Filmreife Episode: Ein ganz besonderes „Geschäft“ zwischen der Thüringer Polizei und Neonazis

Erstveröffentlicht: 
10.03.2017

Vor dem NSU-Ausschuss des Thüringer Landtages erinnert sich ein Kriminalist an ein ganz besonderes „Geschäft“. Derweil geht der Streit zwischen Untersuchungsausschuss und Innenministerium um die Möglichkeit, geheime Akten der Polizei einzusehen, weiter.

 

Erfurt. Der Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss und das Innenministerium streiten weiter um die Möglichkeit, geheime Akten der Polizei einsehen zu dürfen. Das Gremium möchte sich über Vertrauenspersonen, also Polizeispitzel, informieren. Hintergrund ist unter anderem aufzuklären, ob und in welcher Form Neonazis oder Schwerkriminelle Zuträger der Thüringer Ermittlungsbehörden waren.

 

Der Ausschuss untersucht derzeit mögliche Verbindungen zwischen organisierter Kriminalität und der rechtsextremen Szene. So gab am Donnerstag ein Verfassungsschützer als Zeuge an, dass sich nach dem Auffliegen des NSU 2011 Rechtsextreme hierarchisch wie Rocker organisiert hätten und auch martialisch aufgetreten wären. 

 

Eine filmreife Episode


Thüringens Polizei sind geheime Akten abhanden gekommen und Neonazis sollen diese gegen Geld angeboten haben. Ermittler versuchen, die Unterlagen zurückzukaufen. Der Vorfall liegt fast 20 Jahre zurück. Ob er daran beteiligt gewesen sei, will am Donnerstag im NSU-Untersuchungsausschuss Katharina König (Linke) vom Zeugen wissen.

 

Noch bevor LKA-Vizepräsident Heiko Schmidt erwidern konnte, grätscht die Landesregierung dazwischen und beantragte zur Klärung eine Unterbrechung. Er sei involviert gewesen, erzählt der Zeuge 30 Minuten später. Was dann folgt hätte in jedem besseren Tatort-Drehbuch stehen können.

 

Mit einem damals polizeibekannten Neonazi begab sich Heiko Schmidt in eine Wohnung in einer Erfurter Plattenbausiedlung. Dort versuchte der Neonazi seine Kumpane davon zu überzeugen, die Akten der Polizei gegen Geld zu überlassen. Irgendwann waren sich alle einig und an der Tankstelle in Kranichfeld bei Weimar sollte die Übergabe stattfinden.

 

Bald darauf konnte die Polizei dort mehrere Personen festsetzen. Ob sie die entwendeten Akten mit dabei hatten, wurde am Donnerstag nicht geklärt. 

 

Anzahl der Polizeispitzel nicht bekannt


Die Linken-Abgeordnete interessiert sich deshalb für den Fall, weil der Untersuchungsausschuss seit einigen Wochen aufzuklären versucht, welche Verbindungen es im Freistaat zwischen organisierter Kriminalität und Neonazis gab und gibt. Dabei spielen auch Vertrauenspersonen und Informanten der Polizei sowie verdeckte Ermittler immer wieder eine Rolle.

 

Der Vizechef des LKA betont, dass die Polizei in Thüringen im Bereich Staatsschutz keine Vertrauenspersonen – so heißen dort die Spitzel – führe. Wie viel Zuträger die Polizei habe, konnte er nicht angeben. Denn neben dem LKA dürfen auch die sieben Kriminalpolizeiinspektionen in den Regionen für ihre Arbeit Vertrauenspersonen nutzen. Thüringenweit einheitlich sei aber die Vereinbarung zwischen den Zuträgern und der Polizei.

 

Zumeist endet diese Zusammenarbeit nach Schmidts Angaben, weil sich der Spitzel in seiner Szene offenbare. Zwischen mehreren Hundert und einigen Tausend Euro könne je nach Gefährlichkeit der Beschaffung und der Qualität der Information herausspringen.

 

Heiko Schmidt forderte am Donnerstag eindeutige gesetzliche Regelungen für die Zusammenarbeit von Zuträgern und Polizei. Nur so könne für den Umgang mit Informanten und Vertrauenspersonen Rechtssicherheit erlangt werden. Er bedaure es, dass die Polizei in einem so wichtigen Bereich in einer Grauzone gelassen werde.

 

Ein früherer Abteilungsleiter räumte am Donnerstag ein, dass in den Jahren 2008 bis 2014 der Verfassungsschutz im Bereich organisierte Kriminalität nur Motorradrocker im Fokus hatte. Das Personal hätte nicht ausgereicht, sich auch noch mit italienischen Gruppierungen oder möglichen russischen Mafiastrukturen zu befassen.

 

In dieser Zeit war die Vorfeldbeobachtung organisierter Kriminalität in Thüringen dem Verfassungsschutz übertragen worden. Auch Heiko Schmidt betonte, dass es derzeit noch zwei bis drei Mafiaverfahren jährlich in Thüringen gebe. Noch in den 1990er-Jahren seien es bis zu 15 OK-Komplexe gewesen.