Wurzen. „Ich bedauere, dass Wurzen nach Anmeldung der für den 2. September geplanten bundesweiten Antifa-Demo in die uralte Falle getappt ist und nun mit Kanonen auf Spatzen schießt. Wir hätten gelassen sagen sollen, antifaschistische Demo, wunderbar, die machen wir jeden Tag.“
Yitzhak Ben-Naim (58) ist ein international gebuchter Theatermacher. Auftritte in Lateinamerika, Indien und Nahost – keine Seltenheit. Lange lebte er in Baden-Württemberg und Bayern, seit sechs Jahren ist er in Wurzen zu Hause. Hier fühlt er sich wohl: „Ich habe nacheinander zwei Frauen verloren, beide sind an Krebs gestorben. Ich wollte wieder unter Leute, was ganz Neues wagen, mich zog es nach Leipzig, oder besser in einen ruhigen Vorort, und landete in Wurzen.“ Die Mentalität der Menschen dort sage ihm sehr zu: „Es ist diese ständige Selbstfindung zwischen DDR und ungewisser Zukunft. Die Suche nach der eigenen Identität finde ich in Wurzen spannender als im Allgäu.“
Yitzhak Ben-Naim hat deutsche und jüdische Wurzeln. Seine Vorfahren litten in Königsberg unter Stalins Repressalien. In aller Welt habe er immer wieder deutsche Juden kennen gelernt, die dem Holocaust entkamen, heutzutage aber keine alten Rechnungen aufmachten. Im Gegenteil: Sie erinnerten sich wohlwollend an ihre Heimat, hätten gern weiter dort gelebt, seien um Harmonie mit den Deutschen bemüht, sagt der Wurzener Kunstschaffende und greift das Ende der Weimarer Republik auf: „Es waren die Radikalen, die Hitler erst möglich machten. Ihr Ziel war die Verunsicherung. Sie schürten solange Hass und Angst, bis sich die Bürger fragten, wo sie eigentlich hingehören. Und wenn sie das nicht wussten, erklärten ihnen die Ränder, wo sie hinzugehören haben. Da war es schon zu spät.“
Er sei davon überzeugt, dass der mündige Wurzener sehr genau weiß, dass er eher eine Demokratie bevorzugt: „Und wenn die Demokratie noch nicht gut genug ist, hilft eben keine Demonstration der autonomen Antifa, dann sind wir herzlich eingeladen, uns selbst zu engagieren.“ Vor allem, so Ben-Naim, wollen die Menschen ihre Ruhe haben. „Sich selbst einladende Demonstranten brauchen sie nicht. Der Wurzener spürt am besten, was er demonstrieren muss und was er nicht zu demonstrieren braucht.“
Derzeit arbeitet Ben-Naim an einem Projekt mit syrischen und deutschen Kindern. Er ist auf der Suche nach Märchen beider Kulturkreise und daraus abzuleitenden Gemeinsamkeiten. „Wir können nur zusammen leben, müssen Lösungen finden. Die Flüchtlingsbewegung wird sich noch verstärken. Man braucht sich nur das Wasserproblem in Israel anzuschauen.“ Rufe nach Schließung der Grenzen seien verständlich, nützten aber wenig: „Es wird nicht funktionieren.“
Yitzhak Ben-Naim prophezeit weiterhin schwierige Zeiten, auch Probleme bei der Integration: „Wir sollten das Feld aber niemals den Extremisten überlassen. Denn die wollen ja bloß dieses uralte Katz- und Mausspiel. Lasst uns nicht zum Spielball werden!“
Ob Nazis oder Autonome – sie seien ohnehin nur daran interessiert, bestimmte Positionierungen zu provozieren. „Genau in diese Falle ist die Stadtverwaltung getappt, indem sie öffentlich erklärt hat, was sie schon alles gegen Rechts tut. Somit ließ sie sich instrumentalisieren. Unbedacht, ungewollt, sicher.“
Mit Blick auf die bundesweite Antifa-Demo am 2. September ermutigt der weltläufige Theaterkünstler seine Wurzener zu mehr Selbstbewusstsein: „Fragen wir, wer uns hier vertreten will. Und wozu? Und wer letztlich der lachende Dritte sein würde ...“