Volksverhetzung: Hetze und Sühne

Erstveröffentlicht: 
02.02.2017

Sachsens Justiz steht im Verdacht, sie gehe zu lasch mit Volksverhetzern um. Dabei hält sie sich zugute, 2016 so viele Täter verurteilt zu haben wie nie. Hier arbeiten wir 15 Fälle auf: Wie entschieden die Gerichte?

 

Amtsgericht Chemnitz, 21. März 2016


Der Angeklagte gibt an, dass er Malermeister sei. Zur Sache selbst schweigt er. Der 40-Jährige hat auf der Facebook-Seite "Pegida Chemnitz-Erzgebirge" einen Beitrag kommentiert, in dem es um einen Informationsstand in Chemnitz zum Thema Islam gegangen war. "Den Vögeln einfach den Stand abbauen, dazu ist wohl hier niemand in der Lage?", schrieb er unter falschem Namen. "Hingehen, beräumen, Schluß aus Ende ... Und einen Tritt in ihre dämlichen Eselfickerärsche ... Treibt das Gesindel endlich aus unserer Heimat ... Abartig, so tief ist Deutschland gesunken ... Mir kommt das kotzen ...". Nach etwas Bedenkzeit akzeptiert der Angeklagte die gegen ihn verhängte Geldstrafe: 60 Tagessätze zu je 30 Euro, macht 1.800 Euro. 

 

Amtsgericht Riesa, 29. März 2016


Es begann im August 2015 mit einem Zeitungsbericht: 50 Syrer fordern "Befreiung" aus Dresdner Asyl-Zeltstadt, meldete Bild , kurz nachdem auch renommierte Ärzte die Zustände im Camp als menschenunwürdig kritisiert hatten. Der Bericht landete auf einer frei zugänglichen Facebook-Seite der NPD und brachte dort die Nutzer in Rage. Ein 27-Jähriger aus Großenhain hinterließ den Eintrag: "Ich baue zur zeit ein großes Gebäude sieht leicht wie ein großer offen aus dort könnt ihr alle im 5 Minuten tackt einziehen." Der arbeitslose Fliesenleger, der von Hartz IV lebt, sagt vor Gericht, er habe dies im Affekt geschrieben. Und auch aus Ärger, behauptet er: weil wenige Tage zuvor vier Asylbewerber einen Freund von ihm von seinem Fahrrad geschubst hätten. Die Richterin verhängt gegen ihn eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen à zehn Euro. 

 

Landgericht Chemnitz, 31. März 2016


Sein Kommentar sei "ein Fehler" und "unter aller Sau" gewesen, gesteht ein 21-Jähriger aus Chemnitz vor Gericht. Im Jahr zuvor hatte er auf seinem Facebook-Profil Migranten als Ungeziefer bezeichnet, das verbrannt werden müsse, und zur Vergewaltigung von Frauen mit Kopftuch aufgerufen. Der gelernte Maschinen- und Anlagenführer, der unter anderem wegen Diebstahls und Drogenhandels bereits vorbestraft ist, verlor daraufhin seinen Job. Er hatte in seinem Profil den Firmennamen seines Arbeitgebers angegeben – der wiederum durch die E-Mail eines Lesers auf die Hasstiraden seines Mitarbeiters aufmerksam gemacht wurde. Selbst ein Entschuldigungsschreiben half dem jungen Mann nichts. Das Gericht verhängt gegen ihn eine dreimonatige Jugendstrafe, die für zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wird. Darüber hinaus muss er 120 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten. 

 

Amtsgericht Döbeln, 25. Mai 2016


Ein Facebook-Nutzer kassiert einen Strafbefehl über 1.200 Euro, weil er unter einem Bild mit Flüchtlingen folgenden Kommentar veröffentlicht hat: "Nur ein Ziel vor Augen ... auf in die BRD wo man uns Häuser baut, wo wir alles haben werden, ohne arbeiten zu müssen. Selbst kinderschänden und vergewaltigen ist für uns möglich in der BRD." 

 

Amtsgericht Hohenstein-Ernstthal, 14. Juni 2016


Eine Diskussion auf Facebook, es geht um die Einquartierung von Asylbewerbern in einem ehemaligen Spaßbad. Jemand schreibt, "dass für die elenden Dreckskanaken genug Platz in Auschwitz, Dachau und Buchenwald" sei. Auf eine Anzeige hin schickt ihm die Justiz einen Strafbefehl über 50 Tagessätze zu je 15 Euro, also 750 Euro. 

 

Landgericht Chemnitz, 26. Juli 2016


Ein Überraschungsei, das wie eine Handgranate aussieht; der Originalschriftzug "Kinderüberraschung" ist in "Ausländerüberraschung" verändert, daneben steht "Sonderedition Asylanten. Spannung, Spiel und weg". Weil sie diese Bildcollage angeblich als "lustigen und ironischen Protest" empfunden habe, teilte eine 36-Jährige aus Chemnitz diese auf Facebook und bekommt dafür 230 Likes – vor Gericht jedoch eine Geldstrafe über 40 Tagessätze à 30 Euro, zusammen 1.200 Euro. Denn die Collage sei ein Aufruf zu Hass und Gewalt gegen Teile der Bevölkerung. Der Anwalt der gelernten Hotelfachfrau und Mutter eines siebenjährigen Kindes hatte entgegnet, es könne sich nur um einen Spaß gehandelt haben, weil "Überraschungseier üblicherweise nicht explodieren". 

 

Amtsgericht Zwickau, 10. August 2016


Sechs Strafanzeigen sind eingegangen, etwa aus Bonn, Köln und Lübeck; von Menschen, die diese Sätze als unerträglich empfanden: "Es gibt so viel Platz für Asylanten in Dachau, Auschwitz, Buchenwald ...". Und: "Das Dreckspack gehört vergast." Geschrieben hat dies Uwe K., ein früherer Lkw-Fahrer, der diesen Job aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben hat und inzwischen arbeitslos ist. Bei Facebook finden sich zahlreiche hasserfüllte Einträge von ihm über Migranten, die er zum Beispiel "Asylstinker" nennt. Im Prozess schweigt der 52-Jährige zu seinem Motiv. Worauf es ihm ankommt, wird deutlich, als das Urteil fällt: 600 Euro Geldstrafe und Einbehaltung des "Tatwerkzeugs", des Handys von Herrn K. Das will der aber unbedingt wiederhaben – es sei noch nicht abbezahlt und habe wichtige Daten gespeichert. Am Ende bekommt Herr K. nur die Speicherkarte zurück, sein Handy wird vernichtet. 

 

Amtsgericht Leipzig, 8. September 2016


Der Leipziger Sven H., 45, Kfz-Lackierer, von seiner Ehefrau getrennt lebend, vorbestraft wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern, leugnet nicht, dass er es war: Er hat bei Facebook ein Foto vom Konzentrationslager Auschwitz und den Schriftzug "Wir haben wieder geöffnet" gepostet. Dies war sein Kommentar zu einer Zeitungsmeldung, wonach die Flüchtlingsunterkunft in Böhlen nahe Leipzig erweitert werden soll. Das Gericht verurteilt H. zu fünf Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung – wegen "Volksverhetzung in Tatmehrheit mit Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen". Denn er hatte bei Facebook auch ein Bild eines Mannes mit einer Hakenkreuz-Tätowierung eingestellt. 

 

"Worte legen die Lunte für Gewalt" 

 

Landgericht Zwickau, 13. September 2016


Als in der Großen Kreisstadt Crimmitschau Asylbewerber untergebracht werden sollten, schickte ein Rentner eine E-Mail an mehrere Empfänger, darunter das Rathaus und die Lokalredaktion der Freien Presse. Darin fragte er sinngemäß, ob man nun Esel, Ziegen und Schafe beschaffen werde, mit denen die Flüchtlinge Geschlechtsverkehr haben könnten, wie es unter ihnen üblich sei ...? Für den Mann, einen verurteilten Holocaust-Leugner, der in der ersten Verhandlung vor dem Amtsgericht eine Guy- Fawkes-Maske getragen hatte und den Beobachter als "aufmüpfig" beschrieben, hat die Staatsanwalt sechs Monate Haft auf Bewährung und 100 Stunden gemeinnützige Arbeit als Buße gefordert. "Es ging Ihnen allein darum, Ausländer zu verunglimpfen", sagt der Richter, als er das Urteil verkündet: 120 Tagessätze à 12 Euro, zusammen 1.440 Euro Strafe. Der Verteidiger des Mannes hat Revision eingelegt. Darüber ist noch nicht entschieden. 

 

Amtsgericht Leipzig, 26. September 2016


Ein Facebook-Nutzer erhält einen Strafbefehl über 90 Tagessätze zu je 40 Euro, in Summe 3.600 Euro. Auch er hatte das Bild von einem als Handgranate verfremdeten Überraschungsei mit der Aufschrift "Ausländerüberraschung" und dem Text "Sonderedition Asylanten. Spannung, Spiel und weg" eingestellt. 

 

Amtsgericht Pirna, 28. September 2016


Der Mittvierziger Ralf F. und ein Bekannter von ihm hatten mehrere Flaschen Bier konsumiert, als F. am Nachmittag des 13. Februar 2016 in einer S-Bahn bei Bad Schandau lautstark forderte: "Die Ausländer, Türken, Kanaken müssen weg, die gehören nicht hierher ... Die haben nicht unsere Religion ... Es wird Zeit für die Güterwaggons, die müssen nach Osten in Richtung Auschwitz!" Andere Fahrgäste, die das gehört hatten, alarmierten daraufhin übers Handy die Polizei. Ralf F., der geschieden ist, zwei Kinder hat und einer Beschäftigung als Zerspaner nachgeht, bestreitet vor Gericht, dass die volksverhetzenden Äußerungen von ihm stammen. Doch er hat damit keinen Erfolg. Auch aufgrund bestehender Vorstrafen erhält er eine Freiheitsstrafe von neun Monaten. 

 

Amtsgericht Meißen, 29. September 2016


"Ich möchte weder Syrer noch andere dunkelhäutige in Deutschland. Sie verschmutzen unser arisches Blut ...", schrieb jemand auf Facebook. Wegen Volksverhetzung ergeht dafür ein Strafbefehl über 50 Tagessätze à 15 Euro, also 750 Euro. 

 

Amtsgericht Bautzen, 5. Oktober 2016


Der Angeklagte Mario E., 38 Jahre alt und bisher Chef einer Bautzener Sicherheitsfirma, erscheint nicht selbst zum Prozess. Seinem Mandanten sei ohnehin schon genug Schaden entstanden, zitiert die Sächsische Zeitung den Verteidiger. Im Sommer 2015 hatte E. in einer Diskussion im Internet Folgendes geäußert: "Meiner Meinung nach brennen noch zu wenige Asylunterkünfte. Offensichtlich ist das der einzige Weg, die Politik wachzurütteln (...)." Es sind Worte, die bundesweit Entsetzen hervorrufen und zu mehreren Anzeigen führen. Nachdem E. eine Geldstrafe in Höhe von 6.000 Euro nicht akzeptiert hat, senkt das Gericht den Betrag auf 1.400 Euro – weil der Angeklagte inzwischen viel weniger verdiene: Seit Bekanntwerden seines Kommentars habe er schlagartig 80 Prozent seiner Aufträge verloren, lässt der Unternehmer seinen Anwalt mitteilen. Er selbst hört nicht, wie der Richter sein Urteil begründet: "Worte legen die Lunte für Gewalt." 

 

Amtsgericht Dippoldiswalde, 2. November 2016


Erst fand er bei Facebook einen Zeitungsartikel mit der Überschrift Pole (47) raste in eigenem Auto in die Müglitz – tot. Darunter schrieb der 38-Jährige, der sich im Internet als jemand mit Namen "Heß" ausgab: "1 : 0 für Deutschland! Scheiss auf die Osteuropäischen Fachkräfte! Nur ein Toter Pole ist ein guter Pole! Scheiss auf euch Gutmenschen die mit der Nazikeule!!!!" Bei einer Routinerecherche stießen Beamte der sächsischen Polizei auf den Eintrag und leiteten gegen den Urheber ein Ermittlungsverfahren ein. Vor Gericht kommt dann ebenfalls zur Sprache, dass der Mann einen Lokalpolitiker der Linken beleidigt hat mit den Worten: "Der gehört an die Wand gestellt. (...) die linke Sau wählt eh keiner." Wegen Volksverhetzung und Beleidigung muss er 75 Tagessätze à 15 Euro, zusammen 1.125 Euro, zahlen. 

 

Landgericht Dresden, 30. November 2016


Allein das Verlesen seines Vorstrafenregisters dauert eine Dreiviertelstunde: Körperverletzung, Diebstahl, Drogenhandel, nicht gezahlter Unterhalt für seinen Sohn – seit 1990 hat der Angeklagte immerhin 16 Vorstrafen angehäuft. Es handelt sich um Lutz Bachmann, den Gründer von Pegida. Im September 2014 hatte er Kriegsflüchtlinge auf Facebook als "Viehzeug", "Dreckspack" und "Gelumpe" bezeichnet. Jemand müsse Bachmanns Account gehackt haben, erklärte im Mai 2016 seine Verteidigerin vor dem Dresdner Amtsgericht. Dagegen sprachen die Aussagen von Zeugen. Der 43-Jährige wurde, weil er Flüchtlinge herabgewürdigt und zum Hass gegen sie aufgestachelt hat, zu 120 Tagessätzen à 80 Euro verurteilt. Vor Dresdens Justizpalast ließ er sich damals von ein paar Dutzend Anhängern mit "Widerstand!"-Parolen feiern. Ein halbes Jahr später, beim Berufungstermin vor dem Landgericht, fehlt Bachmann hingegen. Er lebe nun als "Privatier" auf Teneriffa, sagt seine Anwältin. Vor dem Landgericht hat sie faktisch den Schuldspruch aus der ersten Instanz akzeptiert; es geht nur noch um das Strafmaß. Am Ende bleibt es bei den 9.600 Euro Geldstrafe. Bachmann aber schreibt aus der Ferne: Dass er seine Schuld eingestanden habe, sei eine Erfindung der "Lügenpresse".

 


 

Verdacht: Volksverhetzung

Diese Vorfälle sorgten 2015 für Entsetzen: Bei einer Pegida-Demo in Dresden trug jemand einen Galgen mit den Schildern "Reserviert Angela 'Mutti' Merkel" und "Reserviert Sigmar 'das Pack' Gabriel". Wenig später sagte der Autor Akif Pirinçci in einer Rede, ebenso bei Pegida, dass "die KZs ja leider derzeit außer Betrieb" seien. Und er sprach auch etwa von einer drohenden "Moslemmüllhalde" hierzulande. Zum "Galgenmann" gingen 20 Anzeigen, zu Pirinçcis Rede gar 66 bei Sachsens Justiz ein. Die begann zu ermitteln. Bis heute, 15 Monate später, ohne Ergebnis.

 

Ist Sachsens Justiz zu träge?


Spätestens seit den fremdenfeindlichen Exzessen von Freital, Heidenau oder Bautzen hat Sachsen den Ruf, beim Kampf gegen Gewalt und Hetze zu versagen. Kann dort also, wer will, zu Hass aufstacheln, ohne dass der Staat dagegen vorgeht? Reagiert die Justiz denn gar nicht auf die sich häufenden Fälle von Hetze bei Facebook & Co.? Es waren Fragen wie diese, die am Anfang der Recherche standen.

 

Dreimal mehr Anklagen


Auf Anfrage der ZEIT hat das Dresdner Justizministerium nun erstmals eine Statistik der Hetze-Fälle vor Sachsens Gerichten in 2016 erarbeitet. Demnach hat sich die Zahl der Strafbefehle wegen Volksverhetzung im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt, die Zahl der Anklagen sogar verdreifacht. Fakt ist: Sachsens Justiz ging häufiger als bisher gegen Hetze vor. Was diese Zahlen leider nicht verraten, ist ihre Relation zur Menge an Tätern und Anzeigen im Zeitraum – diese Menge könnte ebenfalls stark gewachsen sein.

 

Welche Äußerungen werden bestraft?


Welche Aussagen werten Richter als volksverhetzend? Wer sind die Täter? Um einen Eindruck davon zu vermitteln, versammelt diese Doppelseite 15 Beispiele aus Sachsen, alle aus dem Jahr 2016. Vielleicht landet bald auch einer der anfangs erwähnten Hetze-Fälle bei Pegida vor Gericht. Die Ermittlungen, heißt es bei Dresdens Staatsanwaltschaft, stünden vor dem Abschluss.

 

Stefan Schirmer