Vor ein paar Wochen wurde in Hamburg bekannt, dass Jochen Schmutzler, früher 30 Jahre lang tief verwurzelt in der Naziszene, wieder an einer staatlichen Hamburger Grundschule arbeitet. Obwohl an der Schule eine Debatte begann, in der taz und der Morgenpost berichtet wurde, die Opferberatung „empower“ involviert war und es eine parlamentarische Anfrage an den Senat gab, bleiben die wesentlichen Fragen weiterhin unbeantwortet: Nämlich ob Schmutzler mit seiner Überzeugung gebrochen hat, warum er hartnäckig schweigt und wie sich die Behörden verhalten haben. Der Autor war vor 10 Jahren maßgeblich an dem Outing des Ehepaars Schmutzler beteiligt und beobachtet weiterhin kritisch die extreme Rechte, sowie den behördlichen Umgang mit dieser in Hamburg.
Die Vorgeschichte
Das Lehrerehepaar Jochen und Karin waren 2007, als ihre Umtriebe bekannt wurden, seit Jahrzehnten in der Naziszene aktiv gewesen. Jochen Schmutzler hatte schon als Student 1987 für die NPD kandidiert, 1989 die neofaschistische „Pennale Burschenschaft Chattia Friedberg zu Hamburg“ (PB Chattia) erst im hessischen Friedberg gegründet und dann mit seinem Umzug in die Hansestadt Anfang der 1990er Jahre dort maßgeblich fortgeführt. Ausführliche Informationen über das Ehepaar wurden 2007 bundesweit durch große Medien veröffentlicht. Wenn es aus dem Umfeld von Herrn Schmutzler heute heisst, er hätte nie ein öffentliches Amt für Naziparteien angetreten und zuletzt vor 40 Jahren für die NPD kandidiert, so ist dieses formal richtig. Es verkennt jedoch die Tatsache dass beide Schmutzlers Kaderfunktionen für weltanschauliche Hintergrundorganisationen über Jahrzehnte ausgeübt hatten. Ein öffentliches Auftreten z.B. für die REP oder die NPD wäre wahrscheinlich schon wesentlich früher ein Hinderungsgrund für eine pädagogische Ausbildung oder Tätigkeit gewesen. Die PB Chattia meidet zwar öffentliches Auftreten, wie Aufmärsche, Kundgebungen usw., hat als schlagende Schülerburschenschaft jedoch eine wichtige Aufgabe in der Sozialisation rechten Nachwuchses. Außerdem waren bzw. sind in der Chattia diverse Neonazis mit NPD-Parteibuch, darunter so prominente wie der NPD-Funktionär Thorsten Heise. Im Haus der Schmutzlers fanden vor zehn Jahren noch Treffen mit ehemaligen SS-Soldaten oder einem Hamburger Auschwitzleugner statt, der den Schmutzlers und ihren Gästen von einer Holocaustleugner-Konferenz in Teheran berichtete. Nicht umsonst wird die Chattia bis heute vom Inlandsgeheimdienst beobachtet. Es kann als sehr wahrscheinlich gelten, dass die beiden Pädagogen auch ihre eigenen Kinder im Sinne ihrer völkischen Ideologie erzogen. Der älteste, Friedrich Wilhelm Schmutzler war früher laut eigenen Angaben bei der inzwischen verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ seiner Mutter Mitglied, sowie in der Jugendorganisation der NPD. In der Naziburschenschaft, die sein Vater gründete, ist er bis heute. Zwei weitere Kinder der Schmutzlers tragen nordische Namen - in völkischen Sippen nicht ungewöhnlich.
Hätte die Schulleitung Herrn Schmutzler einstellen müssen?
Nein, denn Jochen Schmutzler war 2007 als Lehrer an einer katholischen Grundschule nur angestellt und nicht verbeamtet. Er hatte also sowohl gegenüber der Grundschule an der er jetzt arbeitet, wie auch gegenüber der Hamburger Schulbehörde, im Gegensatz zu Frau Schmutzler, welche 2007 als Beamte in den Innendienst versetzt wurde, kein einklagbares Recht auf einen Arbeitsplatz. Die kolportierte Behauptung der Schulleitung, er würde eine Fächerkombination unterrichten für die es wenige Bewerber gäbe, scheint vor dem Hintergrund der Probleme, die sich eine Schulleitung mit der Einstellung eines (ehemaligen) Neonazis an einer Schule mit vielen SchülerInnen aus migrantischem Elternhaus macht, wenig glaubhaft. Schließlich kann die erhebliche Störung des Schulfriedens der in so einem Falle droht auch ein Kündigungsgrund sein.
Wie hat sich Herr Schmutzler verhalten?
Jemand der über Jahrzehnte in der rechten Szene aktiv war und dessen Vergangenheit per Mausklick jederzeit abrufbar ist, muss glaubhaft vertreten können, dass er mit seiner Überzeugung gebrochen hat und nicht nur aus rechtsextremistischen Organisationen ausgetreten ist. Schmutzler soll zwar in seiner Bewerbung seine Vergangenheit erwähnt haben, eine offenes Gespräch mit dem Kollegium oder gar den Eltern hat jedoch unseres Wissens bisher nicht stattgefunden. Stattdessen beruft sich die Schulleitung auf eine angeblich existierende Unbedenklichkeitsbescheinigung der Hamburger Schulbehörde von 2011. Gesehen haben dieses Schreiben allerdings weder das Kollegium, noch die Medien und selbst Bürgerschaftsabgeordnete aus den Ausschüssen für Inneres oder Bildung bis heute nicht. Dass es auch anders geht, demonstrierte erst vor wenigen Wochen ein echter Aussteiger aus der PB Chattia. Er berichtete in der Morgenpost über seine braune Vergangenheit und warnte angesichts von ansteigendem Rassismus die LeserInnen eindrücklich vor der Szene. Ein Schritt den man eigentlich von einem pädagogischem Vorbild wie Herrn Schmutzler erwarten sollte.
Wer hat gelogen?
Als Reaktion auf die erste Veröffentlichung über Schmutzlers Wiederbeschäftigung auf linksunten.indymedia, erfolgte dort eine anonyme, kurze Gegendarstellung, die später gelöscht wurde, hier aber als Screenshot angefügt ist. Der Anonymus muss aus dem Umfeld von Schmutzler kommen, denn er offenbart Interna, wie z.B. dass das Ehepaar seit Jahren getrennt lebt. Die Behauptung, dass Herr Schmutzler „seit einem Jahrzehnt“ nicht mehr Mitglied der PB Chattia sei, stimmt jedoch nicht. Dem Hamburger Bündnis gegen Rechts (HbgR) liegen Aufnahmen vor, die das Ehepaar Schmutzler am 24. Oktober 2009 bei einer konspirativen Veranstaltung der Chattia in einem Harburger Restaurant zeigen. Nur Herr Schmutzler selbst wird diesen Widerspruch auflösen können.
„Behörde guckt nur zu“
titelte die Prinausgabe der Mopo am 08. Juni 2007. Herrn Schmutzler beobachtete „die Behörde, seit er Mitte der neunziger Jahre die Burschenschaft Chattia“ nach Hamburg geholt hatte, einen Hinweis an die Schulbehörde, dass Beide als Pädagogen arbeiten, machte der Verfassungsschutz (VS) jedoch nicht. Gerade mal drei Tage vor dem ersten Bericht in der Mopo, die Recherchen liefen auf Hochtouren, kam am 05. Juni 2007 ein Hinweis der Schlapphüte an die Schulbehörde, das Personalamt wurden dann zwei Tage später informiert. Wahrscheinlich ging es dem VS damals weniger um die Warnung vor neonazistischen Umtrieben im Klassenzimmer, als um die Abwendung eines Skandals. Die Anstellung der Schmutzlers wurde allerdings 2007 trotzdem bundesweit zum Thema und es wurde auch eine kontroverse Debatte um die Umstände der Beschäftigung in der Bürgerschaft geführt.
Heutzutage hält sich die Innenbehörde, respektive der VS in einer Kleinen Anfrage noch mehr bedeckt. Bezüglich Schmutzler könnten grundsätzlich keine Auskünfte gegeben werden, weil diese den „überwiegende schutzwürdige Interessen des Betroffenen entgegenstehen“ oder aus grundsätzlichen Erwägungen „gemäß § 18 Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG).“
Konkret wollte die Innenbehörde weder mitteilen, ob es Gespräche zwischen Hern Schmutzler und der Innenbehörde, der Schulbehörde und der Schulleitung gegeben habe; ob es harte Fakten für seinen Ausstieg gäbe, wann dieser erfolgt sein soll und ob er an einem Programm für Aussteiger teilnahm oder aktuell beteiligt ist.
Gab es einem Deal?
Während Herr Schmutzler und die Behörden harte Fakten für eine glaubhafte Distanzierung von neonazistischer Ideologie schuldig bleiben, muss eine andere mögliche Erklärung erwogen werden: Vor zehn Jahren gab es in Hamburg noch keine institutionalisierte, unabhängige Hilfe für potentielle AusteigerInnen aus der Naziszene. Laut einer weiteren Parlamentarischen Anfrage war 2007 noch die Polizei mit einer Telefonnummer das einzige Kontaktangebot der Stadt für „ausstiegswillige Rechtsextremisten/Mitläufer“, die dann die Personen an andere Behörden, vor allem aber den VS weitergeleitet hat. Auch bei Herrn Schmutzler sei der Geheimdienst in die Wiedereinstellung involviert gewesen sein, heisst es in der taz.
Über die (damaligen) Praktiken des Verfassungsschutzes berichtet der professionelle Ausstiegsberater des unabhängigen „Zentrums für Demokratische Bildung“ aus Wolfsburg Reinhard Koch jüngst der Zeitung: „Einfach aufhören, nicht mehr zum Kameradschaftsabend erscheinen, keine Aufmärsche und Rechtsrockkonzerte mehr besuchen sei für sie kein Ausstieg, sagt Koch – anders als etwa für den Verfassungsschutz, für den das ausreiche, so wie es für die Polizei ausreiche, wenn jemand keine weiteren Straftaten mehr begehe.“ Für Koch bedeute Ausstieg „den totalen Bruch mit der rechten Biografie … Ein Aussteiger müsse zudem eine „Totalrevision seiner Einstellungen und Verhaltensmuster“ anstreben.
Ob dies bei Herrn Schmutzler erfolgt ist, kann momentan keine unabhängige Stelle garantieren. Sicher ist jedoch, dass dieser mit seiner 30-jährigen Karriere in der Naziszene, mit besten Verbindungen zur NPD, zur verbotenen HDJ, zu unverbessserlichen Altnazis aus der SS, zu Holocaustleugnern und braunen Burschenschaftern ein sehr interessanter Gesprächspartner für den Geheimdienst gewesen sein könnte. Ausstiegsberater Koch berichtet sogar: „In einzelnen Fällen haben staatliche Stellen Ausstiegswillige ermutigt, weiter als Informant in der Szene zu bleiben.“ Letzteres ist im Falle Schmutzler zwar eher unwahrscheinlich. Ein Deal, Insider-Infos gegen eine gute Beurteilung bei der Schulbehörde, würde jedoch die ganze Geheimniskrämerei von Schulleitung, Behörden und Schmutzler erklären.
Die Soziologin Johanna Sigl, die ihre Doktorarbeit über Distanzierungsverläufe ehemals organisierter Rechtsextremer verfasst hat, weist darauf hin, dass der stille Ausstieg gerade in der behördlichen Betreuung favorisiert wird: „Bei einem stillen Ausstieg wird den AussteigerInnen zu einem Rückzug geraten, ohne dass sie ihre Distanzierung nach außen hin oder auch zu den ehemaligen KameradInnen kommunizieren. In der wissenschaftlichen Literatur wird demgegenüber betont, dass diese Art des Aussteigens eine inhaltlich tiefgehende Auseinandersetzung mit der ehemals vertretenen Ideologie und den eigenen Tatanteilen behindert.“
Gibt es keine zweite Chance?
Sicher kann der Autor seine Thesen genauso wenig beweisen, wie Herr Schmutzler seinen Gesinnungswandel, es sei denn dieser packt auch gegenüber der Öffentlichkeit oder wenigstens unabhängigen Stellen aus. Eine zweite Chance hätte er dann auch verdient. So bleiben er und die Behörden jedoch der Öffentlichkeit, den KollegInnen und vor allem den Eltern und SchülerInnen eine hinreichende Erklärung schuldig. Soziologin Sigl: „Die mit einer zweiten Chance einhergehende Rehabilitierung muss möglich sein. Sie kann jedoch nicht einfach von dem/der AussteigerIn in behördlicher Übereinstimmung getroffen werden, sondern sie sollte das Ergebnis eines offenen gesellschaftlichen Aushandlungsprozesses sein, in dem insbesondere die von Rechtsextremismus Betroffenen zu Wort kommen.“