Wenn aus vermeintlichem Antisexismus..

Rote Karte gegen Sexismus

... eine Reproduktion von Sexismus wird.
Sexismus ist ein permanentes Streitthema innerhalb der radikalen Linken. Einige kommende und vergangene Ereignisse haben uns bewogen, einige Aspekte dieser Debatte an konkreten Situationen zu problematisieren und damit eine Kritik an sexistischer Rollenzuschreibung und verkürzten Sozialisationsbegriffen zu üben. Unter anderem wurde auch durch die Vorbereitungsgruppe der diesjährigen Silvio-Meier-Demo ein "Denkanstoß" gesetzt, bei dem wir sowohl die theoretische Grundlage, als auch die im Weiteren gewählte Aktionsform als problematisch empfinden.

 

Von Sinn und Unsinn von Frauenblöcken

Eines der wichtigsten Mittel um Themen in die Öffentlichkeit zu tragen bleiben Demonstrationen – auch für die radikale Linke. Als sich Ende der 70er, Anfang der 80er ein sog. Schwarzer Block bildete wurde dieser von feministischen Gruppen kritisiert.

Ist dein Block auch mein Block?
Hintergrund ist wie einst, dass Formen männlicher Sozialisationen1 sich oftmals in solchen Blöcken konzentrieren. Einer gesellschaftlich vorherrschenden Heteronormativität ist es geschuldet, dass dies überwiegend auf Menschen mit dem Selbstkonzept "Mann" zutrifft, die getreu ihrer Sozialisation mackern, prollen und den verbalen Schwanzvergleich vollziehen. Die eigentliche Erfordernis, die aus taktischen Erwägungen zur Etablierung der Aktionsform “Schwarzer Block" führte, nämlich die Teilnehmer_innen gegen verschiedene von außen an sie heran getragene Repressionen zu schützen, wird praktisch unterlaufen zur Auslebung offensivster Formen männlicher Sozialisation. Dabei ist der_die jenige mit den krassesten Sprüchen und den krassesten Fights gegen Cops der_die Held_in der Arbeit. Eine antisexistische Kritik dieser Verhaltensweisen von Macht, Gewalt und Dominanz, ist damals wie heute berechtigt. Doch wo könnte eine fortschrittliche Kritik ansetzen?

Keine Gewalt ist auch keine Lösung
Antisexistische Kritik fordert hier nicht selten ein, Aktivist_innen sollten männlich konnotierte Verhaltensweisen gänzlich unterlassen. Dass die Abwesenheit bspw. von Gewalt und Dominanz im Umgang, den eine radikale Linke miteinander pflegt, erstrebens- und erkämpfenswert sind, steht außer Frage.

Fatal ist jedoch die anlassunabhängige Stigmatisierung von Handlungsoptionen vor dem Hintergrund, dass diese männlich konnotiert sind - gemäß gesellschaftlicher Zuschreibung. Was eine konsequente Tabuisierung für die alltäglichen Kämpfen der radikalen Linken bedeuten würde, kann sich jede_r am Beispiel von Konfrontationen mit Neonazis oder der Staatsgewalt vor Augen führen. So folgt auf die Frage, wie z.B. die notwendigen Abwehrkämpfe gegen Neonazis unter gänzlichem Verzicht auf Gewalt, Aggression und Überlegenheit geführt werden könnten, ein verstohlenes Schulterzucken. Solange einer radikalen Linken derlei Kämpfe aufgezwungen werden, werden in der ideologischen wie praktischen Konfrontation Codes zu Tage treten, die nach gesellschaftlicher Zuschreibung männlich konnotiert sind. Ob sie der Situation angemessene Handlungsoptionen darstellen oder sexistischer Selbstzweck zur Auslebung und Selbstbestätigung männlicher Sozialisation sind, sollte differenziert erörtert und ggf. kritisiert werden.

Vor diesem Hintergrund möchten wir die Frage aufwerfen, ob der_die "Macker_in" sich vielfach so gibt, weil er_sie einer männlich Sozialisation ausdruck verleiht oder ob er_sie dies als bewusste und notwendige Ausdrucksform seiner_ihrer Politik begreift? Diese Frage wird selten bis gar nicht gestellt. Stattdessen werden vornehmlich biologisch männliche Aktivist_innen mit dem Mäntelchen des „Männer sind nunmal so“, "typisch männliche Sozialisation" bedeckt, was oftmals einer willkürlichen d.h. vom biologischen Geschlecht abgeleiteten Rollenzuschreibung gleich kommt.

Weibliche Sozialisation als blinder Fleck
Eine der Ausgangswahrnehmungen antisexistischer Kritik ist, dass an bestimmten Aktionsformen prozentual weit weniger Frauen partizipieren, als vermeintliche Männer. Diesem Fakt, der Unterrepräsentation eines - sozialisierten - Geschlechts, gilt es nachzugehen und die Ursachen offen zu legen. Damit dies geschieht, sollte über die pauschalisierende Formel: „Frauen fühlen sich von den 'starken' und 'aggressiven' Männern unterdrückt“, hinaus gegangen werden.

So ist die aktive Ausgrenzung von Frauen, im Sinne von: "Frauen nach hinten!", in weiten Teilen der Szene kaum akzeptiert. Selbstverständlich können davon ab erlebte Ausgrenzungserfahrungen, durch sexistische Zuschreibung, Hemmschwellen errichten, die dazu führen, dass sich Menschen nicht mehr aktiv beteiligen möchten. Als alleiniger Erklärungsansatz greift dies aber zu kurz. Zu oft scheint die eingangs wahrgenommene Zurückhaltung ebenso einem verinnerlichten weiblichen Selbstkonzept als schwächerer, sanfterer und passiverer Menschen, geschuldet zu sein. Wird dies jedoch ausgeblendet, so verwundert es nicht, wenn antisexistische Kritik sich oftmals darin erschöpft, männlich konnotierte Verhaltensweise als "mackerhaft" bzw. "typisch Mann" zu problematisieren; im Weiteren jedoch der Konstruktion heterosexistischer Zweigeschlechtlichkeit und ihrer Beschränktheit, die für Ausschlüsse und Diskriminierungen verantwortlich zeichnet, nicht konsequent entegen zu treten.

Kein Erfolgsrezept
Um dem Problem sich manifestierender sexistischer Mackerklüngel auf Demos entgegenzuwirken, bedienen sich Antisexist_innen ab und an einer recht simplen, allerdings kaum differenzierten Interventionsmöglichkeit. Dem sogenannten "Frauenblock", oder wie bei der kommenden Silvio-Meier-Demo auch "Frauenreihe" genannt.

"Wir wissen, dass wir damit die Rolle von Geschlechtern reproduzieren und eben nicht alle Probleme aus der Welt schaffen" (Interview-Aufruf vom Frauenblock auf der Silvio-Meier-Demo).

Wenn dann wie auf der Andrea-Demo 2008 biologisch weibliche Menschen, deren Selbstzuschreibung nicht mit der Frauenrolle übereinstimmt, aus dem Frauenblock heraus aufgefordert werden, sich anzuschließen und wenn vermeintliche Männer aufgrund ihres biologischen Geschlechtes ausgegrenzt oder wie bei der diesjährigen Demonstration zum "Internationalen Weltfrauentag" attackiert werden, dann wird deutlich, dass eine solche "Aktionsform" weder praktisch, noch durch seine Ausstrahlung zur Emanzipation von heteronormativen Geschlechterrollen beiträgt.

Reproduktion von Sexismen
Mit dem Anspruch Menschen anhand heterosexistischer Merkmale zu kategorisieren wird exakt die Art Zuschreibung reproduziert, die tagtäglich in der Gesellschaft zu Ausschlüssen und Gewalterfahrungen führt. Wobei nicht unerwähnt bleiben sollte, dass Queer-People und Transgender wohl mit am heftigsten unter diesen Mechanismen zu leiden haben. Dennoch einen reinen “Frauenblock” zu fordern, schließt genau diejenigen aus, die weitaus öfter gewaltvolle Zuschreibungen erfahren, als normierte Frauen bzw. Männer.

Vom verkürzten Sozialisationsbegriff
Auch wenn von der Vorbereitungsgruppe - z.B. in Veröffentlichungen auf Indymedia (siehe Quellenanhang) - stellenweise der Begriff "weiblich sozialisiert" anstelle von "Frau" genannt wird, wird Geschlecht dadurch keineswegs dekonstruiert. Zwar lässt die Verwendung eines Sozialisationsbegriffs im Gegensatz zur Kategorie "Frau" zu, dass Sozialisation nicht unmittelbar vom biologischen Geschlecht abzuleiten sein muss und ist somit nicht bruchlos anknüpfbar an heterosexistische Zuschreibungen. Die Intention, "weibliche Sozialisation" durch einen Block nach außen transportieren zu wollen, macht diesen Ansatz jedoch zu nichte. Um die Absurdität dieses Vorhabens einmal zu verdeutlichen: Wie wollen die Organisator_innen erkennen, dass ein Mensch, unabhängig von biologischem Geschlecht und gesellschaftlicher Zuschreibung nicht weiblich sozialisiert ist, damit dieser nicht mehr in der ersten Reihe mitlaufen darf? An der Kleidung, an der Haarlänge, am Nichtvorhandensein von Makeup, am muskulösen Körperbau?

Ernstzunehmende Antworten darauf zu suchen erübrigt sich aus mehrerlei Gründen. So ist es schlicht unmöglich, im Zuge einer kurzen Begegnung zu bestimmen, nach welchen Vorstellungen und Normen ein Gegenüber sozialisiert wurde. Dass sich stattdessen mit einem Rückgriff auf äußere Merkmale und damit auf (hetero-)sexistische Kategorisierungsmuster beholfen werden soll, liegt also nahe. Die Bestätigung dieser Annahme liefert die Vorbereitungsgruppe höchst selbst, indem sie in ihrem etwa zeitgleich veröffentlichten Interview-Aufruf nunmehr nur noch von einem “Frauenblock” spricht, der ausschließlich Menschen der Kategorie Frau adressiert.

Dass einmal alles besser wird...
Letztendlich wirkt diese willkürliche Vermischung von Bergrifflichkeiten und Theorieansätzen für Antisexist_innen erstaunlich unvertraut mit der Materie. Daß sich aus einem derart löchrigen theoretischen Background umgehend eine politische Praxis von solcher Tragweite manifestieren konnte, es geht immerhin um die seit 1992 alljährlich organiserte Gedenkveranstaltung für den von Neonazis ermordeten Antifaschisten Silvio Meier, ist schlicht beängstigend und wirft kein gutes Licht auf die vermeintlichen Standards einer radikalen Linken, für die das Wörtchen Emanzipation nicht bloß ein Wort ist.

Für eine emanzipatorische Linke Bewegung und ein würdiges Gedenken! Hinaus zur Silvio-Meier-Demo 2010!

refused identity, november 2010


Fußnoten

1
Sozialisation umfasst die Summe erfahrener und verinnerlichter Zuschreibungen, sie manifestiert sich nicht ausschließlich entlang von Sexismen, sondern u.a. auch in class (ökonomische Verhältnisse, Bildungshintergrund), desire (sexuelle Orientierung), race (ethnische Herkunft), disability (Einschränkungen) etc. pp. Erst die Gesamtheit aller Sozialisationen bestimmt, wie das Subjekt die Umwelt wahrnimmt, interpretiert und handelt.


Links

Aufruf des Silvio-Meier-Bündnisses zur Silvio-Meier-Demonstration 2010: "Kampf den Nazis! Kampf dem Staat!"

Interview-Aufruf des Vorberietungskreises zum Frauenblock: "Wir brauchen keine Macker_innen"

Erklärung der "Autonomen Antisexist_innen - AAS" aus dem Vorbereitungskreis zum "Block von weiblich sozialisierten Menschen " bzw. "zur Frauenreihe": "Erklärung der Autonomen Antisexist_innen zur Frauenreihe"