Sachsen erweitert sein Aussteigerprogramm: Mit einem neuen Filmprojekt sollen Neonazis bewogen werden, ihre Kameradschaften zu verlassen. Die Filme werden in den sozialen Medien gezielt Personen aus dem rechtsextremen Spektrum vorgeschlagen.
Dresden. Sachsen erweitert sein Aussteigerprogramm: Mit einem neuen Filmprojekt sollen Neonazis bewogen werden, ihre Kameradschaften zu verlassen. Unter dem Titel „Blick zurück – Reflexionen eines Aussteigers“ erzählt der ehemalige Neonazi Enrico aus Sachsen, wie er als Schüler in die rechtsextreme Szene kam, diese über viele Jahre hinweg erlebte, und was ihn veranlasste, seine Ideologie zu hinterfragen und schließlich auszusteigen. Im ersten Streifen erklärt er: „Der Hass hat mich angewidert, hat mich krank gemacht. Ich wollte nicht mehr wütend sein.“
Wöchentlich eine Geschichte von Enrico
Der einminütige Auftakt zu der neuen Filmreihe ist ab sofort auf Youtube und bei Facebook zu sehen. Wöchentlich werden immer mittwochs elf weitere je ein- bis dreiminütige Filme, die Enricos Geschichte unter verschiedenen Aspekten betrachten, online gestellt. Der heute über 40-jährige Aussteiger erzählt beispielsweise, dass Gewalt und Hass in seinem Alltag immer eine Rolle spielten: „Wir haben angehalten, sind aus den Autos raus und haben die zusammengeschlagen, mit Fäusten, mit Füßen, mit Gegenständen. Ich war teilweise wie in einem Rausch.“
Der Aussteiger berichtet außerdem über Musik („die Einstiegsdroge“), Kameradschaft („das zentrale Element“), die Widersprüche in der Szene und schließlich seinen langen, gut drei Jahre dauerenden Weg bis zum Ausstieg. „Die unverblümten Berichte des Protagonisten machen das Filmprojekt des Aussteigerprogramms Sachsen authentisch und belegen, wie gefährlich und menschenverachtend die Szene ist“, erklärt Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU).
Angebot für alle, die raus wollen aus der rechtsextremen Szene
Die Filme werden in den sozialen Medien gezielt zwei Personengruppen vorgeschlagen. Einerseits werden Personen angesprochen, die Affinitäten zu rechtsextremen und völkischen Themen erkennen lassen oder einschlägigen Organisationen folgen. „Wir wollen ihnen Mut zum Ausstieg machen. Unser Aussteigerprogramm ist ein Angebot an alle, die raus aus der extremistischen Szene wollen“, macht Ulbig klar. Andererseits richte sich das Videoprojekt an Multiplikatoren der sozialen Arbeit sowie der Bildungs- und Demokratiearbeit, „um für Ausstiegsarbeit zu sensibilisieren“.
Seit der ersten Auflage des Aussteigerprogramms im Jahr 2011 sind in Sachsen 69 Fälle bearbeitet worden. Darunter befinden sich neben fünf erfolgreichen Ausstiegen auch Beratungen von Angehörigen und Freunden. 12 Fälle laufen aktuell, kontinuierlich kommen Anfragen hinzu. Die Beratung und Begleitung erfolgt kostenlos, anonym und vertraulich.
Weitere Informationen: www.steig-aus.de
Andreas Debski