Dortmund. Keine Maus passte mehr am 19. Dezember 2009 in die Kneipe „Big Boss“ am Borsigplatz. Der BVB wurde 100, und alle feierten mit. Bis nach Mitternacht die Polizei kam: NPD-Ratsmitglied Axel Thieme lag bewusstlos am Boden.
Wegen Körperverletzung muss ein Kneipengast (41) jetzt 1800 Euro Geldstrafe zahlen, so lautete gestern das Urteil des Amtsrichters Mario Pawlowski. „Auf einmal lag Thieme bei mir unter dem Tresen, er stand auf, wollte wieder auf seinen Platz“, erinnerte sich die Wirtin. Doch dann sei der andere Gast „völlig ausgerastet“, habe noch einmal zugeschlagen.
Die Rede ist auch von einem Barhocker, der durch die Luft flog. Doch dass der Angeklagte damit tatsächlich zuschlug, ließ sich im Prozess nicht erhärten. Was auch daran lag, dass die zahlreich erschienenen Zeugen damals ordentlich „getankt“ hatten – und alle etwas anderes sahen.
Widersprüchliche Zeugenaussagen
So sagte ein Rentner erst aus voller Überzeugung: „Der junge Mann knallte dem Thieme einen Hocker gegen die Birne“, um dann auf Nachfrage des Staatsanwaltes zu erklären. „Was genau passierte, habe ich nicht gesehen, der lag ja halb hinter dem Tresen.“ Eine 66-Jährige dagegen schwor Stein und Bein, dass der Angeklagte den Hocker zwar in der Hand hielt, jedoch nicht zuschlug. Nach eigener Aussage hatte sie sich „zwölf Stunden“ in der Kneipe aufgehalten, „aber nur langsam getrunken“.
Wie dem auch sei: Der Angeklagte selbst räumte lediglich ein, dem NPD-Politiker „eine gescheuert“ zu haben. Das Opfer, das Gesichtsprellungen und ein Veilchenauge davontrug, konnte sich auch nicht an alles erinnern, da es regelrecht ko geschlagen wurde: „Ich kam von der Toilette, da hatte sich dieser Herr auf meinen Platz gesetzt. Ich bekam ein Glas Bier ins Gesicht geschüttet, weiß danach nichts mehr. Dann kam der Notarzt.“
Drohung als mögliches Motiv für die Eskalation
Nicht nur aus Streit um den Platz sind die beiden möglicherweise aneinandergeraten. Auf Nachfrage von Verteidiger Andreas Kost sagte der Angeklagte und auch Zeugen, dass das NPD-Ratsmitglied zu Beginn des Streits gedroht habe, den gerichtsbekannten Neonazi Siegfried Borchardt „vorbeizuschicken“. Auch dies, so der Staatsanwalt, komme als Motiv für die Eskalation in Frage. Die Behauptung Axel Thiemes, der Angeklagte sei ein „stadtbekannter Schläger“, verwies das Gericht mit klaren Worten ins Reich der Phantasie. Die einzige Voreintragung des Mannes: Trunkenheit im Straßenverkehr.
(Kathrin Melliwa)