Bei Ermittlungen gegen einen bekannten rechtsradikalen Schläger geht offenbar alles schief, was schief gehen kann.
Wenn sich „besorgte Bürger“ in Dresden ihre Wut heraus geschrien haben,  rücken manchmal Gegendemonstranten zum Putzen an. Ein symbolischer  Säuberungs-Akt, um sich etwas besser zu fühlen nach all dem Hass. So war  es auch am 6. Februar 2016, als Pegida an einem Samstag mit 8 000  Teilnehmern am Königsufer aufmarschierte. Als sie verschwunden waren,  schwangen die Leute von „Herz-statt-Hetze“ ihre Besen. 
Die Aufklärung von Gewalttaten ist Aufgabe von Polizei und Justiz. Dass  dabei wirklich alles schiefgehen kann, zeigt nun der Prozess gegen einen  rechtsextremen Schläger am Amtsgericht Dresden. Peter M. (32) wird  gefährliche Körperverletzung, Beleidigung und versuchte Nötigung  vorgeworfen. Laut Anklage soll der Deutsche einen Böller von der  Brühlschen Terrasse auf Passanten geworfen und Journalisten angegriffen  haben. Eine damals 20-jährige Frau wurde durch die Explosion des Böllers  verletzt. Viel mehr ist nicht verzeichnet. Jedenfalls nicht in M.s  Akte. 
Johannes Filous und Alexej Hock hatten live vom Königsufer berichtet.  „Straßengezwitscher“ nennen sie ihr Projekt. Vor 19 Uhr beobachten sie  sechs Männer an der Synagoge. Zwei pinkeln rotzfrech an das Gebetshaus.  Da die Gruppe sich trennt, beschließen die Journalisten, zweien zu  folgen, die auf die Brühlsche Terrasse laufen. Dort ist gerade ein 40  Meter langes Transparent abgeschnitten worden, das als mahnende  Botschaft an Pegida auf der anderen Elbseite an dem Festungswall  angebracht worden ist: „Vertrauen ist besser“. Filous und Hock behalten  die Verdächtigen im Auge. Dann filmen sie mit ihrem Handy, wie die  Männer „auf der Terrasse herumschlawienern“, wie Filous sagt, „einen  Böller anzünden und von der Terrasse werfen“. Inzwischen ist ein dritter  Reporter da, die Männer alarmieren die Polizei. „Der Beamte bittet uns:  ,Bleiben Sie dran. Wir sind unterwegs.“ Das Trio folgt den Tätern über  die Münzgasse zum Neumarkt. Schon da ist klar, dass der Böllerwurf kein  Zufall war. Er galt den etwa 30 Demonstranten, die am Terrassenufer ihr  Transparent abholten. „Passanten“ waren es nicht.     
Kein politisches Motiv?
Vor der Frauenkirche geht Peter M. auf die Journalisten los. Er  beleidigt einen derb, schubst einen anderen, packt einen  Teleskop-Schlagstock aus und droht angeblich „Wir kriegen euch alle“. Es  dauert, bis die Polizei eintrifft und M. stellt, obwohl die Schießgasse  nur ein paar Meter entfernt ist. Noch am Abend werden die Zeugen  befragt – von Beamten des Reviers Mitte und nicht etwa im  Staatsschutz-Kommissariat. Erklärt das, warum bei diesen Übergriffen  niemand auf die Idee kam, von einem politischen Motiv auszugehen?  Urinieren gegen die Synagoge, ein Böllerwurf auf Demonstranten, Angriffe  auf Journalisten – alles vor laufender Kamera. 
Die Polizei vernimmt auch die 20-jährige angehende Erzieherin sofort.  „Es ging mir nicht gut. Sie sagten, ich müsse den Krankenwagen zahlen“,  schildert sie gegenüber der SZ. Daher sei sie vom Revier selbst in eine  Klinik gegangen. Erst zwei Tage später habe sie ein Facharzt behandelt.  „Sehr erstaunt“ sei der gewesen. Die Verletzungen seien eher nicht von  einem handelsüblichen Silvester-Knaller verursacht worden, habe er  vermutet. Der Böller sei nur Zentimeter neben ihrem linken Ohr  detoniert. Erst ein Pfeifton, zwei Wochen lang habe ihr Ohr noch  gebrummt. 
Ein typisches Knalltrauma. In Peter M.s Ermittlungsakte ist auch von  diesen Verletzungen nichts zu finden. Die Frau wurde nicht mehr  vernommen. Unklar ist bis heute, um was für einen Böller es sich  handelte. Niemand sicherte die Reste. Illegale Pyrotechnik? Der Knall  spräche dafür. Niemand prüfte auch, die Täter wegen Herbeiführung einer  Sprengstoffexplosion zu belangen. Ein Verbrechenstatbestand, wenn Leib  und Leben gefährdet wurden. 
Es ist nicht der einzige Fehler in dem Verfahren. M. kann etwa nicht  wegen Beleidigung belangt werden. Die Polizisten hatten dem Geschädigten  erst einen falschen Namen genannt, der in dem Strafantrag nicht  korrigiert wurde. Die Beleidigung ist inzwischen verjährt. 
Es kommt noch schlimmer. Den Film, der die Täter bei ihrem  Böller-Anschlag zeigt, hat kein Ermittler untersucht. In der Akte ist  ein Vermerk der Digitalen Medienstelle der Polizei vom Juni: „Link war  nicht mehr aufrufbar.“ Niemand hatte die Zeugen von Straßengezwitscher  erneut um ihre Beweise gebeten. „Dabei stand der Film auch auf Youtube“,  sagt Filous. 
In nur drei Wochen, noch im Juli 2016, hat ein Staatsanwalt Anklage  erhoben. Die Sache lag in der Allgemeinen Abteilung – nicht in der für  politisch motivierte Straftaten zuständigen Abteilung. So blieben die  Schludrigkeiten der Ermittlungen wohl unbemerkt. „Warum das so lief,  kann ich nicht beantworten“, sagt Oberstaatsanwalt Lorenz Haase, der  Behördensprecher. Ausgerechnet in diese Hauptverhandlung schickt die  Staatsanwaltschaft nun einen jungen Referendar als Sitzungsvertreter. 
Intensivtäter mit 16 Vorstrafen
Der Prozess gegen M. läuft nun seit einer Woche vor einer  Einzelrichterin. Warum nicht vor einem Schöffengericht? Warum nicht mit  seinem Komplizen? Nicht alle Fragen werden in diesem Prozess beantwortet  werden können. Die Richterin ist bislang überzeugt, dass die Vorwürfe  gegen M. mit Demos nichts zu tun haben. Er selbst schweigt, wie ihm sein  Verteidiger Alexander Hübner geraten hat. 
Peter M. hat 16 Vorstrafen. Er steht unter Führungsaufsicht und  doppelter Bewährung: Im Mai 2015 wurde der gelernte Maler wegen  Körperverletzung, Bedrohung, Beleidigung und Verwendens von  Nazi-Symbolen zu eineinhalb Jahren Haft verurteilt, im März 2016 gab es  vier Monate ohne Bewährung für seine auf Bauch und Rücken tätowierten  Hakenkreuze, die er im Pirnaer Geibeltbad zur Schau gestellt hatte. Das  Landgericht Dresden meinte es im Berufungsprozess gut mit dem  rechtsextremen Bewährungsbrecher und setzte diese Strafe überraschend  zur Bewährung aus. Die neue Anklage müsste da längst bekannt gewesen  sein. Der jetzige Prozess am Amtsgericht wird am Freitag fortgesetzt.  Die Richterin will sich nun doch das Böller-Video ansehen.
