Aufruf der antifa 3.0 zur Kundgebung am 14.11.2010 um 9 Uhr in Rheinau-Memprechtshofen

Macht euch vom Acker!

Von 1963 bis 2009 veranstalteten Nazis jährlich am sogenannten „Volkstrauertag“ ein geschichtsrevisionistisches „Heldengedenken“ am „Ehrenmal Panzergraben“ in Rheinau-Memprechtshofen (Ortenaukreis). Dort finden sie optimale Voraussetzungen, einen sinnlosen Versuch 27 deutscher Soldaten, das zerfallende Deutsche Reich zu verteidigen, in einen Heldenmythos zu verkehren, denn auch die Stadt Rheinau gedenkt den deutschen Soldaten und bedient sich dabei allerlei Unwahrheiten.

 

Letztes Jahr gelang es dem Bündnis „Bunt statt Braun“ und der Kampagne „Macht euch vom Acker!“ durch ihre Präsenz am „Volkstrauertag“ zumindest den Nazis einen Strich durch die Rechnung zu machen. Am 14.11.2010 ist es nun wieder soweit. Zwar wurde das Ehrenmal vor einigen Wochen umgeschmissen und die NPD hat bisher nichts angemeldet, aber Traditionen werden in Deutschland für gewöhnlich nicht gerade gerne aufgegeben.

 

Rheinau und das Ehrenmal


Am 14.April 1945 zogen sich 27 Wehrmachtsoldaten und Angehörige von Zollgrenzschutzeinheiten in einem hinter dem Dorf Rheinau-Memprechtshofen liegenden Panzergraben zusammen. Diese stellten in Rheinau Deutschlands letztes Aufgebot gegen die vorrückenden französischen Truppen. Am Ende des Tages waren 49 französische Soldaten, laut Mythos auch alle 27 deutschen Soldaten, tot. Das Rheínauer Bündnis „bunt statt braun“, brachte letztes Jahr durch die Sichtung französischer Militärakten Erkenntnisse zu Tage, die unter anderem besagen, dass die Mehrheit der deutschen Soldaten im Panzergraben in Wirklichkeit gefangen genommen wurden.

 

Dennoch ist dieser Mythos Teil der offiziellen Geschichtsschreibung der Stadt Rheinau. Er ziert die Gedenktafel am Grab der Wehrmachtsoldaten, das „Ehrenmal Panzergraben“, welches seither als Gedenkstätte für deutsche Soldaten dient. Eine Gedenkstätte für die französischen Opfer fehlt. Somit bietet das „Ehrenmal“ nicht nur für junge und alte Nazis einen Ort für geschichtsrevisionistische Gedenken, da sich hier scheinbar Täter- und Opferrollen öffentlich und unwidersprochen vertauschen lassen. Entgegen der bundesdeutschen Tendenz, zu diversen Anlässen gerade die Schuld der Deutschen am Nationalsozialismus zu betonen um sich daraus ein geläutertes Selbstbild zu verpassen, organisiert auch die Stadt Rheinau ein Gedenken, welches dem der Nazis inhaltlich wenig nachsteht. Die Umbenennung des „Ehrenmals“ in „Denkmal“, wie sie das Bündnis „Rheinau bunt statt braun“ fordert, lehnt die Stadt seit mehreren Jahren ab, ebenso wie Forderung, nach einer Überarbeitung der städtischen Chronik in Bezug auf neue historische Erkenntnisse.

 

Das Neonazis nur eine radikale Meinung dessen vertreten, was in der „Mitte“ der Gesellschaft tagtäglich reproduziert wird, zeigte sich exemplarisch in den Leser_innenbriefen regionaler Zeitungen und im Verhalten der Stadt Rheinau nach der Zerstörung des Ehrenmals Panzergraben. Das Sandsteinkreuz wurde umgeschmissen und mit roter Farbe der Schriftzug „Deutsche Täter sind keine Opfer“ hinterlassen. Die Reaktion der Stadt auf die „Grabschändungwaren 2.500€ Belohnung für Hinweise auf die Täter_innen und eine dreiköpfige Sonderermittlungsgruppe, die bisher keine Erfolge verbuchen konnte. Sofort wurde begonnen, Spenden für ein Ersatzkreuz zu sammeln. Die bisherige Höchstspende waren 400€. In einem Leserbrief fordert ein in Rheinau lebender Mensch, die Wiederherstellungskosten auf das Bündnis Bunt statt Braun ab zu wälzen, da es vor dessen „provokativen Veröffentlichungen [...] gar keine Vorfälle an unserem Ehrenmal Panzergraben gab, und das über 60 Jahre lang!“. Das Bündnis wolle „also etwas verhindern, was es vor Ihren Veröffentlichungen überhaupt nicht gegeben hat". In Rheinau ruft ein umgefallenes Wehrmachtsdenkmal größeren Unmut hervor, als der über Jahrzehnte jährliche Aufmarsch von bis zu 150 Nazis. Hier wird nicht nur das offene Auftreten der Nazis geleugnet, sondern auch jeder Protest gegen diesen Zustand zum „wahren“ Problem der Rheinauer Bevölkerung erhoben.

 

Nazis in Rheinau

 

Von den 1950ern bis zum Jahr 2006 trafen sich die Nazis ungestört von jeglichem Protest, die Veranstaltung entwickelte sich mit durchschnittlich 100 Teilnehmer_innen zu einer der größten regelmäßigen Nazi-Veranstaltungen in Baden-Württemberg, mit Teilnehmer_Innen aus dem gesamten Landesgebietes und dem angrenzenden Elsaß. Im Rahmen ihres Gedenkens an die „Gefallenen aller Wehrmachtsteile“ und „der Opfer bei Flucht und Vertreibung“ versuchen die Nazis unter anderem die Befreiung durch die Alliierten in „Bombenterror“ (NPD Baden-Württemberg) umzudichten. Gleichzeitig soll die Rolle der deutschen Bevölkerung im Nationalsozialismus und der systematischen Ermordung von Millionen von Menschen ausgeblendet werden. Betrauert werden nicht nur 27 angeblich gefallene Soldaten, sondern auch der Niedergang des nationalsozialistischen Regimes und des „Volksgemeinschaft“-Konstrukts. Nebenbei werden Kontakte geknüpft und Nachwuchs rekrutiert.

 

Durch die antifaschistische Mobilisierung gegen das „Heldengedenken“ in Rheinau im letzten Jahr sahen sich die Organisator_innen gezwungen, den Aufmarsch abzusagen, einige Nazis trafen sich im 100 Kilometer entfernten Rauenberg im Rhein-Neckar-Kreis. Ob sie dieses Jahr wieder nach Rheinau mobilisieren werden ist bisher nicht bekannt, dennoch bleibt der „Volkstrauertag“ in Rheinau eine Gelegenheit, möglicherweise zumindest symbolisch ein Zeichen gegen Geschichtsrevisionismus, Opfermythos und Relativierung der Rolle der „ganz normalen“ deutschen Bevölkerung im Nationalsozialismus zu setzen. Antifaschistische Interventionen in der Region sind notwendig, nicht nur am „Volkstrauertag“, dieses Jahr am 14. November 2010.

 

Achtet auf Ankündigungen - Weitere Infos zum „Heldengedenken“ in Rheinau und den Geschehnissen in den letzten Jahren finden sich unter vomacker.blogsport.de.

 

Kundgebung am 14.11.2010 | 9 Uhr | Rheinau-Memprechtshofen

 

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