Wie die Bild-Zeitung den Rechtspopulismus bedient

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Erstveröffentlicht: 
13.07.2017

Über den dünnen Firnis der Zivilisation und Rechtsstaatlichkeit in Deutschland

 

Ein Kommentar von Peter Nowak (http://peter-nowak-journalist.de/)

 

Die G20-Proteste und vor allem die Kiezaufstände rund ums Schanzenviertel haben wieder einmal gezeigt, wie dünn der Firnis von Zivilisation und Rechtsstaatlichkeit in Deutschland ist und dass die Gefahr aus der Mitte der Gesellschaft kommt.

 

So veröffentlichte die Boulevardzeitung Bild am vergangenen Montag unter der reißerischen Überschrift Wer kennt diese G20-Verbrecher Bilder von 18 Personen, die sich an den Riots beteiligt haben sollen.

 

Dabei agiert das Blatt jenseits jeglicher rechtsstaatlicher Grundsätze. Danach soll ohne juristische Verurteilung niemand eines Delikts bezichtigt werden.

"Auch Idioten haben Persönlichkeitsrechte"

 

Auf Bild-Blog, das sich seit Jahren kritisch mit der Berichterstattung des Boulevardblattes auseinandersetzt wird die mediale Selbstjustiz kritisiert.

Auch für Idioten gilt die Unschuldsvermutung. Auch Idioten müssen sich keine Vorverurteilung gefallen lassen. Auch Idioten sind nicht gleich "Verbrecher", nur weil jemand ein Foto von ihnen gefunden hat, aus dem man ableiten könnte, dass sie eine Straftat begangen haben. Auch Idioten haben Persönlichkeitsrechte. Auch Idioten haben ein Recht am eigenen Bild.

Bild-Blog

 

Auch die Fotos sind keineswegs so eindeutig, wie es scheint.

Manche von ihnen sind beim Werfen eines Steins zu sehen, manche beim Tragen eines Steins. Eine Frau ist kurz davor, eine leere Cola-Flasche wegzuschleudern. Eine andere hat zwei volle Flaschen Kindersekt unter den Arm geklemmt. Was die Leute davor gemacht haben oder danach, wohin die Steine und Flaschen fliegen, die sie in den Händen halten, ob sie bei manchen überhaupt fliegen oder nicht doch wieder fallen gelassen werden — nichts davon ist bekannt, und nichts davon lösen "Bild" oder "Bild.de" auf.

Bild-Blog

 

Stefan Niggemeier hat auf dem Blog Übermedien den rechtspopulistischen Kern der BILD-Denunziationskampagne auf dem Punkt gebracht:

Das Vorgehen von "Bild" hat eine gefährliche innere Logik: Der Staat hat in Hamburg versagt. Er hat es nicht geschafft, die Bürger zu schützen, und er scheint es nicht einmal zu schaffen, die Verdächtigen dingfest zu machen. Also muss "Bild" übernehmen.

Stefan Niggemeier

 

Darf man Polizeigewalt und Menschenrechtsverletzungen in Deutschland noch kritisieren?

 

Mit ihren Steckbrief knüpft die Bild-Zeitung an ihre demokratiefeindliche Rolle an, die sie bereits vor ca. 50 Jahren hatte, als sich die Außerparlamentarische Bewegung etablierte. Die Aktivisten wurden auch damals als Kriminelle vorgeführt, für die es keine Grundrechte zu geben scheint. Dass haben Neonazis wie der Dutschke-Attentäter Bachmann als Auftrag verstanden, das Recht in die eigene Hand zu nehmen.

 

Auch in Hamburg sahen sich Neonazis als Vollstrecker eines nationalen Volkswillens und haben sich zum Kampf gegen Linke verabredet, oft waren sie nicht konspirativ genug und wurden von der Polizei aufgehalten.

 

Der damals noch generell staats- und machtkritische Wolf Biermann hatte danach den Song Drei Kugeln auf Rudi Dutschke geschrieben. Mittlerweile hat Biermann schon längst seinen Frieden mit den herrschenden Verhältnissen und ihren Medium Bild gemacht - und nicht nur er.

 

Wer heute noch jeglichen Kontakt mit der Boulevardzeitung und ähnlichen selbsternannten Beobachtern verweigert, gilt schnell als dogmatisch und ewiggestrig. Genau wie Biermann, der so tief gesunken ist, dass er im Parlament und nicht vor Flüchtlingsheimen seinen Kitsch "Drum lass Dich nicht verhärten" geträllert hat, so wollen auch viele seiner damaligen Fans Menschenrechtsverletzungen nur noch in Russland und der Türkei, aber keinesfalls in Deutschland wahrnehmen.

 

Wenn dann schon mal eine Grundrechtsverletzung, wie der Entzug der Akkreditierungen von Journalisten nicht zu leugnen ist, wird sofort die Diskussion auf den türkischen Geheimdienst gebracht. Dabei wurden viele der betroffenen Pressevertreter schon wiederholt von der Polizei in Deutschland auf Demonstrationen bei ihrer Arbeit gehindert und geschlagen. Auch ihre Akkreditierungen wurden ihnen schon wiederholt entzogen. Nicht von türkischen, sondern von deutschen Staatsapparaten.

 

Die eigentliche Gefahr für die Demokratie

 

Wenn selbst für so offen dokumentierte Grundrechtsverletzungen die Verantwortung zumindest teilweise ins Ausland verlagert wird, ist natürlich Kritik an der Polizei schon fast Landesverrat. Das war schon so, als die Spitzenpolitikerin der Grünen, Sabine Peters, das Racial Profiling in Köln in der letzten Silvesternacht kritisiert hat und sich im Anschluss von ihrer gut begründeten Kritik distanzierte.

 

Die Publizistin Jutta Ditfurth ist lange genug nicht mehr Mitglied der Grünen, so dass sie sich als Diskussionsteilnehmerin bei Maischberger nicht von ihrer gut begründeten Kritik am Hamburger Polizeieinsatz abbringen ließ und dadurch den CDU-Rechtsaußen Bosbach in Rage brachte, dass er schließlich die Diskussion verließ.

 

Dabei ging aber unter, dass er das autoritäre Gebaren seines Parteifreundes und Polizeigewerkschafters Joachim Lenders ausdrücklich unterstützte, der auch auf die völlig moderate Kritik an dem Hamburger Polizeieinsatz des Linkenpolitikers Jan van Aaken mit Wut regierte und die zahlreichen dokumentarischen Fälle von Menschenrechtsverletzungen durch die Polizei nicht mit einen Wort bedauerte.

 

Insofern lieferte diese Diskussionsrunde auch einen guten Einblick, wie reaktionärer Korpsgeist und offen zur Schau gestellter Autoritarismus das Signal an die Polizei gibt, sie könne weiterhin Grundrechte verletzten. Bosbach, die Bildzeitung und Lenders werden sie verteidigen. Hier und nicht in den Riots liegt nach meiner Auffassung die eigentliche Gefahr für die Demokratie.