Demonstration für ein autonomes Zentrum in Esslingen: Hinhalten, Taktieren, Lavieren...

Spontandemonstration über die Kiesstraße in Esslingen

In Esslingen fand gestern eine Demonstration für ein autonomes Zentrum statt. An der Demo, die durch Fußgangerzonen der Innenstadt führte, nahmen einige Dutzend Menschen teil. Ein Ziel der Demonstration war, die Bevölkerung auf die Forderung nach einem selbsverwalteten Freiraum aufmerksam zu machen.

In einem vorab verteilten Flugblatt hieß es dazu:

• Ein Freiraum ist für uns ein Ort an dem wir uns ohne Konsumzwang frei entfalten können.
• Ein Ort an dem wir Rassismus/Sexismus/Homophobie entgegentreten wollen.
• Ein Ort ohne Chef. Ein Ort des gegenseitigen Respekts anstelle von Kontrolle.
• Ein Ort für Veranstaltungen aller Art, Kunst, Kultur und des gegenseitigen Erfahrungsaustausches.


Die Demonstration begann mit einer Kurzkundgebung am Bahnhof und wurde nach einer Kundgebung am Schelztorturm in Richtung Küferstraße fortgesetzt. Nach Auflösung der Demonstration durch den Anmelder kam es zu einer Spontandemonstation über die Kies- und Neckarstraße bis zum Bahnhof, wo sich die Menge dann zerstreute.

Am Rande der Demonstration gab es immer wieder zustimmende Äußerungen von PassantInnen. In Esslingen gab es in den letzten Jahren immer wieder den Versuch, unkommerzielle und selbstverwaltete Kultur und Freiräume zu ermöglichen. Die "vielen nicht kommerziellen Angebote", wie Rathaussprecher Karpentier die Jugendtreffs und jugendhausähnlichen Einrichtungen in der Stadt nennt, wollen die Demonstranten nicht akzeptieren: "Dort gibt es die Trägervereine, die uns in der Konsequenz immer wieder bevormunden", meinte eine der Teilnehmerinnen.

Die BesetzerInnen wurden von der Stadt Esslingen zuerst mit leeren Versprechungen hingehalten und dann mit dem Argument: "Wir lassen uns nicht erpressen" abgespeist. Sie wollen ihre Forderung "immer und immer wieder an die Öffentlichkeit tragen." Unter anderem sind ein offener Brief geplant.

Zudem konnte Karpentier bislang keine konkreten Beispiele nennen: "Schön wäre es, wenn er hierfür konkrete Beispiele nennen würde, da diese allenfalls in geringem Umfang vorhanden sind und in keinster Weise die zahlreichen, unterschiedlichen Interessen der Jugendlichen, aber auch älteren Menschen, in der Stadt befriedigen. Abgesehen davon, würde dies nur den ersten der beiden aufgeführten Punkte unserer Vorstellung erfüllen, denn eine "feste Organisation" in Form von Sozialarbeitern und Pädagogen findet sich eigentlich in allen derartigen, uns bekannten "Angeboten". Auf Instanzen und Aufsichten, die in Problemsituationen das letzte Wort haben, (enge) Rahmen für Programmabläufe schaffen und oft in enger Kooperation mit der Polizei zusammenarbeiten, wollen wir jedoch verzichten. Durch Dialog und Solidarität wollen wir eine Alternative zu diesen vorhandenen, hierarchischen und autoritären Organisationsformen aufbauen." (Erklärung der BesetzerInnen vom 12. Juni 2010)

An Räumlichkeiten für derartige Projekte hat es in Esslingen denn auch nie gemangelt, wohl aber am politischen Willen der Verantwortlichen, wie das jahrelange Hin und Her in Sachen Dieselstraße zeigt. Dieses war in seinen Anfängen im übrigen ein in Zusammenhang mit dem Kampf um ein "Kultur und Kommunikationszentrum" Anfang der 1980er Jahre entstandenes Projekt. Mit dem sich die Stadt heute  gerne schmückt. Allerdings ohne darauf hinzuweisen, dass es im Vorfeld ebenfalls eine Hausbesetzung gab: In der Plochinger Straße 4...

 

Ein kleiner Exkurs in die Geschichte:

Der 17. Januar 1981

An diesem Samstag besetzen über 300 Jugendliche die frühere Schule in der Plochinger Str. 4 in Esslingen. Das gut erhaltene Gebäude sollte für ein autonomes Zentrum und Wohnräume instandbesetzt werden. Nach einem Konzert im damaligen Jugendhaus "Im Heppächer" - einer ehemaligen Synagoge - entschlossen wir uns, einen unerträglichen Zustand zu beenden: Nur in Kneipen, Diskotheken oder den schon damals nicht selbstverwalteten Jugendhäusern die Freizeit zusammen verbringen zu können - das ging nicht. Zentren unkommerzieller und selbstbestimmter Kultur gab es - vor allem die alternative "Fabrik" in Esslingen - Hohenkreuz und auch eine recht große Wohngemeinschafts - "Szene". Letztere war jedoch im Zuge der Schließung der damaligen Pädagogischen Hochschule (PH) im Jahr davor am Abbröckeln. Wohnraum war zugleich knapp und kaum bezahlbar - gerade auch für Lehrlinge und Studierende. Auf kürzestem Weg ging es vom "Heppächer" in die Plochinger Straße, wo über ein Kellerfenster in das Gebäude eingedrungen wurde. Sofort wurde mit Aufräumen und Herichten der Räume begonnen, neben der Entsorgung allerei Unrats musste die Strom- und Wasserversorgung gesichert werden.
Schon wenige Tage nach der Besetzung wurde das Haus geräumt, trotz der Zusage der Stadt, über einen befristeten Mietvertrag zu verhandeln. Bei anschließenden Protesten am darauf folgenden Mittwoch, den 21. Januar wurde im Rathaus des damaligen Bürgermeisters Klapproth eine der Besetzerinnen von der Polizei krankenhausreif geschlagen. Daraufhin kam es zu einigen Protestdemonstrationen wie am 23. Januar mit an die achtundert TeilnehmerInnen.
Der Verein "Kultur- und Kommunikationszentrum" wurde im Sommer 1981 als Zusammeschluss diverser Esslinger Gruppen und Initativen gegründet. Die ersten eigenen Räume wurden 1982 im damaligen Quist-Areal gemietet und bis 1983 umgebaut. In den Kellern im Gebäude befanden sich zu dem Zeitpunkt dann auch Übungsräume lokaler Bands. Die Räume des "Kultur und Kommunikationszentrums" brannten allerdings nach kurzer Zeit ab.
Der Standort Dieselstraße wurde 1985 gefunden und das Gebäude bis 1986 umgebaut und renoviert.