "soziale und wirtschaftliche Integration ist mangelhaft", sagt der Sprecher der Stadt Delmenhorst, Timo Frers.
Das sehen nicht alle so. Abgeordnete von FDP und Grünen setzten sich im Stadtrat und beim Bürgermeister für den Tischler ein, am Montagnachmittag hielten rund 30 Personen eine Mahnwache vor dem Rathaus ab.
Die Roma-Selbsthilfeorganisation "Alle bleiben" spricht von einer "selbst erfüllenden Prophezeiung": "Geduldeten Roma-Jugendlichen wird keine Chance gegeben, sie werden sozial ausgegrenzt. Das führt zu unglaublichem Frust. Dann sammelt die Ausländerbehörde Beweise, dass sie ,nicht integriert' sind", heißt es in einer Erklärung von Alle bleiben zum Fall M. Die Volksgruppe der Ashkali werde in Serbien "verfolgt und diskriminiert". M. habe dort keine Perspektive.
M. hat beim Oberverwaltungsgericht Lüneburg Widerspruch gegen seine Abschiebung eingelegt. Das schrieb der Stadt Delmenhorst, es gehe davon aus, dass diese die Abschiebung vorerst nicht durchsetze.
In Niedersachsen leben über 1.000 ausreisepflichtige Roma aus dem Kosovo. Innenminister Uwe Schünemann (CDU) setzt auf ein harte Gangart: Anfang Mai wies er die Ausländerbehörden darauf hin, dass sie bei Abschiebungen "keinen Ermessensspielraum" hätten.