Der Gesetzentwurf zur weitergehenden Deutung von DNA-Spuren ist im Bundesrat vorerst abgeblitzt. Wissenschaftler warnen vor rechtlichen, ethischen und sozialen Risiken.
Von: Sebastian Kaiser und Franz Schmider
Baden-Württemberg ist am Freitag mit dem Versuch gescheitert, einen 
Gesetzentwurf zur erweiterten Nutzung der DNA-Spuren im Eilverfahren 
durch den Bundesrat zu bringen. Das Land hat im Februar einen 
entsprechenden Antrag eingebracht, dieser wird nun wie üblich zunächst 
im Rechts- und Innenausschuss beraten. Das Land will erreichen, dass 
Ermittler auch Augen-, Haar-, Hautfarbe und Alter potenzieller Täter 
anhand von Erbinformationen bestimmen dürfen. Doch Wissenschaftler 
warnen vor rechtlichen, ethischen und sozialen Risiken der Technologie.
Es ist im Dezember 2016, als sich der Freiburger Polizeipräsident 
Bernhard Rotzinger zu Wort meldet. Der Fall der in Freiburg getöteten 
Maria L. erschüttert die Republik. Polizei und Staatsanwaltschaft haben 
wenige Tage zuvor die Festnahme eines dringend tatverdächtigen 
minderjährigen Flüchtlings bekanntgegeben. Seine DNA ist identisch mit 
Spuren, die an der getöteten 19-jährigen Studentin gefunden wurden. Auf 
seine Spur kamen die Ermittler mit Hilfe eines am Tatort gefundenen 
schwarzen Haars, das eine auffällige Färbung aufwies – klassische 
Polizeiarbeit. Rotzinger appelliert an die Politik, eine umfassendere 
Auswertung von Erbgut bei Fahndungen zuzulassen. Bei der Tätersuche im 
Fall Maria L. "hätte uns das massiv geholfen", sagt Rotzinger. "Wir 
hätten wesentlich konzentrierter die Ermittlungen vorantreiben können."
Auch Baden-Württembergs Justizminister Guido Wolf treibt der Fall Maria 
L. um. Wolf drängt Ende 2016 darauf, die Regeln für die DNA-Analyse zu 
lockern und bittet Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) um Hilfe. Maas 
signalisiert Gesprächsbereitschaft. Nach anfänglichem Zaudern findet 
Wolfs Ansinnen die Zustimmung des grünen Koalitionspartners in Stuttgart
 – seine Forderung, auch die "biogeographische Herkunft" einer Person 
bestimmen zu lassen, lehnen die Grünen aus verfassungsrechtlichen 
Bedenken ab. Auch der Emmendinger SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes 
Fechner springt Wolf bei: "Wenn mit hoher Sicherheit ein persönliches 
Merkmal des Täters festgestellt werden kann, sollte die Polizei diesen 
Hinweis erhalten und nutzen dürfen", sagt Fechner.
Baden-Württembergs Justizminister Wolf: "Kein Verständnis für Verzögerungstaktik"
Rund vier Monate sind seither vergangen. Inzwischen liegt dem Bundesrat 
ein entsprechender Gesetzesantrag des Landes Baden-Württemberg zur 
Änderung der Strafprozessordnung vor. Die erweiterte DNA-Analyse 
avanciert dabei zum potenziellen Wahlkampfschlager. In der CDU wächst 
die Sorge, die SPD verschleppe den Antrag, um mit einem eigenen 
Vorschlag vorzupreschen und die Lorbeeren für sich beanspruchen zu 
können.
Deshalb hatte Justizminister Guido Wolf einen Antrag auf sofortige 
Sachentscheidung gestellt – und ist damit am Freitag abgeblitzt. Er habe
 "kein Verständnis für die Verzögerungstaktik", sagte Wolf nach der 
Sitzung. Neben Baden-Württemberg haben nur Bayern und Hessen den Vorstoß
 unterstützt. "Wenn wir vor der Bundestagswahl noch zu einer 
Gesetzesänderung kommen wollen, und das will ich, dann ist jetzt Eile 
geboten. Deshalb werde ich den Druck aufrechterhalten."
Zuvor hatte Bundesjustizminister Heiko Maas am 21. März eine Reihe von 
Wissenschaftlern zu einem Fachsymposium nach Berlin eingeladen, um über 
Möglichkeiten und Grenzen der forensischen DNA-Analyse zu diskutieren. 
Unter den Referenten befanden sich unter anderem die Freiburgerin 
Veronika Lipphardt und Matthias Wienroth vom Londoner King’s College. 
Beide gehören zu einer Gruppe von Wissenschaftlern, die in einem offenen
 Brief die Pläne zur erweiterten DNA-Analyse kritisieren.
Kritiker beklagen rechtliche, ethische und soziale Risiken
Wer eine Ausweitung der polizeilichen Möglichkeiten in diesem Bereich 
fordere, so heißt es in dem Schreiben, sollte die Komplexität der 
Ermittlungsinstrumente zur Kenntnis nehmen: "Sie birgt rechtliche, 
ethische und soziale Risiken, die jeden einzelnen Bürger treffen 
können", warnen die Wissenschaftler. Im Interview mit der Badischen 
Zeitung sagt Anna Lipphardt, Juniorprofessorin am Institut für 
Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie an der Universität 
Freiburg, dass "die Darstellung der Sachlage viel zu positiv und 
einseitig" betrieben worden sei. Es bestehe die Gefahr, dass 
Minderheiten diskriminiert würden, zudem sei die Technologie längst 
nicht so treffsicher wie behauptet. Die hohen Wahrscheinlichkeiten, mit 
denen Befürworter für die Gesetzesänderungen geworben hätten, seien 
nicht zutreffend berechnet. "Auch über die notwendigen Kontrollinstanzen
 und Mechanismen zum Datenschutz wird derzeit überhaupt nicht 
gesprochen", erläutert Anna Lipphardt, die – wie ihre Schwester Veronika
 – zu den Unterzeichnern des offenen Briefs zählt.
Tatsächlich ist bisher der Nutzen einer Ausweitung der DNA-Analyse nicht
 nachgewiesen. "Untersuchungen über einen sich aus der Erweiterung der 
Möglichkeiten zur Untersuchung von DNA-fähigem Material ergebenden 
Fahndungserfolg sind dem Justizministerium nicht bekannt", räumt sogar 
das Justizministerium in Stuttgart auf eine Anfrage der Badischen 
Zeitung ein.
"Es gibt keine belastbaren Evaluationsstudien zur vergleichenden 
DNA-Analyse, die angeben würden, ob und wie sich die Aufklärung und dann
 die Verurteilungswahrscheinlichkeit verändert haben", sagt auch 
Hans-Jörg Albrecht vom Max-Planck-Institut für internationales 
Strafrecht in Freiburg. Das heißt, es wurde nie wissenschaftlich 
untersucht, ob sich seit der Einführung der erweiterten DNA-Analyse in 
den Ländern zum Beispiel die Aufklärungs- und Verurteilungsquote 
verändert hat und inwiefern die DNA-Spuren dazu etwas beigetragen haben.
 Die von Innenministerien und Polizei mitgeteilten Zahlen dazu, wie 
viele schwere Straftaten mit Hilfe von DNA-Abgleichen aufgeklärt worden 
seien, sagen für Albrecht "noch nichts darüber, ob und inwieweit sich 
dadurch Aufklärungs- und Verurteilungswahrscheinlichkeiten in die 
angenommene Richtung verändert haben – also über einen kausalen 
Zusammenhang, sollten Veränderungen beobachtet werden".
Das liegt nicht zuletzt daran, dass noch vieles unbekannt ist, was die 
Zusammenhänge zwischen genetischer Anlage und der phänotypischen 
Ausbildung eines Merkmals angeht. So liegt die Treffsicherheit beim 
Hinweis auf die Augenfarbe bei rund 70 Prozent. Das Stuttgarter 
Justizministerium geht von 70 bis 90 Prozent 
Vorhersagewahrscheinlichkeit aus. Die Bundesregierung nennt in einer 
Antwort auf eine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Fechner eine 
Genauigkeit von 75 (Augenfarbe) bis 98 (Hautfarbe) Prozent. Die Frage 
der regionalen Herkunft ließe sich nur grob für drei Kontinente (Europa,
 Afrika, Südamerika) beantworten. Stammen die Eltern aus verschiedenen 
Regionen, schwinde die Aussagekraft der DNA-Analyse weiter.
Welche Tücken zu großes Vertrauen in DNA-Spuren haben kann, weiß man 
gerade in Freiburg nur zu gut. Denn DNA-Spuren können zum Täter hin, 
aber auch vom Täter wegführen – und ihn folglich schützen. So waren sich
 die Ermittler am 26. März 2001 nach dem Fund einer Leiche im Stadtteil 
St. Georgen sicher, dass der Rentner Josef Walzenbach von einem Mann 
getötet worden sei, man hatte auch ein bestimmtes Milieu im Blick, die 
Überprüfungen liefen an.
Falsche Spur durch verunreinigte Wattestäbchen
Dann der Hinweis: DNA-Spur einer "uwp", einer "unbekannten weiblichen 
Person". Und diese "uwp" sollte zudem bereits am 25. Mai 1993 in 
Idar-Oberstein die Rentnerin Lieselotte Schlenger getötet haben. Auch 
dort war die Kripo anfangs einer ganz anderen Spur gefolgt, hatte 
Mitglieder einer Drückerkolonne im Visier. In beiden Fällen wandten die 
Ermittler ihren Fokus auf die "uwp", die schließlich sogar für den 
Heilbronner Polizistenmord mitverantwortlich gemacht wurde. Man 
verortete diese Person explizit nach Osteuropa.
Die Polizei jagte über Jahre eine Frau, die sie selbst als "Phantom" 
bezeichnete – die Morde in Freiburg und Idar-Oberstein sind bis heute 
nicht aufgeklärt. Was man heute aber weiß: Die Wattestäbchen waren bei 
der Herstellung verunreinigt worden.
Und erst vor wenigen Wochen waren es Reste von DNA-Spuren an einem 
Zollstock, die zeitweise für Aufsehen sorgten. Denn vorübergehend legte 
ein Fund nahe, einer der mutmaßlichen NSU-Terroristen habe etwas mit dem
 Sexualmord an einem Kind zu tun. DNA-Spuren am Tatort sind ohnehin nur 
dann aussagekräftig, wenn ein kausaler Zusammenhang zur Tat besteht.
Der Gesetzentwurf des Landes soll nun am 12. Mai im Bundesrat behandelt 
werden. Bereits in der letzten Aprilwoche will Bundesjustizminister Maas
 seinen Entwurf in den Bundestag einbringen.
