Auch Polizisten machen Fehler. In solchen Fällen können sich Bürger an die Zentrale Beschwerdestelle der sächsischen Polizei wenden. Im ersten Jahr geschah das 219 Mal. Die Beamten wehren sich oftmals mit Klagen.
Leipzig. Ganze zwölf Seiten ist der Abschlussbericht des Innenministeriums zur Zentralen Beschwerdestelle der sächsischen Polizei (ZBS) für das Jahr 2016 lang. Nach einer ersten Bilanz Mitte Dezember liegen drei Monate später die vollständigen Zahlen vor. Doch die Opposition betrachtet die ZBS als zahnlosen Tiger, den Bericht als oberflächlich.
Laut Innenministerium waren die Menschen in 219 Fällen mit der Arbeit der Polizisten nicht zufrieden. Besonders häufig stieß das Auftreten der Beamten gegenüber den Bürgern auf Kritik – 82 Beschwerden gingen deswegen ein. Beispiele und Einzelfälle werden nicht aufgeführt.
Unter dem Begriff „Gefahrenabwehr“ führt der Bericht 71 Fälle auf ohne aber dabei konkret zu werden. Das Innenministerium schlüsselt nicht auf, ob die Polizisten untätig blieben oder beim vorsorglichen Einsatz sich etwas zu Schulden kommen ließen.
Der Chef der Beschwerdestelle, Ministerialrat Dirk Bölter, ist überzeugt, dass die Einrichtung bei den Bürgern gut ankommt. Er sei von der Resonanz überrascht gewesen. Nach Abarbeitung der Fälle – 90 Prozent sind nach spätestens zwei Monaten abgeschlossen und die Menschen erhalten eine Antwort – gebe es nur wenige Folgebeschwerden.
Den größten Teil der Eingaben, mehr als 60 Prozent, wies die ZBS als unbegründet zurück. Lediglich 21 Beschwerden hätten eine Grundlage gehabt, 40 seien teilweise begründet gewesen. Diese wurden an die jeweiligen Dienststellen oder Staatsanwaltschaften weitergereicht. Konkrete Beispiele nennt der Bericht auch hier nicht.
Eben diesen Umstand bemängelt Grünen-Innenexperte Valentin Lippmann. Bei Art und Inhalt der Beschwerden lasse das Innenministerium keinen detaillierten Einblick zu. Der Bericht sei ein „Gnadenakt“ von Innenminister Markus Ulbig (CDU), erklärt Enrico Stange (Die Linke). Der Minister könne festlegen, wie umfangreich er zu Beschwerden über Polizisten informiere, denn es gibt keine gesetzliche Grundlage für die ZBS.
Auch selbst ermitteln kann die Beschwerdestelle nicht. Zehn Fälle, in denen der Verdacht auf eine Straftat bestand, wurden an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Disziplinarverfahren sind an die jeweiligen Polizeidienststellen gegangen. Zudem werden die betroffenen Polizisten über den Inhalt der gegen sie erhobenen Beschwerde informiert. Laut Innenministerium soll das den Beamten eine objektive Stellungnahme ermöglichen.
„Der Beschwerdesteller muss befürchten, dass sein Anliegen unter Nennung
seines Namens weitergeleitet wird“, kritisiert Valentin Lippmann.
Hinweise zum Datenschutz seien nirgends zu finden. Es gibt bereits
Fälle, in denen eine Anzeige gegen die Polizei für die Bürger zum
Problem wurde.
Ein Fotograf beschwerte sich über eine Polizistin am Rande der
Krawalle von Heidenau, weil diese ihren Dienstausweis nicht
ordnungsgemäß vorzeigen wollte. Während der Vorfall für die Beamtin
folgenlos blieb, zeigte diese den Fotografen in der Folge an.
Linken-Innenexperte Enrico Stange weiß noch von zwei ähnlich gelagerten
Fällen. Bislang äußerte sich das Innenministerium dazu nicht.
Stange kritisiert, dass die Bürger im Beschwerdeverfahren derzeit schlechter gestellt seien als die Beamten. Wer sich beschwert, müsste „Retourkutschen“ befürchten. Auch Polizisten würden wegen mangelnden Datenschutzes und Ermittlungen durch betroffene Dienststellen davon abgehalten, sich bei der Beschwerdestelle zu melden. Bislang gibt es nur sechs Fälle, in denen sich Beamte bei der ZBS meldeten.
Stange und Lippmann sind sich einig, dass die Beschwerdestelle einige schwere Geburtsfehler aufweist. Größter Kritikpunkt sei die fehlende Unabhängigkeit. Denn die Beschwerdestelle ist beim Landespolizeipräsidenten angesiedelt und damit Innenminister Markus Ulbig unterstellt. Grüne und Linke fordern daher die Umwandlung in eine unabhängige und neutrale Beschwerdestelle und haben dazu Gesetzesvorlagen eingebracht.
Johannes Angermann