Berlin - Aktionstag im Gericht

Freiheit für alle politischen Gefangenen

Am 12. Mai 2010 fand in Berlin ein Aktionstag im und am Kriminalgericht Moabit statt. Vier Prozesse sollten beobachtet und eine Kundgebung durchgeführt werden. Dieser Tag war nur ein Termin im "Antirepressionsmonat Mai" und sollte auf das immer geringer werdende Interesse an Antirepressionsarbeit (u.a. Prozessbeobachtungen) aufmerksam machen.

 

Die vier Prozesse und die Kundgebung wurden jeweils von bis zu 50 Personen besucht. Hier wurde jedoch deutlich, dass es klare Spaltungstendenzen (auch) in der Antirepressionsarbeit gibt und spektrenübergreifende Hilfsbereitschaft kaum vorhanden ist. Bei guter Beobachtung konnte die vorherrschende Vereinzelung und die Autoritätshörigkeit vieler Aktivisten und Aktivistinnen sichtbar werden.

 

Der erste Prozess begann schon um 9 Uhr und fand unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen statt. Im Grossgerichtssaal 700, dort fand auch der Prozess gegen drei Beschuldigte im "mg-Verfahren" statt, wurde gegen Alexandra in zweiter Instanz prozessiert. Alexandra wird beschuldigt einen PKW in Berlin-Friedrichshain anzünden gewollt zu haben. In erster Instanz wurde sie freigesprochen. Beweise gab es nicht - Nur ein Polizist, der mit seiner Kollegin auf "Brandstreife" war und einen "jungen Mann" neben einen PKW gesehen hat, auf dessen Reifen kurze Zeit später ein brennender Grillanzünder lag.

 

Die etwa 30 Zuschauer und Zuschauerinnen wurden allesamt abgetastet, mussten alle mitgeführten Gegenstände abgeben und ihre Ausweise wurden kopiert. Papier und Bleistift zum Mitschreiben waren erlaubt. Selbst die Schuhe mussten sich die Zuschauer und Zuschauerinnen ausziehen, welche dann ebenso durchsucht wurden. Nach dieser Prozedur konnte der Prozess dann beobachtet werden. Da in dem Sicherheitstrakt keinen Toiletten vorhanden waren, mussten sich Menschen die auf die Toilette wollten mehrfach dieser Prozedur unterziehen. Aber auch im Hauptgebäude, wo es Toiletten gab, wurde wie gewohnt (!) die Taschen der Beteiligten durchsucht und die Kleidung grob mit Metalldetektoren untersucht. Aktivismus war nicht zu spüren, denn die Vereinzelungstaktik der Justizbediensteten ging voll auf. So wurden dort die zu Durchsuchenden einzeln abgefertigt - Und wer macht schon das Maul auf, wenn er oder sie alleine ist? Diese Massnahmen schüchterten die Leute ein.

 

Im Prozess gegen Alexandra gab es zuerst nichts Neues! Es kristallisierte sich jedoch immer mehr heraus, was die Zeugen und Zeuginnen der Staatsanwaltschaft sagen mussten, damit es zu einer Verurteilung kommt. Schienen in erster Instanz die Zeugen und Zeuginnen noch verunsichert, waren sie nun selbstsicherer. Auch ein Gutachter machte Andeutungen auf Dinge die "passen" könnten. So berichtete er, dass der Inhalt von am Tatort gefundenen Sprühdosen sich durchaus zum Beschleunigen eines Brandes eignen und, dass es nicht auszuschliessen sei, dass ein in Alexandras Kleidung gefundener Sprühkopf zu den am Tatort gefundenen Sprühdosen passen.

 

Krass wurde es dann, als ein Mitbewohner Alexandras zu ihrem Privatleben befragt wurde. Die Rechtsanwältinnen Alexandras schritten an dieser Stelle nicht ein! Der vorsitzende Richter fragte z.B. den Mitbewohner, wozu Alexandra und er Grillanzünder bräuchten. Der Mitbewohner antwortete - es kam wie aus der Pistole geschossen: "Zum Grillen!". Der Richter hatte damit gerechnet und fragte nach: "Wo grillen Sie denn?". Darauf fand der Zeuge dann nicht so schnell eine Antwort, was der Richter wahrscheinlich so auslegt, dass sie die Grillanzünder nicht zum Grillen verwenden oder der Zeuge nicht verraten wollte wo sie grillen.

 

Heikel wurde es jedoch bei den Freundschaften Alexandras. Zuvor wurde nämlich Tobias geladen, der jedoch wegen Krankheit nicht erschienen war. Tobias kam in die Schlagzeilen, als er von der Polizei beschuldigt wurde drei Autos angezündet zu haben. Was die Ladung Tobias mit Alexandras Fall zu tun hatte, blieb erstmal offen. Die Öffentlichkeit hatte ja keine Prozessakten. Schliesslich wurde offenbar, durch die Aussage des Mitbewohners, dass Tobias und Alexandra befreundet sind. Auch fragte der Richter, ob sie "zusammen sind". Kurz vor 14 Uhr wurde der Prozess dann unterbrochen.

 

Zwischenzeitlich hatte eine Kundgebung direkt vor dem Haupteingang es Kriminalgerichts Moabit begonnen. Gegen 12 Uhr - es war Mittagspause im Prozess gegen Alexandra - sammelten sich dort etwa 10 Personen. Entweder diese Kundgebung wurde nicht kommuniziert oder von den meisten Beobachter und Beobachterinnen des Alexandra-Prozesses boykottiert. Einige gingen grüppchenweise zum Essen, machten sonstwie Pause oder verschwanden ganz. Die Kundgebung und das ganze Gerichtsgebäude war von Hundertschaftspolizei überwacht. Etliche Polizeitransporter befanden sich in direkter Nähe. Als Musik gespielt wurde - die Kundgebung war als solche schon Tage zuvor angemeldet und genehmigt worden - kam ein Hundertschaftspolizist auf die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Kundgebung zu und meinte, dass diese Kundgebung an dieser Stelle die Sicherheit gefährden würde. Da fand diese Kundgebung aber schon etliche Zeit an dieser genehmigten Stelle (vor dem Eingang des Gerichtes) statt. Der Polizist bestand darauf, dass die Kundgebung nun auf die andere Strassenseite verlegt wird. Als der Anmelder die Polizei aufforderte diesen Befehl schriftlich zu erteilen, wurde er in Gewahrsam genommen.

 

Bemerkbar wurde hier der Konflikt "kreative Antirepression vs.autoritäre Antirepression". Aktivisten und Aktivistinnen die der autoritären Antirepression zugeneigt waren, verweigerten den Aktivisten und Aktivistinnen der kreativen Antirepression ihre Hilfe oder beleidigten sie. An dieser Stelle viel mir auf, dass ich die Grenze zwischen kreativer und autoritärer Antirepressionsarbeit garnicht ziehen konnte und das den anderen Aktivisten und Aktivistinnen ebenso nicht möglich war. Eine ähnlich willkürlich gezogene Grenze ist die zwischen politischen und sozialen Gefangenen. Letztendlich ist das nur eine willkürliche Ressourcenverteilung aus Mangel ebendieser Ressourcen. Zudem ein Geständnis eben nicht solidarisch sondern nur subsidiarisch zu helfen. Ich finde, kreative und autoritäre Antirepressionsarbeit können sich ergänzen! Das Verhalten beider Seiten sorgte für eine Spaltung der Kräfte und förderte das Wirken der Repression.

 

Um 11 Uhr begann dann ein Prozess gegen einen Aktivisten der letztes Jahr bei Squat Tempelhof mitgemacht hatte. Dieser war damals, dem Urteil zufolge, gegen eine Polizeikette gerannt, hatte Polizisten anzuspucken versucht und nannte bei seiner Ingewahrsamnahme die Polizisten "Staatsnazis". Der Aktivist legte ein Geständnis ab und bekam wegen Landfriedensbruch und Beleidigung 6 Monate Haft auf Bewährung. Ausserdem muss er 200 gemeinnützige Arbeitsstunden machen.

 

Hilfe bekam der Aktivist von niemanden. Bis zu diesem Aktionstag blieb Uns der Aktivist unbekannt. Nur durch Zufall bekamen zwei Leute den Termin raus, suchten den Saal, in dem der Prozess stattfinden sollte, auf. Doch der Prozess wurde in einen anderen Raum verlegt und wir hatten keine Chance zu erfahren wo der Prozess nun stattfand. Eine gemeinschaftliche Herangehensweise aller im Gericht anwesenden Aktivisten und Aktivistinnen gab es nicht. Nich einmal eine ausreichende Kommunikation darüber. Die vereinzelten Aktivisten und Aktivistinnen kümmerten sich lieber nur um den für sie interessanten Prozess, um ihre eigene Sache.

 

Und so bleiben viele auf der Strecke. Antirepressionsarbeit wird im Vorfeld einer Aktion nicht oder nur unzureichend organisiert, später, wenn überhaupt, hinterhergehinkt. "Scheiss drauf und weitermachen!" ist das was diesbezüglich ich sinngemäss wahrnehme. Das ist auch mein Motto, aber ich meine das anders. Es kann nicht sein, dass die selben Fehler immer und immer wieder gemacht werden. Es wird gesagt, wenn überhaupt: "Da ist was schlecht gelaufen!", aber dann nicht weiter reflektiert. "Die nächste Aktion steht ja an." Reflektion bedeutet aber, dass ich mich auch frage: "Was muss ich verändern, damit Schlechtes nicht wieder geschieht?".

 

Schauen Wir Uns den 1. Mai an: 20.000 demonstrieren und nicht einmal 100 sind auf der Kundgebung für die Gefangenen ein paar Tage später. Beworben wurde diese Kundgebung nicht bzw. kaum - Und das, obwohl schon seit Jahren bekannt ist, dass sich auf den Werbemitteln für die 1. Mai-Demonstrationen auch der Kundgebungstermin für die Gefängniskundgebung drucken lässt. Und so läuft das dann auch mit den finanziellen Mitteln. Repression ist ja schon seit Jahrzehnten bekannt, aber trotzdem kam noch niemand auf die Idee mit finanziellen Mitteln für den Repressionsfall vorzusorgen. Vor der Aktion muss die Antirepressionsarbeit beginnen und finanziert sein! Ein weiterer Punkt ist die Dokumentation der Repression. In Berlin gibt es da neben Anarchist Black Cross, die Rote Hilfe und den Ermittlungsausschuss. Vereinzelt gibt es da zwar Texte, aber alles in allem reicht das nicht aus. Wo gehen unerfahrene Aktivisten und Aktivistinnen hin, wenn sie sich über Repression informieren wollen? Oder besser noch: Wo gehen die erfahrenen Aktivisten und Aktivistinnen hin, um andere darüber zu informieren, dass es Repression überhaupt gibt? Und warum werden überhaupt Aktionen gemacht, bei denen damit gerechnet werden kann, dass diese durch Repressionsorgane kontrolliert sind?

 

Um 14 Uhr ging dann der Aktionstag mit der Urteilsverkündung im Prozess gegen Christian weiter. Am vorletzten Prozesstag gab es die Plädoyers. Die Anwältinnen von Christian versuchten mit einem amerikanischen Plädoyer eindrucksvoll auf den Schöffen und die Schöffin einzuwirken. Die Richterin schien Christian aburteilen zu wollen, also konnten nur der Schöffe und die Schöffin die Richterin überstimmen. In erster Instanz wurde Christian zu 2 Jahren und 6 Monaten wegen 17-fachen Flaschenwurfs am 1. Mai 2009 verurteilt. Nun, ein Jahr später, sass er immernoch in Untersuchungshaft und wartete auf das Urteil der zweiten Instanz.

 

Nach fünf Minuten war das Urteil verkündet. Christians Berufung wurde verworfen, was heisst, dass das Urteil der ersten Instanz bestätigt wurde. Trotzdem durfte Christian gehen und muss nicht weiter in Haft, da das eine Jahr Untersuchungshaft eine unverhältnismässige Härte darstellte. Entweder waren die Zuschauer und Zuschauerinnen etwas passiv oder sie verstanden das Geschehene nicht. Jedenfalls kam es zu keiner nennenswerter Reaktion des Publikums. Zwei Polizisten in ziviler Kleidung beobachteten übigens den Prozess, viele Justizbedienstete waren auch zugegegen. Christian wurde später vor der an der Rückseite des Kriminalgerichts gelegenen Gefängnisses (JVA Moabit) empfangen.

 

Auch um 14 Uhr begann der zweitinstanzliche Prozess gegen Jörg. Hier waren nur zwei Justizbedienstete anwesend, die völlig überfordert waren. Denn dieser Prozess wurde kreativ geführt. Etwa 30 Personen "beteiligten" sich an diesem Prozess. Im Prozess selbst ging es nicht um die Tat, sondern darum, ob es rechtens gewesen sei, in der ersten Instanz den Beschuldigten nicht in das Gerichtsgebäude herein zu lassen. Das Publikum feierte derweil die Ausführungen des Richters mit Konfettiregen und Applaus Rechtlich lief aber alles auf eine verwaltungsrechtliche Überprüfung der Massnahme aus der ersten Instanz hinaus. Und so verwunderte es nicht, dass die Berufung nach den Plädoyers verworfen wurde.

 

"Wir haben hier verhandelt ohne etwas zur Sache zu hören.", war das Resümee der Staatsanwaltschaft und des Richters. Schöffe und Schöffin sahen da mal ganz und garnicht durch, liefen zeitweise rot an. Die Urteilsverkündung war beispielhaft für kreative Antirepression. Das Gespenst da vorne erschien so viel weniger unheimlich.

 

Am Ende bleibt noch zu sagen: Wir entscheiden, ob jemand verurteilt wird. Wir entscheiden, ob jemand ins Gefängnis kommt und da gefangen bleibt. Wir entscheiden, ob die Menschen alleine bleiben oder gemeinsam kämpfen! Um das zu verdeutlichen wird es im deutschsprachigen Raum (und wo immer ihr wollt) am 19. Juni 2010 einen "Aktionstag gegen Knäste" geben.

 

Hier der der Aufruf: http://www.abc-berlin.net/aktionstag-gegen-eine-geknastete-gesellschaft-am-19-juni-2010

 

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AKTIONSTAG GEGEN EINE GEKNASTETE GESELLSCHAFT

 

AM 19. JUNI 2010

 

DEMOS
KONZERTE
KUNDGEBUNGEN
DIREKTE AKTIONEN

 

... UND ALLES WORAUF IHR LUST HABT

 

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Links zum Artikel:

 

http://engarde.blogsport.de

http://freiheitfuertobias.blogsport.de

http://www.morgenpost.de/berlin/article1307542/Tempelhof-Randalierer-bekommt-Bewaehrung.html

http://www.projektwerkstatt.de/antirepression/prozesse/berlin/haupt.html