Hausbesetzer in Potsdam zu DDR-Zeiten Auch in der DDR gab es „Schwarzwohner“

Erstveröffentlicht: 
11.02.2017

Potsdam galt zum Beginn der 1990er Jahre bundesweit als Hochburg der Hausbesetzer, doch auch zu DDR-Zeiten wurden bereits Häuser besetzt. Nun hat der Historiker Jakob Warnecke erstmals die Entwicklung seit 1980 aufgearbeitet.

 

Potsdam - Wer heute durch Potsdams historisch rekonstruiertes Zentrum schlendert, kann es sich nur schwer vorstellen: Teile der Innenstadt und vor allem des Holländerviertels waren einst Hotspots der Hausbesetzerszene. Tatsächlich galt die Landeshauptstadt zu Beginn der 90er Jahre bundesweit als Hochburg der Hausbesetzer: Allein zwischen 1989 und 2000 gab es über 70 besetzte Häuser in Potsdam. In Relation zur Einwohnerzahl existierten damals in keiner anderen deutschen Stadt mehr Hausbesetzungen, auch nicht in Berlin oder Hamburg.

 

Trotz ihres legendären Rufes wurde die Geschichte und Entwicklung der Potsdamer Szene laut Jakob Warnecke nie wirklich aufgearbeitet. Der Potsdamer Historiker stieß während seines Studiums auf das Thema und schreibt seit 2012 an seiner Dissertation mit dem Titel „Schwarzwohnen und Hausbesetzungen von 1980 bis 2000 – zur Praxis des illegalen Wohnens über zwei Systeme“. Das Thema ist ihm vertraut: Warnecke wohnte zeitweise selbst im „Breiti“ in der Rudolf-Breitscheid-Straße 6. 

 

Interaktive Karte zeigt besetzte Häuser in Potsdam ab 1985


Ein Nebenprodukt seiner bisherigen Recherchen ist ein interaktiver Online-Stadtplan, auf dem alle besetzten Häuser zwischen 1985 und 2016 verzeichnet sind, jeweils mit Fotos und Daten zum Zeitpunkt der Besetzung, der Räumung und dem Charakter der Wohnprojekte. Am heutigen Donnerstag stellt Warnecke die Karte und sein Forschungsprojekt im Rahmen des 13. Potsdamer Doktorandenforums zur Zeitgeschichte vor, das um 12 Uhr im Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam am Neuen Markt beginnt, der Eintritt ist frei.

 

Zu den wichtigsten Erkenntnissen Warneckes zählt der Fakt, dass es Hausbesetzungen auch in der DDR gab, und zwar schon seit den 60er Jahren: Grund dafür war die chronische Wohnungsnot sowie die staatlich gelenkte Wohnraumvergabe. „Wer jung, unverheiratet und unangepasst war, hatte schlechte Chancen, eine Wohnung zu bekommen“, sagt Warnecke. Vor allem in den 1980er Jahren sei der Widerspruch zwischen leerstehenden Häusern in den Innenstädten und dem Wohnungsmangel immer stärker geworden: „Das Besetzen dieser Häuser war die eigenständige Auflösung dieses Widerspruchs.“ 

 

Gutenbergstraße als Kulisse für Kriegsfilme


Da die sozialistische Führung wenig Interesse an der Rekonstruktion historischer Bausubstanz hatte und der Wohnungsnot lieber mit Plattenbauten begegnete, verfielen vielerorts die Innenstädte, so auch in Potsdam: „Zu Anfang der Neunziger wurde die Gutenbergstraße öfter als Kulisse für Kriegsfilme verwendet“, so Warnecke. Anders als in West-Berlin hatte das „Schwarzwohnen“ in der DDR einen anderen Charakter: „Es war eher ein stilles Besetzen, ohne Transparente“, sagt er. Zumeist waren es nur einzelne Wohnungen und nicht ganze Häuser, auch soziokulturelle Wohnexperimente und Lebensgemeinschaften gab es kaum.

 

Dies heißt nicht, dass die Schwarzwohner-Szene der DDR unpolitisch gewesen sei: „Durch die staatlichen Repressionen konnten sie sich einfach nicht so stark öffentlich äußern und organisieren.“ Dennoch entwickelte sich im Holländerviertel ab Mitte der Achtziger Jahre eine rege alternative Szene für Künstler, Musiker und Fotografen. Auch der Umgang der Behörden mit den Schwarzwohnern war anders als etwa im damaligen West-Berlin: „Es konnte schon sein, dass man aus der Wohnung geworfen wurde, aber spektakuläre Räumungen durch die Polizei gab es auf keinen Fall“, sagt Warnecke. Einige Schwarzwohner in Potsdam zahlten sogar Miete und gelangten dadurch in manchen Fällen an ein legales Mietverhältnis.

 

Mit der Wende und dem dadurch ausgelösten Machtvakuum begann Ende 1989 „das wunderbare Jahr der Anarchie“, in dem die Zahl der Hausbesetzungen sprunghaft anstieg, ohne dass die verunsicherten Behörden eingriffen: Den Anfang machte die Besetzung des Eckhauses an der Dortustraße 65, die von den neuen Bewohnern mit einem Straßenfest gefeiert wurde. Etliche Häuser folgten, unter anderem die „fabrik“ in der Gutenbergstraße 105, die sich nach kurzer Zeit zu einem Kulturzentrum entwickelte. 

 

1991 waren 35 Häuser besetzt


Während die Szene 1990 weitestgehend unbehelligt von den Behörden blieb, unternahm die Neonazi-Szene immer wieder Angriffe auf die Hausbesetzer. Circa 35 Häuser waren 1991 besetzt, doch immer mehr Immobilien wurden an Investoren verkauft. Einer davon beauftragte 1991 sogar eine „Kampfsportgruppe“ – einen rechten Schläger-Trupp – um ein besetztes Haus zu räumen.

 

Der damalige Oberbürgermeister Horst Gramlich (SPD) äußerte zunehmend seinen Unmut über die Situation: „Er hat immer wieder sehr moralisch argumentiert, die Besetzer würden sich an der Schlange der Wohnungssuchenden vorbeimogeln“, so Warnecke. Dabei verdankte es Potsdam zum Teil den Hausbesetzern, dass so manches Wohnhaus aus der Zeit des Barock erhalten blieb: „Da wurde natürlich geheizt und viel instand gesetzt“, sagt Warnecke. „Dadurch wurden im Holländerviertel einige Häuser vor dem Verfall geschützt.“

 

Den interaktiven Stadtplan finden Sie hier >>