Probleme mit G20-Gegnern in der Region sind schon länger bekannt

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Erstveröffentlicht: 
04.07.2017

Aachen/Hamburg. An manchen Tagen muss Bernd Küppers für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung in Städten sorgen, in denen er noch nie gewesen ist, und in die er vielleicht auch niemals reisen wird, zum Beispiel Hamburg. Am Montagabend stand er wieder am deutsch-belgischen Grenzübergang auf der A44 und erklärte, was seine Kollegen gerade tun: schauen, prüfen, rauswinken, kontrollieren.

 

Für die Sicherheit von Staats- und Regierungschefs sorgen, die noch überhaupt nicht in Deutschland sind. Bernd Küppers ist Bundespolizist in Aachen, und der G20-Gipfel in Hamburg ist mittlerweile auch seine Sache.

 

Weil die Hamburger Polizei und die Verfassungsschutzämter den Eindruck haben, dass die linksextreme Szene in Deutschland, dass die linksextreme Szene ganz Europas nur auf diesen Gipfel gewartet hat, um gegen ihn zu demonstrieren und zu randalieren, beginnt dessen Sicherung an manchen Tagen eben schon an der deutsch-belgischen und der deutsch-niederländischen Grenze in Aachen.

 

Die Sicherheitsbehörden sprechen von potenziellen Anschlägen, Brandstiftungen und gewaltsamen Ausschreitungen während des Gipfels in Hamburg, von einem anarchistischen Protestszenario also, das in dieser Form noch vor ein paar Jahren in Deutschland kaum für möglich gehalten wurde. Eine der vielen linken Demonstrationen ist unter dem Titel „Welcome to hell“ angemeldet, „Willkommen in der Hölle“. 

 

Der silberne Passat


Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz hat einen kontinuierlichen Anstieg linksextremer Straftaten festgestellt, deren Zahl hat sich in den vergangenen zehn Jahren verdreifacht hat. Der Szene in NRW werden im Moment knapp 1000 Menschen zugeordnet, 2015 waren es noch etwa 800. „Mit einer Änderung dieser Entwicklung ist derzeit nicht zu rechnen“, wie Oliver Moritz, Sprecher des nordrhein-westfälischen Innenministers Herbert Reul (CDU), am Dienstag auf Anfrage unserer Zeitung erklärte. Die „laufenden Mobilisierungskampagnen gegen den G20-Gipfel und für die ,Ende Gelände‘-Kampagne im Rheinischen Braunkohlerevier Ende August bestätigen diese Einschätzung“, sagte Moritz weiter.

 

In der Tat hat auch die „Antifaschistische Aktion“ (Antifa) Aachen im Internet zur Teilnahme an den Demonstrationen gegen den G20-Gipfel in Hamburg aufgerufen, ein diesbezüglicher Artikel trug die Überschrift: „Hamburg in Schutt und Asche legen – warum eigentlich (nicht)?“ Die Rede ist von „sozialem Krieg“ gegen Flüchtlinge, den die G20-Staaten angeblich führen, von einem „technologischen Angriff“ der US-Notenbank „und des Silicon Valley“ in der Absicht, derzeitige „Lebensformen zu entwerten, bis zum Verfall in die Überflüssigkeit“. Der Artikel endet mit dem Aufruf: „Seien wir im Juli in Hamburg so radikal wie die Realität der G20!“

 

Die Bundespolizisten, die am Montag an der A44 eingesetzt waren, fanden in ein paar der kontrollierten Autos Haschisch, sie stellten mehrere illegale Einreiseversuche von Flüchtlingen fest. Nichts, was sie nicht bei jeder anderen der selten gewordenen Grenzkontrollen auch feststellen würden.

 

Doch dann, gegen kurz nach 18 Uhr, fuhr ein silberner VW Passat auf den Grenzübergang, den die Bundespolizei zur Kontrolle rauswinkte. Vier junge Männer, einer trug Ohrringe in Form eines Friedenszeichens, hinten auf dem Auto ein Anti-AKW-Aufkleber. Personenkontrollen, Fahrzeugdurchsuchung. Ergebnis: der Fund einer Zwille, also einer Steinschleuder. Dann durfte das Auto weiterfahren. 

 

Parallelen zum Hambacher Forst


Küppers und seine Kollegen kontrollieren in erster Linie deswegen die Grenzen im Aachener und Heinsberger Raum, damit potenzielle linke Gewalttäter erst gar nicht bis nach Hamburg kommen. Doch Christof Irrgang, ebenfalls Bundespolizist der Inspektion Aachen, sagt, dass es gar nicht so einfach ist, potenzielle Gewalttäter zu identifizieren. Reicht der Fund einer Zwille in einem Auto, um den vier Insassen die Weiterfahrt zu verweigern? „Natürlich nicht“, sagt Irrgang.

 

Eine viel diskutierte Studie der Freien Universität Berlin hat 2015 ergeben, dass – anders als auf der rechten Seite des politischen Spektrums – „die Trennlinien zwischen extremer und radikaler, aber demokratischer Linker verschwimmen, so dass Linksextremisten gleichsam unter dem Schutzschirm des gesamten linken Milieus stehen“, wie die Verfasser schrieben.

 

Das könnte allerdings auch damit zu tun haben, dass viele einstmals linksextreme Ziele mittlerweile Teil des gesellschaftlichen Konsens‘ sind: Umweltschutz, Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit, faire Verteilung des Wohlstands. Keiner der G 20-Staatschefs würde sich offen gegen diese Ziele stellen, außer vielleicht Donald Trump.

 

Die Frage ist nur, wie man diese Ziele erreichen möchte: diplomatisch und über einen längeren Zeitraum – oder mit Gewalt sofort?

 

Antje Grothus aus Kerpen-Buir ist eines der Gesichter des Braunkohlewiderstandes im Rheinischen Revier. Sie gehört der Initiative „Buirer für Buir“ an, die seit mehr als zehn Jahren gegen die weitere Auskohlung des Tagebaus Hambach und gegen die Vernichtung des Hambacher Forsts kämpft. Grothus ist Teil des bürgerlichen und friedlichen Widerstandes, doch dieser Widerstand ist jahrelang kaum wahrgenommen worden; weder von Tagebaubetreiber RWE, noch von der Politik, noch von den Medien.

 

Aufmerksamkeit erhielt der Kampf um den Erhalt des Hambacher Forsts erst, als 2012 die Aktivisten kamen und den Wald besetzten. Immer wieder nahm der Widerstand seitdem auch gewaltsame Formen an, Barrikaden brannten, Molotow-Cocktails flogen, Polizisten wurden angegriffen. Der gewaltsame Widerstand im Rheinischen Revier sorgte plötzlich für Schlagzeilen in ganz Europa. Und erst dann setzten sich Vertreter von RWE mit Braunkohlekritikern an einen Tisch.

Ein Dilemma?

 

„Es ist tragisch, dass Widerstand nur dann wahrgenommen wird, wenn er gewalttätig oder zumindest spektakulär ist“, sagt Antje Grothus. Jahrelang hätten sie und ihre Mitstreiter friedlich demonstriert und versucht, konstruktiv zu argumentieren. Zugehört habe ihnen aber kaum jemand.

 

Die gewaltbereiten Aktivisten im Hambacher Forst gehören genau der Szene an, aus der die Aufrufe zu gewaltsamen Protesten in Hamburg kommen, und derentwegen 20.000 Polizisten in der Stadt sind. Schon jetzt sind Tag und Nacht Verwaltungsgerichte und sogar das Bundesverfassungsgericht mit Klaggen der G20-Gegner beschäftigt.

 

Es geht darum, ob Protestcamps errichtet werden dürfen, ob dort gekocht und übernachtet werden darf. Wann welche Demonstration unter welchen Auflagen stattfinden darf. Es ist ein einziges Chaos, das vom demokratischen Rechtsstaat erst ermöglicht wird, einer Staatsform, die die anarchistische Szene, zu der sich viele der gewaltbereiten G 20-Demonstranten zählen, am liebsten abschaffen würde – und doch keine Probleme damit hat, die Privilegien des Rechtsstaats in Anspruch zu nehmen. 

 

Der Aktivist – ein Märtyrer?


Einer der Aktivisten aus dem Hambacher Forst erzählte Ende Juni einer Gruppe von Geistlichen bei einer Führung durch den umkämpften Wald, wie er den Braunkohlewiderstand empfindet, was es für ihn bedeutet, sich für den Erhalt der Natur einzusetzen, sich den Braunkohlebaggern notfalls mit nichts als seinem Leben entgegenzustellen. Einer der Geistlichen sagte, diese Form des Einsatzes für die Natur erinnere an ein Martyrium.

 

Der gewaltbereite linksextreme Aktivist, ein moderner Märtyrer? Eine Glaubensfrage, die jedenfalls nicht dabei hilft, die wachsenden Probleme mit gewaltbereiten Linksextremen in den Griff zu bekommen.