Am 22. April kamen in Nürnberg 230 Menschen mit und ohne Fluchtgeschichte im Rahmen der zweiten Veranstaltung "Geflüchtete erheben ihre Stimme". Die Veranstaltung stand auch im Zeichen der zu befürchtenden weiteren Abschiebewellen.
In der bestens gefüllten Aula des Gostenhofer Nachbarschaftshauses hörten wir an diesem Samstag Abend individuelle Berichte über Flucht, Krieg und Vertreibung und über die Situation als Geflüchtete in Deutschland. Beleuchtet wurden auch die Ursachen von Flucht und Vertreibung und die Migrations- und Abschottungspolitik der imperialistischen Zentren. Die ReferentInnen aus Afghanistan, Äthiopien, der Türkei und Deutschland betonten immer wieder die Notwendigkeit eines gemeinsamen solidarischen Kampfes.
Nach einer Begrüßung durch das Bündnis "Fluchtursachen bekämpfen" sprachen Geflüchtete zunächst über die dramatische Situation im angeblich sicheren Herkunftsland Afghanistan. Große Teile dieses Kriegslandes werden immer wieder von den Talibanregime und diversen anderen Gruppierungen kontrolliert. Besonders Frauen haben unter deren Herrschaft zu leiden. Steinigung als Strafe für Frauen ist an der Tagesordnung und sehr viele Mädchen haben nicht die Möglichkeit, zur Schule zu gehen. Der NATO-Angriff auf das Land, in dem nach wie vor deutsche und US-Amerikanische SoldatInnen stationiert sind, hat für die Bevölkerung weiteres Elend gebracht. Die Versorgungslage ist in weiten Teilen Afghanistans katastrophal. ISIS, so ein Referent, sei mittlerweile die zweitgrößte Terrorgruppe in Afghanistan.
Gerade bereiten die deutschen Abschiebebehörden weitere Massendeportationen nach Afghanistan vor. Ein Geflüchteter meinte hierzu: "Wenn du als ganz normaler Mensch in Afghanistan dein Haus verlässt, weiß deine Familie nicht, ob du jemals zurückkommst. Ist das Sicherheit?" Geflüchtete verwießen auf den Hohn, dass deutsche PolitikerInnen behaupten, Afghanistan sei sicher, während deutsche Soldaten dort ihre Unterkünfte nur in gepanzerten Fahrzeugen verlassen. Asylanträge von AfghanInnen werden in Deutschland manchmal sechs bis sieben Jahre lang bearbeitet. Ein überwiegender Teil der aus Afghanistan geflüchteten erhält gerade negative Bescheide. Sie sollen in oftmals unmittelbare Todesgefahr abgeschoben werden.
Neben Afghanistan lag ein weiterer Fokus des Abends auf Äthiopien und insbesondere die brutale Unterdrückung der Oromo und anderer Völker durch die äthiopische Regierung, welche von der deutschen Regierung bereitwillig Unterstützung erfährt. Schließlich haben deutsche Unternehmen massive wirtschaftliche Interessen in Äthiopien. Die Herrschenden in Deutschland haben also einiges davon, dass Landenteignung, Morde an der Landbevölerung und Vertreibungen in Äthiopien ungehindert weitergehen. Ein Geflüchteter hierzu: "Die äthiopische Regierung tut alles dafür, ausländische Investoren anzulocken. Der größte Teil der Bevölkerung, insbesondere die Unterdrückten Oromo, haben natürlich nichts von diesen Investitionen. Mit der Merkel-Regierung hat das Regime einen Deal abgeschlossen: Äthiopien nimmt die Geflüchteten Oromo zurück. Dafür erhält die Regierung weitere Waffen. Auch bei den Abschiebungen nach Äthiopien tut sich Bayern besonders hervor. Abgeschobene Oromo werden oft direkt nach ihrer erzwungenen Rückkehr am Flughafen vehaftet. Sehr vielen drohen Folter, Gefängnis und Ermordung." Auch das Dublin III Abkommen stellt gerade für ÄthiopierInnen eine akute Bedrohung dar, da vielen nun eine Deportation nach Italien droht, wo die Verhältnisse für Geflüchtete noch viel erbärmlicher und gefährlicher sind als in Deutschland.
Ein Sprecher der Gruppe Prolos thematisierte die weltweiten Ursachen von Flucht und Vertreibung, die im globalen Wüten eines menschenfeindlichen Wirtschaftssystems und in der patriarchalen Unterdrückung zu suchen seien. Er rief dazu auf, gemeinsam gegen die Zumutungen der staatlichen Aggressionen vorzugehen. Ziel müsse es sein, sich weiter besser zu vernetzen und – auch in den Gemeinschaftsunterkünften - zu organisieren. Er erinnerte in einer leidenschaftlichen Rede daran, dass unsere wirksamste Waffe die Solidarität ist. "Wir müssen allen helfen, sich gegen Abschiebungen zur Wehr zu setzen und nicht allein gegen Abschiebungen vorgehen, sondern auch gegen die Ursachen von Flucht und Vertreibung."
Eine Geflüchtete aus Äthiopien berichtete über ihre Flucht, welche sie unter anderem nach Saudi-Arabien geführt hatte – ein Land, das sie wieder verließ, da Frauen dort nahezu völlig entrechtet sind und sie ihre Identität als selbstbewußte Frau und als Christin verstecken musste. In Deutschland angekommen, wurde ihr ihre bewegte Fluchtgeschichte – wie so vielen – von den Behörden zunächst nicht geglaubt. Sie beschrieb die Jahre der Angst und Ungewissheit. "Ich hatte mich oft so gefühlt, als ob ich gar nicht bin." Mittlerweile hat die Äthiopierin einen Anerkennungsbescheid erhalten. Sie setzt sich weiter solidarisch und internationalistisch für Geflüchtete ein. Ihr Appell: "Die Leute an der Macht haben uns gespalten. Wir müssen aber solidarisch kämpfen. Miteinander, ohne uns durch Hautfarbe, Geschlecht oder Religionszugehörigkeit spalten zu lassen."
Zum Abschluss stellte sich das Begegnungscafé Begegnung statt Spaltung vor - www.facebook.com/BegegnungstattSpaltung
und der bayerische Flüchtlingsrat berichtete über seine Aktivitäten und die Kampagne gegen die Deportationen nach Afghanistan.
Bei der Veranstaltung zugegen war zudem die Audioausstellung "Fluchtursachen benennen. Solidarität aufbauen. Frauen weltweit kämpfen für ihre Befreiung!" der organisierten autonomie.
Das Bündnis "Fluchtursachen bekämpfen" wird am 27.Mai 2017 mit einer Demonstration in Nürnberg einen weiteren Schritt gehen, um die Vernetzung der Kämpfe und Initiativen rund um Flucht und Vertreibung zu unterstützen. Wir müssen uns in unseren Aktivitäten aufeinander beziehen und uns gegenseitig stärken, denn: "Wir haben nur eine Chance, und die liegt in unserer Solidarität!"
Ein Audiomitschnitt der Veranstaltung wird demnächst auf
www.fluchtursachen.tk
online gestellt.
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