Solidarität muß praktisch werden

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Am 15.Juli endet das Stuttgarter §§129b-Verfahren mit hohen Urteilen gegen zwei türkische Genossen. Dazu eine erste Einschätzung mit VertreterInnen des Netzwerks Freiheit für ale politische Gefangene aus Stuttgart.
"Es ist notwendig, gemeinsam gegen die repressive Entwicklung vorzugehen"


Wir haben zum Ende des Stammheimer Prozesses ein Interview mit zwei Vertretern des Netzwerks Stuttgart über ihre Erfahrungen und Perspektiven der Soli-Arbeit geführt. Die zwei Gefangenen wurden nach knapp 2 ½ Jahren Verfahrensdauer verurteilt. Könnt ihr uns etwas über die Urteile sagen und wie diese einzuschätzen sind?


Rosa: Zwischen der Anklageerhebung und der Verurteilung lagen 168 Prozesstage auf eine Dauer von knapp 2 ½ Jahren verteilt. Nicht übersetzte Akten, einen verurteilten Doppelagenten als Hauptbelastungszeugen, Folterer im Zeugenstand und Ungereimtheiten am laufenden Band prägten dabei die Verhandlung.

 

Schließlich wurde dann Devrim zu 4 Jahren und 10 Monaten als Regionsverantwortlicher der Organisation verurteilt. In der Strafe wurde eine eine ausstehende Bewährungsstrafe miteinberechnet. Ahmet wurde als Gebietsverantwortlicher zu 5 Jahren und 4 Monaten verurteilt. Die Verteidigung wird gegen das Urteil in Revision gehen. Da beide einen türkischen Pass besitzen, sind sie mit diesem Urteil akut von der Abschiebung bedroht. Was das für sie bedeutet ist klar: Repression, Folter, Haft bis zu ihrem Tod.

 

Richard: Konnte das Urteil gegen die in dem Verfahren ursprünglich mitangeklagten Mustafa Atalay, Ilhan Demirtas und Hasan Subasi nur durch Einlassungen und einem ausgehandelten Deal gefällt werden, wurde mit diesem Urteilsspruch nun das erste reguläre Urteil mit Hilfe des §129b gegen eine linke Organisation gefällt. Die Tragweite des Ganzen ist natürlich kaum abschätzbar. Wir können aber davon ausgehen, dass sich kommende §129b Verfahren auf den Stammheimer Prozess berufen werden.


Zum Ende hat Ahmet ja noch eine sehr ausführliche Erklärung abgegeben. Ihr hattet auch darauf mobilisiert. Wieviele Leute waren denn da und warum habt ihr gerade auf diesen Tag mobilisiert?

 

Richard: Mit der Verurteilung und dem Ende des Prozesses ist den Gefangenen letztlich auch die letzte Öffentlichkeit - bis auf das Briefe schreiben - entzogen. Daher wollten wir ihnen ein letztes Mal noch die größt mögliche Öffentlichkeit bieten, die dafür zu mobilisieren ist, um ihnen damit auch Gehör zu verschaffen. Mit 70 Personen an einem Werktag, darunter welche aus Berlin, Düsseldorf, Freiburg, Magdeburg, München, Paris und Stuttgart, ist uns das auch ganz gut gelungen.

 

Rosa: Wir wollten zum Abschluss des Verfahrens nochmal ein Zeichen der Solidarität an die Gefangenen senden und gleichzeitig den Tag dafür nutzen die Inhalte und insbesondere die Tragweite und die Bedeutung des §129b zu transportieren.

Leider konnte Ahmet seine doch sehr umfangreiche Erklärung an diesem Tag nicht beenden. Wir planen aber seine Erklärung zu veröffentlichen.

 

Könnt ihr ein kurzes Resümee eurer Arbeit ziehen? Insbesondere was die Solidarität angeht?

 

Rosa: Ein endgültiges Resümee können und wollen wir momentan natürlich noch nicht ziehen. Wir werden uns nach dem Ende des Prozesses Zeit nehmen, um den Verlauf des Ganzen nochmal Revue passieren zu lassen und daraus unser Resümee zu ziehen.


Allgemein kann gesagt werden, dass es bei einem Prozess, der sich über 2 Jahre zieht und der an 168 Prozesstagen verhandelt wurrde, schwierig ist am Ball zu bleiben und immer die richtige Antwort auf die Situation zu finden. Insbesondere wenn es sich um einen Präzedenzfall handelt, die Informations und Datenflut derart unüberschaubar ist, dass selbst die Anwälte uns manchmal nicht weiterhelfen konnten. In einem solchen Prozess über einen so langen Zeitraum gibt es dann natürlich immer auf und abs.

 

Wir mussten feststellen, dass es uns über lange Strecken kaum gelungen ist den Prozess aus der Isolation herauszubringen und ihn an eine breitere - linksradikale - Öffentlichkeit zu bringen. Erst nach gut 2 Jahren Arbeit beschäftigen sich einige Gruppen mit der Thematik und wollen dazu arbeiten. Das sehen wir definitiv als etwas sehr Positives an.

 

Richard: Im Gesamten müssen wir aber leider auch sagen, dass die Solidarität in keinem Verhältnis zu dem Ausmaß der Repression und zu dem Ausmaß der Konsequenzen die dieser §129b haben wird steht.

So denken wir dass die Justiz mit dem §129b und den nun geschaffenen Präzedenzfällen sich ein sehr wirkungsvolles Mittel geschaffen hat zur Verfolgung der migrantischen Linken - und das ohne größeren Widerstand und abseits der Öffentlichkeit. Auch die Bedeutung für die hiesige Linke darf nicht unterschätzt werden, da der §129b eben auch Potential zur Kriminalisierung jeglicher Internationalistischen Arbeit birgt.

 

Wie wollt ihr in Zukunft weitermachen?


Richard: Die Prozesse in Düsseldorf einerseits gegen Faruk Ereren und andererseits gegen Nurhan Erdem, Ahmet Istanbullu und Cengiz Oban laufen weiter. Es gab dieses Jahr bereits weitere 2 Verhaftungen mit dem Vorwurf der Mitgliedschaft in der DHKP-C. In diesem Zusammenhang wurde eine weitere Person in Frankreich verhaftet und Anfang Juli nach Deutschland überstellt.

 

Im Mai diesen Jahres wurde eine Person mit dem Vorwurf der Mitgliedschaft in der tamilischen Organisation LTTE (Liberation Tigers Tamil Eelam) verhaftet. Diese Beispiele zeigen, dass die Anwendung des §129b sich weiter ausdehnen wird, dementsprechend setzen wir unsere Arbeit natürlich fort - versuchen weiterhin darüber zu informieren und Widerstand dagegen zu organisieren.

 

Rosa: Dazu sind Devrim und Ahmet, wie auch Faruk von der Abschiebung bedroht. Wir werden auch dagegen vorgehen und versuchen diese Abschiebungen zu verhindern.

 

Richard: Wir wollen mit unserer Arbeit vor allem auch eine Nachhaltigkeit erreichen, es erreichen, dass möglichst viele kontinuierlich gegen die repressive Entwicklung vorgehen. Der Aktionstag am 19.6. und die Delegation zur Erklärung von Ahmet waren Schritte in die richtige Richtung. Verschiedene Städte haben sich zum Thema verhalten und damit auch mit der Thematik auseinandergesetzt.

 

Bei der momentanen Situation der deutschen Linken ist es unserer Meinung nach unbedingt notwendig, dass sich verschiedene Organisationen zusammentun und gemeinsam gegen diese Entwicklung vorgehen. Gerade angesichts dessen, dass die Repression im Kampf gegen die revolutionäre Linke geschlossen zusammensteht, müssen wir umso geschlossener und gemeinsam agieren.

 

Rosa: In Stuttgart haben wir mit zusammen mit türkischen und deutschen Organisationen die Stuttgarter Plattform „Weg mit den §§129! Gegen die Kriminalisierung von MigrantInnen“ gegründet. Wir sehen das als ein Mittel an, um uns zukünftig gemeinsam gegen die Angriffe denen wir ausgesetzt sind wehren zu können.  An diesem Ansatz werden wir weiterarbeiten.

 

www.no129.info

 


 

Dieser Artikel ist in der neuen Ausgabe des Gefangenen Info erschienen:

 

Liebe Leserinnen und Leser,

 

mittlerweile wurden im Stuttgarter §129b-Prozess die letzten Urteile gefällt. Während die ersten Urteile gegen Mustafa Atalay, Ilhan Demirtas und Hasan Subasi bereits im letzten Jahr gefällt worden waren, verkündete der Senat am 15. Juli nach ganzen 168 Verandlungstagen die Urteile gegen Ahmet Düzgün Yüksel und Devrim Güler. Sowohl die Urteile als auch der gelaufene Aktionstag für die Freiheit der §129b-Gefangenen haben uns dazu bewogen, dieses Thema zum Schwerpunkt dieses Ausgabe zu machen.

 

An dieser Stelle möchten wir uns dafür entschuldigen, dass wir diesmal mehrere Briefe von Gefangenen wegen Platzproblemen nicht abdrucken konnten. Wir werden das nachholen, wollen im Vorwort aber kurz auf zwei Briefe eingehen. Faruk Ereren schrieb uns am 30. Juni zur Richtigstellung, dass er „wegen des Militärputsches in der Türkei am 12. September 1980 verhaftet“ worden sei. Er schreibt weiter: „Ich bin zwar zu 9 Jahren Haft verurteilt worden, aber war ‚nur‘ 6 Jahre und 8 Monate weggesperrt. Außerdem wurde ich weitere fünfmal von der Polizei festgenommen und bin dabei mehrere Male gefoltert worden (...)“.

 

Bezüglich des Verfahrens gegen das GI, wo das Berufungsverfahren  am Montag, den 11.10. vor dem Landgericht Berlin stattfinden wird, schrieb Nurhan Erdem: „Über das Urteil gegen das „Gefangenen Info“ habe ich Artikel und eure Prozesserklärung gelesen. Wir wissen, warum so ein Bericht über das §129b-Verfahren vom letzten Jahr für das Gericht soviel „Unruhen“ verursacht, dass ihr dafür verurteilt worden seid. Ziel der Justiz dabei ist, dadurch die Solidarität mit den Gefangenen zu brechen und zerstören. Das werden sie aber niemals erreichen, denn wir werden immer ein Teil von den Kämpfen draußen sein! Eure Arbeit wird weiter Früchte tragen. Seit 20 Jahren hat das Info viele Repressionsschläge in Form von Angriffen durch Justiz, Polizei und Geheimdienste überstanden. Auch zukünftig wird Eure konsequente Haltung allen Schlägen widerstehen.“ Wir danken Nurhan für diese aufmunternden Worte und senden kämpferische Grüße in die Knäste.

 

Mit dieser Ausgabe starten wir eine weitere Textreihe, die uns seit längerem auf den Nägeln brennt. Es geht dabei um den Themenkomplex „Knast und Kapitalismus“. Wir haben deswegen einen Auftaktbeitrag des Netzwerks Freiheit für alle politischen Gefangenen abgedruckt, dem weitere folgen werden. Im übrigen haben einige Redaktionsmitglieder einige Erfahrungen von Anti-Knast-Aktionen aus Mailand dokumentiert, die ebenfalls gut in dieses Thema passen und deshalb in der selben Rubrik gelandet sind.

 

Unser In- und Auslandteil enthält weitestgehend Berichte und Informationen über Repressionsschläge, wie z.B. die Razzien in mehreren Info- und Buchläden in Berlin und München. Wir schließen uns den Worten der Betroffenen an und rufen hiermit zur Solidarität mit dem Buchladen Schwarze Risse, dem OH21 und M99 in Berlin und dem Kafe Marat in München auf.

 

Und abschließend wieder unser Aufruf, den Gefangenen zu schreiben. Wie in jeder zweiten GI-Ausgabe ist auch in dieser wieder eine aktuelle Liste der poltischen Gefangenen in der BRD aufgelistet, denen ihr Postkarten, Briefe und Informationen schicken könnt.

 

Solidarität muss praktisch werden!

 

Die Redaktion

 


 

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