Angriffe auf Geflüchtete und Asylunterkünfte in Sachsen - Kleine Anfragen ergeben: Über 70 Prozent der Ermittlungen gegen die Täter verlaufen im Sande

Erstveröffentlicht: 
16.05.2017

Nein, das Thema ist noch lange nicht ausgestanden. Fremdenfeindlichkeit ist in Sachsen nach wie vor ein Problem. Laut Quartalsanfrage der Abgeordneten Juliane Nagel gab es in den ersten drei Monaten des Jahres 2017 noch vier Angriffe auf Asylunterkünfte, darunter ein (wiederholter) Anschlag auf eine von Geflüchteten bewohnte Wohnung am 15. Januar in Wurzen. Die Zahlen sinken, aber die Aufklärung klemmt.

 

Damit ist jetzt zwar die Zahl der Angriffe im Vergleich zum 4. Quartal 2016 mit 13 Angriffen und dem Vergleichszeitraum im 1. Quartal 2016 (37 Angriffe) stark gesunken.

 

Die zum ersten Mal abgefragten Zahlen zu politisch motivierten Straftaten gegen Geflüchtete ergeben allerdings eine erschreckend hohe Zahl, stellt Juliane Nagel fest. Bei insgesamt 55 der PMK (politisch motivierte Kriminalität) rechts zuzuordnenden Straftaten gab es vier verletzte Personen.

 

Und ernüchternd ist für sie auch ein weiteres Mal die Bilanz der Ermittlungen. Im Jahr 2015 wurden 88 von 118 Straftaten gegen Unterkünfte von Geflüchteten eingestellt. Das sind rund 75 Prozent dieser Straftaten, die letztlich nicht aufgeklärt wurden. In lediglich 15 Fällen kam es bisher zu Verurteilungen. Dieser Trend setzte sich im Jahr 2016 fort: Von 117 Straftaten gegen Asylunterkünfte wurden bisher bereits 84 eingestellt, das sind 72 Prozent


„Der Rückgang der Anschläge auf die Unterkünfte von Geflüchteten im 1. Quartal dieses Jahres lässt vorerst aufatmen“, kommentiert Juliane Nagel, Sprecherin für Flüchtlings- und Migrationspolitik der Linksfraktion im Landtag, diese Zahlen. „Einen Grund zur Entwarnung gibt es jedoch nicht. Nicht nur ist jede rassistisch motivierte Straftat eine zu viel. Auch die rechts motivierten Straftaten, die gegen Geflüchtete verübt wurden, sind ein Spiegelbild des radikalisierten gesellschaftlichen Rassismus.“

 

Dass viele dieser Übergriffe nicht aufgeklärt werden, hat auch damit zu tun, dass sich sächsische Ermittler nach wie vor schwertun, die vernetzt agierenden Gruppen von Rechtsradikalen, die oft dahinterstecken, ernst zu nehmen und auszuermitteln.

 

„Derzeit zeigt der Prozess gegen die Gruppe Freital, wie kurz der Draht zwischen rechter Terrorzelle und BürgerInneninitiative gegen Asylunterkünfte ist“, sagt Juliane Nagel. „Die Neonazis, die mutmaßlich den Angriff auf ein linksalternatives Hausprojekt in der Overbeckstraße in Dresden verübt haben, hatten sich im Vorfeld bei der Blockade von ‚Übigau wehrt sich‘, die über mehrere Wochen versuchte, die Nutzung einer Turnhalle als Asylunterkunft  zu verhindern, getroffen. Von dort aus starteten sie den Angriff auf das Wohnprojekt. Die Strafverfolgung gegen die, die gegen Asylunterkünfte vorgehen, bleibt zahnlos. Die Quote der Verfahrenseinstellungen steigt weiter von 65 Prozent im 4. Quartal 2016 auf 75 Prozent im 1. Quartal 2017.“

 

Fehlt es da an juristischem Biss?


Oder sind die Beweislagen so schwach, dass die Täter nicht dingfest gemacht werden können? Wenn letzteres zutrifft, fehlt es eindeutig an der notwendigen Ausstattung der Polizei und eines deutlich wacheren Staats- und Verfassungsschutzes. Was dann die Freiräume ergibt, in denen Sachsens Fremdenfeinde agieren können.

 

„Rassistische Einschüchterung und Gewalt waren und bleiben in Sachsen ein handfestes Problem: Zuerst für die Betroffenen und auch für die sächsische Gesellschaft“, sagt Nagel. „Alle – Politik, Polizei, Justiz und Bevölkerung – sind gefragt, Rassismus unmissverständlich die Stirn zu bieten. Dabei muss klar sein, dass Rassismus weit vor dem Übergriff, nämlich im Alltag anfängt.“