Rechte. Fassungslos blickt man im Remstal auf den Anschlag gegen Ausländer.Von Annette Clauß, Frank Rodenhausen, Kathrin Wesely
Duran Tecer steht auf seiner Streuobstwiese hoch über dem Remstal und schaut auf die verkohlten Trümmer seines Gartenhäuschens. Es ist Montagvormittag, die Sonne strahlt. Doch Tecers Augen sind feucht, seine Stimme zittert. „Es hätte passieren können, dass wir heute fünf Tote beerdigen müssen”, sagt der 51-jährige Mann aus Winterbach. „Aber Gott sei Dank haben wir Glück gehabt, und unsere Kinder sind verschont geblieben.” Tecers drei Söhne, 28, 26 und 20 Jahre alt, und sechs ihrer Freunde sind in der Nacht zum Sonntag von einer Gruppe Rechtsradikaler angegriffen, geprügelt und verfolgt worden. Sie hatten auf dem Grundstück des Vaters gegrillt, während auf einer Nachbarwiese ebenfalls eine Party im Gange war - wie sich später herausstellte, eine Geburtstagsfeier für eine junge Frau aus Schorndorf, die wie ihre etwa 20 Gäste der rechten Szene zuzuordnen ist.
Duran Tecer erzählt, dass sein ältester Sohn von einem dieser Gäste auf dem Feldweg, der zwischen den Grundstücken verläuft, mit dem Auto angefahren worden sei. Etwas später seien die Angreifer mit Äxten auf seine Söhne und deren Freunde losgegangen. Fünf der jungen Leute flüchteten in das Gartenhaus der Familie Tecer. „Die haben geschrien: Kommt raus, wir machen euch fertig. Dann haben sie wohl Benzin verschüttet und das Haus angezündet”, sagt Tecer. Die jungen Männer wählten den Notruf. Ein Polizist am Telefon riet ihnen dringend, ihren Unterschlupf zu verlassen. Sie entkamen mit knapper Not aus dem brennenden Häuschen, in dem auch Spiritus gelagert war. „Sie sind abgehauen - jeder in eine andere Richtung”, schildert Tecer. Er spricht von Fußtritten der Rechten gegen die Flüchtenden und von seinem jüngsten Sohn, der mit einer Rippenprellung im Krankenhaus liege. Der älteste Sohn habe eine gebrochene Hand und einen verletzten Fuß. „Meine Kinder und ihre Freunde feiern hier oft am Wochenende, wenn schönes Wetter ist”, sagt der türkischstämmige Duran Tecer. Seit 1987 wohnt er in Winterbach, vor sechs Jahren kaufte er das Gelände. „Wir hatten nie Probleme.”
Der Rems-Murr-Kreis ist im vergangenen Jahrzehnt immer wieder wegen rechtsextremer Straftaten in die Schlagzeilen geraten. Dabei bietet der Kreis gar nicht jenen Nährboden, von dem man annahm, er begünstige Rechtsextremismus: die Arbeitslosigkeit ist niedrig, der Ausländeranteil gering. Eine Forschungsgruppe um den Tübinger Pädagogik-Professor Josef Held ist 2008 zu verblüffenden Ergebnissen gekommen. Die Rechtsextremisten sind überwiegend gut integrierte junge Leute, die die Schule besuchen oder eine Ausbildung absolvieren und soziales Ansehen genießen, sofern sie die Grenze zur Illegalität nicht überschreiten. Das Problem, so Held, sei nicht, dass es rechtsextreme Gruppen gebe, sondern „eine politische Kultur, die eine Akzeptanz gegenüber Rechtsextremismus entwickelt”. So würden rechte Übergriffe oft als Ausrutscher oder Trunkenheitsdelikte heruntergespielt und die Übeltäter außerhalb des eigenen Vereins, der eigenen Kommune oder Schule vermutet.
Von einem Hort der rechten Szene will man auch in Winterbach nichts wissen. Brandattacken auf Ausländer verbindet man mit Hoyerswerda, nicht aber mit der schwäbischen Provinz. Der Fachwerksort Winterbach mit seinen fast 8000 Einwohnern liegt idyllisch am Fuße des Schurwaldes, bisher schien die Harmonie durch nichts gestört. Morgen lädt der Homöopathische Verein zum Vortrag „Schlafen wie ein Murmeltier”, übermorgen pflanzt der Heimatverein eine Osterlärche. Die Rechtsradikalen seien „im Gemeinderat nie ein Thema gewesen”, sagt etwa Andreas Bloss von der Bürgerlichen Wählervereinigung (BWW). Neu ist das Nazi-Phänomen in Winterbach freilich nicht. Vor zwölf Jahren registrierte die Polizei, dass sich eine Dorfkneipe zu einem Szenetreff für Jugendliche mit rechter Gesinnung entwickelte. Rund 100 Personen versammelten sich dort jeden Freitagabend. Auch Aktivisten aus Stuttgart reisten an. Nach einer Großrazzia und der Schließung der Kneipe sei jedoch Ruhe eingekehrt. „Das hätten wir doch mitbekommen, wenn sich da wieder etwas organisiert hätte”, sagt Bloss.
Auch der Winterbacher Bürgermeister Albrecht Ulrich (Freie Wähler) versichert, der Gemeinde sei von rechten Umtrieben nichts bekannt. „In den 80er und 90er Jahren war das mal ein Thema”, sagt Ulrich. „Wir haben danach auch nie eine Meldung von der Polizei bekommen.” Dabei hatte es im Flecken erst im vergangenen Herbst ein Konzert mit der rechtsextremistischen Band „Kinderzimmerterroristen” gegeben, 100 Neonazis hat der Verfassungsschutz damals gezählt. Auch die Tatsache, dass der NPD-Kreisverband unter einer Postfachadresse in Winterbach firmiert, ist dem Bürgermeister nicht bekannt. Der Vorfall werde immerhin in der Sitzung des Kultur- und Verwaltungsausschusses erörtert: „Die Gemeinderäte sollen darüber reden und sich distanzieren. So etwas kann man als Gemeinde nicht akzeptieren.”
Der Tatort auf dem Gütle hatte schon zwei Jahre nach der Gaststättenschließung in Winterbach für Aufsehen gesorgt. Im August 2000 wurden fünf Gäste einer Grillparty von vermummten Tätern niedergeknüppelt. Die Opfer waren Anhänger der Jungen Nationaldemokraten (JN), der Jugendorganisation der NPD. Die Grillparty mit 50 Gästen wurde auf dem Engelberg gefeiert. Der Grundstücksbesitzer, ein 35-jähriger JN-Aktivist, werde seit Jahren überwacht, sagt Ralf Michelfelder, Leiter der Polizeidirektion Waiblingen. Dass am Samstag auf dem Stückle gefeiert werden sollte, habe man gewusst. Noch am Nachmittag habe eine Streife vor Ort eine „Ansprache” gehalten und den Veranstalter vor Randale und dem Rufen rechter Parolen gewarnt. Dass die Sache in der Nacht eskalierte, sei nicht vorhersehbar gewesen.
Polizeisprecher Klaus Hinderer: „Es sieht so aus, als seien die falschen Leute zur falschen Zeit aufeinandergetroffen.” Das habe auch eines der Opfer geäußert. Nichts deute darauf hin, dass die Tat geplant worden sei. Der Pädagoge Held weist jedoch auf den symbolischen Charakter der Tat hin: „Das Einsperren und dann Niederbrennen war im Osten eine bevorzugte Strategie der Nazis im Zweiten Weltkrieg gewesen.” Und das sei auch jedem bekannt, der sich in der Szene bewege. Dass ein Großteil der Gäste von außerhalb kam, überrascht Held nicht. „Lokalismus ist keine Bewegung von Hinterwäldlern. Sie geht vom Dorf aus und flutet in die Städte hinein.”
Der Übergriff vom Sonntagmorgen zeige die „enorme Gewaltbereitschaft” der rechten Szene, sagt der Polizeichef Michelfelder. Im Zusammenspiel mit Alkohol sei dies eine explosive Mischung. Man begegne dem Phänomen seit zehn Jahren mit einem großen Aufwand. Nachdem im Jahr 2000 in Waiblingen ein Asylbewerberheim angezündet worden war, richtete die Polizei die Koordinierungsstelle Rechtsextremismus (Korex) ein. Rund zehn Prozent der kriminalpolizeilichen Tätigkeit widme sich seither dem Thema. Wie Michelfelder glaubt, mit Erfolg: von 2006 bis 2010 sei die Zahl der Gewalttaten mit rechtsextremem Hintergrund von zwölf auf zwei zurückgegangen. „Wir wissen über die rechte Szene Bescheid und begegnen ihr mit null Toleranz.” Auch jetzt sei man bemüht, die Tat lückenlos aufzuklären und die Verantwortlichen mit aller Härte zur Rechenschaft zu ziehen, sagt Michelfelder. „Die Sache hat bei uns zurzeit absolute Priorität.”
Vorerst hat man die am Sonntag festgenommenen 14 verdächtigen Personen freilich wieder auf freien Fuß setzen müssen. Die eigens gegründete 16-köpfige Ermittlungsgruppe „Gartenhütte” habe eine direkte Beteiligung nicht nachweisen können. Auch wie der Brand gelegt wurde, sei noch nicht abschließend geklärt. Für Duran Tecer und seine Familie ist seit dem Wochenende nichts, wie es einmal war. „Ich werde das Grundstück wohl verkaufen”, sagt der Familienvater: „Meine Kinder wollen nicht mehr hierher kommen.”