BERLIN - Mit zweifelhaften Methoden bereiten sich einige Atomkraft-Gegner auf den Castor-Transport Anfang November nach Gorleben vor. Steine sollen massenhaft aus dem Gleisbett gezogen werden, um den Zug zu stoppen. Auch Politiker der Linken rufen dazu auf. Die Polizei ist besorgt.
Sonja Schubert rät den Castor-Gegnern, Handschuhe und festes Schuhwerk mit ins Wendland zu bringen. «So kann man besser schottern», sagt die 55-jährige Politikaktivistin aus Berlin, die ihren richtigen Namen lieber nicht preisgeben will. Schottern ist das Synonym für das massenhaft Entfernen von Steinen aus dem Gleisbett, damit der Zug mit dem hochradioaktivem Atommüll Anfang November nicht ins Zwischenlager Gorleben fahren kann.
Die Frage ist: Wie weit darf ziviler Ungehorsam gehen? Der Linken- Bundestagsfraktionsvize Jan von Aken, der wie der Landesvorstand in Nordrhein-Westfalen zum «Castor schottern» aufruft, sagt: Der «Atom- Deal» der Regierung mit den Energiekonzernen rechtfertige das. «Wenn die Regierung zu drastischen Mitteln greift, müssen wir auch zu drastischen Mitteln greifen.» Oberstaatsanwalt Roland Kazimierski von der Staatsanwaltschaft Lüneburg sagt am Donnerstag mit Blick auf den Aufruf: «Wir prüfen die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens.» Nach Paragraf 316 b Strafgesetzbuch kann eine Störung des öffentlichen Betriebs mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden.
Um den 7. November herum soll der zwölfte Castor-Transport aus der französischen Wiederaufbereitungsanlage La Hague im Wendland eintreffen, bis zu 50 000 Demonstranten werden erwartet, die Grünen rechnen mit Widerstand wie nie zuvor. Das der in der aufgeheizten Stimmung nicht immer friedlich bleiben könnte, beunruhigt vor allem die Polizei. Das schwarz-gelbe AKW-Laufzeitplus von im Schnitt zwölf Jahren mit etwa 4500 Tonnen mehr hochradioaktivem Atommüll hatte zuletzt in Berlin und München bereits 150 000 Menschen auf die Straße getrieben.
Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, sagt mit Blick auf den Linke-Aufruf: «Das ist eine schlimme Erosion des Rechtsverständnisses von Parteien und Politikern». Die Militanz werde bei diesem Castor-Einsatz deutlich zunehmen. Wendt machte dafür auch die Entscheidung der Regierung für längere Atomlaufzeiten verantwortlich. Die 16 500 Polizisten würden wahrscheinlich bei Weitem mich ausreichen. Es drohe der größte und längste Castor- Einsatz der Geschichte, sagt Wendt.
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland warnt vor einer pauschalen Kriminalisierung der Castor-Gegner. «Wir wollen zeigen, dass die Bundesregierung mit dieser Atompolitik gegen die Mehrheit der Bevölkerung einen befriedeten Konflikt wieder aufreißt», sagt Energieexperte Thorben Becker. Er hält es für unverantwortlich, dass bei der Prüfung des nahe des Zwischenlagers gelegenen Salzstocks bei der Prüfung für ein Endlager auch wieder auf Enteignungen gesetzt wird. Erstmals hat auch der BUND beim Castor zur Beteiligung an Sitzblockaden aufgerufen. Diese werden im Wendland eifrig geübt.
Ebenso gibt es auch die militantere Form, sogenannte Schotter- Trainings. So wurde auf einem stillgelegten Gleis im Wendland ausprobiert, wie man möglichst schnell die Steine unter den Schienen wegbekommt und das Gleisbett aushöhlt. «Atomausstieg ist Handarbeit», lautet das Motto der Kampagne «Castor schottern».
Auch Schutzbrillen wären nicht schlecht, sagt Aktivistin Schubert. «Gegen das Pfefferspray der Polizei.» Sie betont, der Castor- Widerstand werde nur enden, wenn sofort alle 17 Atommeiler abgeschaltet würden. Das sei wie beim Bahnprojekt Stuttgart 21. «Solange da gebaut wird, kann auch nicht richtig geredet werden.»
Die Frau aus Berlin-Kreuzberg, die schon etliche Hausdurchsuchungen über sich ergehen lassen musste, ist sich im Klaren darüber, dass sie zu Straftaten aufruft. «Das ist nicht legal, aber legitim.» Die Castor-Gegner setzen darauf, dass es bei mehreren tausend Steine-Wegräumern gelingen könnte, den Zug zwischen Lüneburg und Dannenberg länger zu stoppen. Von Dannenberg wird der Castor auf Tiefladern ins Zwischenlager Gorleben gefahren.
Beim bisher schwersten Zwischenfall kam 2004 in Lothringen ein 21- jähriger Franzose ums Leben. Er hatte sich an die Gleise gekettet und wurde vom Richtung Deutschland fahrenden Zug überrollt. Angesichts der derzeitigen massiven Mobilisierung ist Polizeigewerkschaftschef Wendt in großer Sorge. Illegale Aktionen dürften nicht geduldet werden, sagt er und betont: «Da kann einem Angst und bange werden bei den Aufrufen». dpa