G20-Anwälte: »Das gefährdet wirklich den Rechtsstaat«

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Erstveröffentlicht: 
26.06.2017

Notdienst fordert Polizei auf, Rechtsstaatlichkeit vorher zu prüfen / Erinnerung an Repressionen in Heiligendamm

 

Berlin. Polizisten sollten sich nach Ansicht des anwaltlichen Notdienstes schon im Einsatz beim G20-Gipfel in Hamburg Gedanken um die Rechtsstaatlichkeit ihrer Aktionen machen. Erfahrungen etwa beim G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm zeigten, dass viele juristisch umstrittene Entscheidungen getroffen werden, sagte die Rostocker Rechtsanwältin Verina Speckin, die 2007 eine führende Rolle beim anwaltlichen Notdienst spielte und auch im Juli in Hamburg sein wird. »Ein Polizist in Führungsposition sollte nicht jemand sein, der erst einkesselt und dann drei Jahre später mit den Achseln zuckt, wenn die Maßnahme als rechtsfehlerhaft kassiert wird.«

 

Für die Anwälte sei der G20-Gipfel eine Großlage, bei der dieselben Rechte gelten wie überall. »Das wird manchmal in solchen Lagen im Eifer des Gefechts übersehen«, erklärte Speckin. Für sie erscheint es durchaus möglich, dass die Versammlungsfreiheit dem Sicherheitsbedürfnis der staatlichen Organe geopfert werden kann. Zum Gipfel der 20 Staats- und Regierungschefs werden mehr als 100.000 Gegendemonstranten erwartet. Die Deutsche Presse-Agentur weiß noch mehr: Darunter seien angeblich »mehrere Tausend gewaltbereite Extremisten«. Und weil dies so sein soll, werde es »fast zwangsläufig zu Konfrontationen mit der Polizei führen«. Soweit die Nachrichtenagentur im O-Ton.

 

Der Anwaltsnotdienst wird ihrem Bericht zufolge weit mehr als 50 Anwälte stellen. Deren Hauptaufgabe sei, in Gewahrsam genommenen Menschen Unterstützung zu geben. Sollte aus dem Gewahrsam eine Inhaftierung folgen, hätten die Betroffenen ein Recht auf anwaltlichen Beistand. Bei G8 sei den Anwälten der Zugang teilweise mehrfach verwehrt worden. Die Anwälte hatten mit Sitzstreiks vor den Gefangenensammelstellen reagiert. »G8 hat gezeigt, dass es der Polizei und auch vielen Richtern nicht klar ist, was auf sie zukommt.« Es werde oft gegen das sogenannte Unverzüglichkeitsgebot verstoßen und Demonstranten viel zu lange in den Sammelstellen verwahrt.

 

Zum Aufgabenbereich der Anwälte gehöre auch, vermisste Demonstranten in den Sammelstellen aufzuspüren. Als ein großes Problem könne sich in Hamburg die schwierige Logistik herausstellen, erklärte die Juristin. Es bestehe die Gefahr, dass vorläufig festgenommene Demonstranten wegen Staus auf den Straßen stundenlang in überhitzten Bussen verharren müssen. »Gleichzeitig begleiten wir auch Demonstrationen und beobachten, ob das Versammlungsrecht eingehalten wird«, sagte Speckin. Es könne passieren, dass die Polizei eine Versammlung auflöse. Die Anwälte könnten dann nochmal mit den Polizisten sprechen und nach einer anderen Lösung suchen. »Wir können deeskalierend wirken.«

 

»Bei G8 konnte festgestellt werden, dass die umstrittenen Aktionen das Rechtsempfinden vieler vor allem junger Demonstranten erheblich beeinträchtigt haben«, so Speckin weiter. Heiligendamm habe zur Politisierung der Menschen beigetragen. »Der Staat muss wissen, dass dort, wo mit starker Repression gearbeitet wird, das Pendel auch wieder zurückschlagen kann - das kann auch mit jahrelanger Verzögerung passieren - und das gefährdet wirklich den Rechtsstaat.« Derweil stellt das Amtsgericht Hamburg seine G20-Außenstelle vor. Diese wird eingerichtet, um für bis zu 400 Festgenommene in einer Gefangenensammelstelle in Hamburg-Harburg entsprechende richterliche Anordnungen zu produzieren. In den Containern sollen Richter möglichst schnell entscheiden, ob ein Haftbefehl erlassen oder nur eine Ingewahrsamnahme von maximal zehn Tagen angeordnet wird. Anderenfalls müssen die Festgenommenen schnell wieder freigelassen werden. Rund um die Uhr sollen acht Richter und drei Mitarbeiter der Geschäftsstelle des Amtsgerichts im Dienst sein. Insgesamt stehen rund 80 Richter zur Verfügung.