Theorie und Praxis des Schwärmens

Plakat: Jump and Run

Seit Jahren nimmt die Praxis einer Aushebelung des Versammlungsrechtes durch polizeiliche Auflagen und die Einschliessung politischer Proteste durch Spaliere zu. Demonstrationen werden von Großaufgeboten und schwerem Gerät dabei durch Bereiche in denen eine möglichst geringe Öffentlichkeit vorhanden ist umgeleitet. Nach der Auftaktdemonstration gegen die diesjährige Innenministerkonferenz soll dies auf neuartige Weise kritisiert werden. Ziel von Jump und Run ist, den Raum von Protesten zu erweitern und neue Formen von Öffentlichkeit jenseits von Demonstrationen herzustellen.

 

Auf diese Weise soll die aktuelle Polizeigewalt gegen soziale Bewegungen, Extremismustheorien zu deren Delegitimierung und die rassistische Abschiebepolitik als Teil einer autoritären Entwicklung deutlich gemacht werden. Solche Formen der Repression richten sich gegen die politische Bewegungsfreiheit und die existentielle Anwesenheit im öffentlichen Raum. Protest und Widerstand sind ein unverzichtbarer Bestandteil fortschrittlicher Gesellschaftsentwürfe. 

 

Schwarmtheoretische Grundlagen 

In einem Schwarm sind alle gleich, es gibt keine Führungsfigur und somit auch keine Hierarchien. Dennoch bildet sich ohne zentrale Steuerung eine Einheit, die sich schnell formiert und flexibel und koordiniert handeln kann. Kein Mitglied des Schwarmes überblickt dabei das Ganze, trotzdem ist die Gemeinschaft in der Lage, effizient Probleme zu lösen und Entscheidungen zu treffen. Ein jedes Mitglied hält sich lediglich an ein paar wenige elementare Regeln: Bleibe in Bewegung, bleibe in der Gruppe und fliehe vor dem Feind. Bewege dich dabei in der Durchschnittsrichtung und Geschwindigkeit deiner Nachbar_innen. Zusätzlich zu den allgemeinen Regeln hat jeder Schwarm zusätzlich eigene Regeln. Die gemeinsame Leistung übersteigt dabei die Fähigkeiten eines jeden Individuums, Schwarmintelligenz entsteht. 

 

Schwarmarchitektur 

Der Idee liegt der Gedanke zugrunde, dass auch An- und Abreise bereits ein Teil der Protestchoreographie von Demonstrationen sind. Genau diesen Effekt wollen wir nutzen und verstärken. Am Samstag den 13.11. findet eine Auftaktdemo gegen die Innenministerkonferenz um 14 Uhr und eine Antirepressionsdemo um 18 Uhr statt. Wir werden beide Demos besuchen und uns an deren bestehender Konzeption beteiligen. Wir fordern darüber hinaus aber auch alle auf, sich in der Zeit zwischen den beiden Demonstrationen am eigenständigen Jump and Run Konzept in der Innenstadt zu beteiligen. Unseren Mobilisierungsschwerpunkt sehen wir nicht in einer der beiden Demos, sondern in der gesamten Protestchoreographie an diesem Tag. 

 

Eine Stärke von Jump and Run ist dabei, dass wir es als Idee nicht gänzlich neu erfinden, sondern die Zutaten schon vorhanden sind und nur entsprechend angerichtet werden müssen. Mensch kennt diesen Effekt von der gemeinsamen Anreise bei anderen Demonstrationen. Schon auf dem Weg begegnen uns Leute mit Transparenten, Kostümen oder als größere Gruppen von schwarz gekleideten Leuten, die am Bahnhof angekommen, bereits Parolen rufen. 

 

Schwarmbeschleunigung 

Die Bewegung in Form eines Schwarms folgt dabei optimaler Weise keinem klaren Muster oder geradem Weg. Geht keine gerade Linie, sondern Umwege - verläuft sich - kreuzt sich oder findet sich als lautstarke Begrüßung wieder. Der Schwarm teilt sich, wenn er auf sicherheitsarchitektonische Barrieren trifft. Er sorgt allein schon durch die Form seiner Bewegung für Irritation. 

 

Sicherheitsarchitekturen versuchen aus der Stadt einen Raum der Kontrolle herzustellen. Mit der Bewegung selbst, wahrnehmbaren Aktionen und einem physischen sich zeigen wollen diese Repressionen im öffentlichen Alltag sichtbar machen, unsichtbare Grenzlinien in der Stadt markieren und als repressives Muster aufzeigen. Der Schwarm wird den vermeintlich starren Leitplanken des Konsums und der inneren Sicherheit im öffentlichen Raum nicht folgen, und sich dabei im Kreise drehen oder im sprichwörtlichen Sinne durch die Wände gehen. 

 

Die einzelnen Teile des Schwarmes kommen nicht nicht nur auf der Straße von A nach B. Es gibt in Städten auch kleine Gassen, Passagen oder Hintereingänge, die er benutzen kann. Er nutzt die Topographie des Ortes selber, um die Sicherheitsarchitekturen nutzlos auf den Straßen stehen zu lassen, während er selbst in mehr als der Summe seiner Summe voranschreitet und auftaucht. 

 

Schwarmspuren 

Der Schwarm hinterlässt dabei Spuren für andere, die nachkommen. Wie bei einem Spaziergang im Schnee können Nachfolgende an den Spuren vorheriger Schwärme navigieren. Konfettischnipsel oder Flugbätter am Boden, Kreideparolen, Farbmarkierungen oder akustische Signale, eurer Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, euch zu orientieren. 

 

Der Schwarm ist ein Ereignis der Zerstreuung, dessen Botschaft lautet: »Wir sind hier, wir sind unterwegs und streunen umher und freuen uns, andere zu treffen, die wie wir die Innenministerkonferenz unsicher machen wollen. Ihr werdet uns ebenso wenig los wie soziale Proteste auf der Straße oder linksradikale Kritik gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse. Wir lassen uns von Innenministern und Polizeiaufgeboten weder illegalisieren noch isolieren noch unsichtbar machen, denn wir sind bereits mitten unter euch und unterwegs. Unterwegs gegen Auslandseinsätze, Abschiebungen, die herrschende Stadtentwicklung, Leerstand oder Castortransporte. Die Sabotage der herrschenden Gewaltverhältnisse, die Entwicklung einer vielfältigen Protestkultur, der kritische Blick in eine Zukunft ohne Kapitalismus und Repression sind und bleiben notwendige Bestandteile einer aufgeklärten Gesellschaft jenseits totalitärer Zustände.« 

 

Wichtig ist dabei: Ob Jump and Run als Ereignis gelingt oder nicht, hängt einerseits an der Breite der Beteiligung, vor allem aber am eigenen Einsatz der Beteiligten. Jump and Run ist ein Mitmachkonzept, das auf Eigendynamik und Interaktivität setzt. Doch echte Interaktivität ensteht nur dort, wo die Einzelnen ein Ereignis nicht passiv betrachten, sondern sich vorbereiten, zum aktiven Teil machen und selbstbewußt die Initiative ergreifen. 

 

Schwarmansichten 

Ob ihr euch verkleidet, was ihr mitnehmt, wie ihr euch darstellt, zurückhaltender oder extrovertiert, liegt bei euch und im Rahmen dessen was ihr euch zutraut und worauf ihr Lust habt. Oft gilt dabei die Devise: Weniger ist mehr. Wichtiger als eine spektakuläre Aktion ist mit Selbstbewußtsein zu agieren. Lieber etwas Kleineres vorbereiten und dies auch umsetzen, als an eigenen möglicherweise zu großen Ansprüchen zu scheitern. 

 

Aus vielen Puzzleteilen entsteht bei Jump and Run ein Bild unseres Widerstandes und jede Form des Protestes ist dabei ein wichtiger Beitrag. Ob Konfetti werfen oder was auch immer. Wichtig ist, sich selbst als handelnden Teil zu begreifen und die Straße zum Experimentierfeld unserer Kritik, unseres Widerspruchs und unserer Selbstdarstellung zu machen. 

 

Schwarmentstehung 

Der Schwarm startet in Form einer Zerstreuung. Sollten Absperrungen o.ä. vorhanden sein, treffen wir uns hinter diesen auf Innenstadtseite, um von dort zur Auftaktkundgebung auf den Gänsemarkt zu gelangen um an der Demonstration gegen Polizeigewalt und staatliche Repression teilzunehmen. 

 

 

Hintergrundinfos

Jump and Run:  http://jumpandrun.blogsport.de 

NO IMK:  http://no-imk.blogspot.com