In Honduras ist die Lage auch ein Jahr nach den sogenannten "Wahlen"
unter Militärregime unverändert. Vom 6.-20. Dezember sind 10 Journalist_innen und Aktivist_innen
aus Deutschland und Österreich vor Ort unterwegs, um sich ein Bild von dem,
was in Honduras geschieht, zu machen. Besonders interessiert sie dabei
die aktuelle Dynamik der breiten Widerstandsbewegung. Der erste Tag gibt einen Einblick in die sogenannte Alternative Wahrheitskommission, die aktuellen Landkonflikte, sowie die Arbeit der politischen Jugendgruppe Los Necios.
Tag 1 | Ankündigung Delegation | Blog
Die Alternative Wahrheitskomission
Wir sind in Tegucigalpa, der Hauptstadt von Honduras, angekommen. Ein Treffen mit der Alternativen Wahrheitskommission
steht als erster Programmpunkt an. Diese will die Geschehnisse des
Putsches gegen die Regierung von Manuel Zelaya am 28. Juni 2010
rekonstruieren und sowohl Menschenrechtsverletzungen während und seit
dem Umsturz wie auch die Verletzung der honduranischen Verfassung
dokumentieren.
Die Alternative Wahrheitskommission (Comisión de Verdad) wurde als Antwort auf die Offizielle Wahrheitskommission (Comisión de la Verdad, CVR)
gegründet. In dieser untersuchen die am Putsch beteiligten
Institutionen quasi ihre eigenen Taten. Es ist eine absurde Show, um den
Staatsstreich ein weiteres Mal zu legitimieren. Der Alternativen
Wahrheitskommission stehen prominente internationale Persönlichkeiten
vor, wie beispielsweise Luis Carlos Nieto, Verfassungsrichter vom
Obersten Gerichtshof in Spanien.
Der
US-Amerikaner Tom Loudon, technischer Leiter der Kommission, berichtet
uns von den drei Stufen, auf denen die Kommission arbeitet. Zunächst
sollen die Opfer von Menschenrechtsverletzungen interviewt werden und die Vorfälle sowie Täter identifiziert werden, um ein historisches Archiv zu schaffen. Dann sollen die Verfassungsverstöße untersucht und analysiert werden. Drittens wird der historische und sozioökonomische Hintergrund des Putsches erfasst.
Ende Juni 2011
soll der erste vorläufige Bericht vorliegen. Im Oktober dann wird der
endgültige Kommissionsbericht in mehreren Sprachen veröffentlicht.
Dieser soll als Grundlage für eine juristische Strafverfolgung der
Verantwortlichen und direkten Ausführenden des Putsches dienen. Der
Internationale Strafgerichtshof im niederländischen Den Haag hat schon
Interesse angemeldet.
Die offizielle Wahrheitskommission
ist allein aufgrund der Existenz der alternativen Kommission zu einer
besseren Arbeit angehalten. Das offizielle Gremium beruft sich auf die
Verhandlungen von San José in den Monaten nach dem Putsch und erhält
erhebliche Finanzmittel aus den USA und der EU. Von der Bevölkerung wird
sie allerdings abgelehnt. Die Menschenrechtsorganisation COFADEH
berichtet, dass Zeugenaussagen unter Druck erzwungen werden. Für die
Alternative Wahrheitskommission hat der Zeugenschutz oberste Priorität.
Tom Loudon hält die aktuell von der Internetplattform Wikileaks
veröffentlichten Dokumente für eine Bereicherung der Arbeit der
Kommission. Schon durch das Schreiben des US-Botschafters Hugo Llorens
an das US-Außenamt, in dem er dem Umsturz knapp einen Monat später für
illegal erklärt, wird deutlich: die US-Regierung hätte Sanktionen
ergreifen müssen. Insgesamt 1.948 Dokumente mit Bezug auf Honduras sollen darüber hinaus noch existieren.
Aktuelle Landkonflikte in Honduras
Der
Landkonflikt in Bajo Aguán im Norden von Honduras spitzt sich fast
täglich weiter zu. Gleichzeitig gibt es eine massive Kampagne der
regimenahen Medien, von denen die Aktivisten der dort ansässigen
Bauernbewegungen als „Terroristen“ diffamiert werden. Wir treffen uns
spontan mit Jesús Garza vom zivilgesellschaftlichen Netzwerk CHAAC
(Coalición Hondureña de la Acción Ciudadana). Dieses ist vor allem
gegen das Freihandelsabkommen mit den USA und das noch zu ratifizierende
Assoziierungsabkommen mit der EU aktiv.
Das Assoziierungsabkommen (ADA) mit
Zentralamerika wird für die EU vor allem einen neuen Absatzmarkt für
Fleisch- und Milchprodukte schaffen. Gleichzeitig öffnet sich eine
Importmöglichkeit von Mais und Zucker für die Herstellung von Ethanol. Dies bedeutet eine große Konkurrenz für die kleinen und mittelständischen Agrarbetriebe in Honduras sowie eine Gefährdung der Ernährungssouveränität
der Bevölkerung durch den Export von Grundnahrungsmitteln. Mit der
Unterzeichnung des ADAs wurde der durch illegale Wahlen ins Staatsamt
gebrachte Porfirio Lobo als Präsident anerkannt.
Garza erklärt uns als Agrarexperte auch die beiden Komponenten des Landkonflikts in Bajo Aguán. Zum einen geht es um Ländereien, die ehemals im kollektiven Besitz waren
und im Zuge der Agrarreform von 1992 in den folgenden Jahren an das
Agrarministerium verkauft wurden. Dies veräußerte es dann an Unternehmer
wie Miguel Facussé. Hier waren Manipulation und Drohungen im
Spiel. Die Armut der Bauern und Hierarchien innerhalb der Kollektive
wurden ausgenutzt, um Land aufzukaufen. So gründete sich die Bauerngewerkschaft MUCA, um eine Rückgabe der 11.000 Hektar zu fordern. 700 Familien besetzten Fincas.
Seit einigen Tagen werden diese Familien gewaltsam mit Einsatz des Militärs geräumt. Dieses drang sogar in Einrichtungen des Agrarministeriums
ein, um Unterlagen zu beschlagnahmen. Damit schützt es ganz
offensichtlich die Interessen des Großgrundbesitzers Facussé, der
ausgedehnte Palmölplantagen in der Region besitzt und darüber
hinaus als maßgeblicher Finanzier des Putsches 2009 gilt. In Manier der
kolumbianischen Aufstandbekämpfung erscheinen Fotomontagen, die die
Bauernkollektive als Guerillagruppen kriminalisieren und die paramilitärisch organisierte Privatarmee Facussés als ihre Opfer darstellen.
Daneben gibt es einen weiteren Konflikt in der Region von Bajo Aguán. Dabei geht es um das ehemalige Gebiet des CREM, einer Ausbildungsstätte für die in den 1980er Jahren von den USA gegen das sandinistische Nicaragua aufgebauten Contra-Milizen.
Das Agrarministerium erklärte dieses Gebiet zu „in Staatsbesitz
übergegangenes Land“ und vergab die Landtitel zunächst an Kooperativen,
die heute in der Bauerngewerkschaft MCA organisiert sind. 1992 werden die Ländereien dann aber von der Kreisregierung Trujillo illegale ebenfalls an den Unternehmer Facussé verkauft. Dieser fordert nun Entschädigungszahlungen von der Regierung und lässt Überfälle auf die Bauern verüben.
Am
Mittwoch werden wir als Teil einer 50-köpfigen Karawane von Angehörigen
der Presse und der Zivilgesellschaft nach Bajo Aguán aufbrechen.
Los Necios
Am Abend hatten wir ein Treffen mit der politischen Jugendgruppe Los Necios.
“Die Ungehorsamen” verstehen sich als Angehörige der „Generation Reagan“.
Sie arbeiten seit elf Jahren in den verschiedenen marginalisierten
Vierteln von Tegucigalpa und sind auch an den Universitäten präsent. Sie
waren quasi einer der Verbindungen zwischen dem gestürzten Präsidenten Manuel Zelaya und der zivilgesellschaftlichen Bewegung.
Gilberto Rios: „Es gibt viele historische und aktuelle Bewegungen in Lateinamerika, auf die wir uns positiv beziehen, aber Honduras muss seinen eigenen Weg finden.
Hier gibt es so viele Realitäten und Ausbeutungsverhältnisse; da gibt
es die Landarbeiter, die Bewegung der Garifuna (aus Afrika stammender
Bevölkerungsteil an der Küste), die Indigenen, die feministische
Bewegung. Das, was wir in gemeinsamen Diskussion entwickeln, erscheint
uns viel wichtiger und tragfähiger, als alles, was wir uns anlesen
könnten.“
Vanessa Mariaga: „Wenn sich die Widerstandsbewegung gegen den Putsch als Partei
aufstellt, läuft es irgendwann auf die Frage heraus, wen wähle ich
jetzt: die Konservativen, die Liberalen oder die FNRP? Wir versuchen den
Leuten klarzumachen: Ihr müsst euch selbst überlegen, was ihr wollt und
braucht. Die Leute dürfen keine Angst vor politischer Macht haben, sie
müssen sie sich selbstverantwortlich aneignen.“
Geraldo Torres: „Die politische Bildung und Organisierung ist die derzeit wichtigste Arbeit. Die Demokratiebewegung wird nicht schwächer, sie wird stärker. Die Dynamik
ist eine andere geworden, es sind nicht mehr Tausende auf der Straße.
Aber jetzt gibt es strategische und inhaltliche Treffen, die es vorher
nicht gab.“