Achtung, Achtung, hier spricht die Polizei

Erstveröffentlicht: 
15.03.2017

Vor dem 18. März warnt die Polizei die Leute, die gegen Nazis demonstrieren wollen

 

Am 18. März will die Partei Die Rechte in Leipzig demonstrieren. Die Polizei warnt vor Gewaltausbrüchen und richtet sich damit an die Gegendemonstranten. Dieser Angstmache stehen zahlreiche Aufrufe zum friedlichen Protest gegenüber.

 

Die Erinnerung an den 12. Dezember 2015 ist sehr präsent in diesen Tagen. Damals kam es zu Ausschreitungen in der Südvorstadt. Barrikaden brannten und Steine flogen, die Polizei reagierte mit abgelaufenen Tränengaskartuschen, die sie scheinbar wahllos in die Menge schoss, und mit Wasserwerfen. Der Protest gegen eine Neonazi-Demo, die vor Gegendemonstranten weithin abgeschirmt wurde, eskalierte.

 

Oberbürgermeister Burkhard Jung nannte die Szenen »Straßenterror«. Zur geplanten rechtsextremen Demonstration am Samstag, bei der die Rechtsextremen um Christian Worch eigentlich durch Connewitz marschieren wollten, äußerte er sich bislang nicht. Nur das Ordnungsamt verlegte die Route zur Straße des 18. Oktober – Worch will nach eigenen Aussagen Rechtsmittel dagegen einlegen. Äußern tat sich hingegen die Polizei, die nach eigenen Worten auf einen »der größten Polizeieinsätze der jüngeren Vergangenheit« vorausschaut. Polizeisprecher Andreas Loepki rät sogar zur Kiezflucht: »Wer am 18. März 2017 nicht am Versammlungsgeschehen teilnehmen möchte und eine Anwesenheit im fraglichen Bereich vermeiden kann, der sollte dies bitte auch tun. In meinem Bekanntenkreis gibt es mehrere Personen, die in der Südvorstadt oder in Connewitz wohnen und die mir signalisiert haben, es von sich aus so zu handhaben.«

 

Loepki macht in seinem Schreiben, das er auch vor einer Videokamera vorliest, weiterhin klar, dass alle anwesenden Demonstranten von der Polizei belangt werden könnten. Es könne nicht sein, »dass steinewerfende Chaoten inmitten des vermeintlich friedlichen Protests agieren können und dort Schutz durch die Masse erfahren. Hier erwarten wir eine umgehende räumliche Distanzierung – auch im eigenen Interesse. Denn wer eine Solidarisierung am Landfriedensbruch für gerechtfertigt hält oder seine nackte Schaulust befriedigen will, soll dann bitte später nicht darüber klagen, wenn er seitens der Polizei in der Anwendung unmittelbaren Zwangs betroffen wurde«.

 

Dabei klingt es wie Hohn, wenn er von »unmittelbarem Zwang« spricht und dass sich eben »die Hände verbrennt«, wer »mit dem Feuer spielt«. Hat er vergessen, wie am 12. Dezember 2015 alle Menschen aus den Seitenstraßen auf die Karl-Liebknecht-Straße getrieben wurden und wahllos 78 Reizstoffpatronen mit überschrittenem Verbrauchsdatum verschossen wurden, bis das halbe Viertel in Gasschwaden stand? Verhältnismäßigkeit sah schon damals anders aus – zumal den Demonstranten das Recht auf direkten Protest in Hör- und Sichtweite versagt blieb.

 

Dass das Rathaus schweigt, dafür die Polizei die politische Kommunikation übernimmt und eigenmächtig Ereignisse interpretiert, ist ein Unding. Auch das Aktionsnetzwerk »Leipzig nimmt Platz« ist über diese Einlassungen der Polizei entsetzt. »Wie sollen nach ihrem Statement Menschen ihr Recht wahrnehmen, gegen Rassismus und für Demokratie einzutreten, wenn die Polizei im Vorfeld mitteilt, dass auch diese Menschen mit dem Einsatz von Mitteln des unmittelbaren Zwanges zu rechnen haben?«, fragen die Sprecher Irena Rudolph-Kokot (SPD) und Jürgen Kasek (Grüne). Stattdessen würden sich viele bestätigt fühlen und nun erst recht eine Legitimation für das eigene Verhalten sehen oder sich aus Angst zurückziehen.

 

Vielleicht will Loepki schon im Voraus etwaiger Kritik am Polizeieinsatz widersprechen: »Wenn wir dieses Szenario so deutlich umreißen, malen wir nicht den Teufel an die Wand, sondern benennen schlicht die Wahrheit beim Namen. Es braucht im Nachhinein also niemand behaupten, dieses oder jenes wäre überraschend eingetreten.« Nach dem 12. Dezember zeigten sich ja tatsächlich viele Akteure – vor allem auch die Stadt – »überrascht«.

 

Das dürfte an diesem Samstag nun wirklich keiner mehr sein. In all der Aufregung wird dagegen viel zu selten (und schon gar nicht von Seiten der Polizei) betont, worum es hier eigentlich geht: den Neonazis zu widersprechen. Deutlich zu machen, dass Rassismus und Fremdenfeindlichkeit keinen Platz haben.

 

Dafür treten von Antifa über Gewerkschaften bis hin zu Kirchen alle mit Menschenverstand ein. Dass sie diese Meinung offen, laut und geschützt kundtun können, ist eine wichtige Aufgabe der Polizei. Das zu betonen, um sich für eine freiheitliche Grundordnung einzusetzen, ist eigentlich ihre Aufgabe – anstatt Angst zu verbreiten und den Protest zu kriminalisieren. Umso wichtiger ist es nun, dass sich möglichst viele Menschen den Aufrufen zu friedlichem Protest anschließen, anstatt ihn zu »vermeiden«.

 

Und davon gibt es viele:  

  • Wilhelm-Leuschner-Platz, Demonstration ab 10 Uhr: Aufruf „Sachsen: Versagen durch Wollen
  • Volkshaus: Aufruf des DGB (Karl-Liebknecht-Str. 32, 04107 Leipzig)
  • Deutscher Platz: Aufruf von „Für das Politische“ (04103 Leipzig)
  • Supermarkt an der Str. d. 18. Oktober (Tarostr. 2, 04103 Leipzig)
  • Bayerischer Bahnhof (Bayrischer Platz, 04103 Leipzig)
  • Peterskirche (Schletterstr. 5, 04107 Leipzig)
  • Paul-Gerhardt-Kirche (Selneckerstr. 7, 04277 Leipzig)
  • Werk 2 – Kulturfabrik Leipzig (Kochstr. 132, 04277 Leipzig)
  • Polizeirevier Zentrum: Aufruf der GG/BO (Dimitroffstr. 1, 04107 Leipzig)
  • Philipp-Rosenthal-Str. nahe Bayerischer Bahnhof: Monika Lazar/Roter Stern Leipzig
  • Amtsgericht Leipzig: Die Partei Leipzig auf Facebook (Bernhard-Göring-Str. 64, 04277 Leipzig)
  • 3. Grundschule/Steinplatz: Die Partei Leipzig auf Facebook (Bernhard-Göring-Str. 152, 04277 Leipzig)

Weitere Infos zum Gegenprotest gibt es unter http://platznehmen.de/informationen-zu-den-protesten-gegen-den-aufmarsch-die-rechte-am-18-maerz-2017-le1803-nopasaran/

 

JULIANE STREICH, TOBIAS PRÜWER