Geheimes Strategiepapier: Wie die AfD 2017 Wahlkampf machen will

Erstveröffentlicht: 
02.02.2017

Wen die Partei als größten Feind sieht und warum sie nichts gegen die Neonazis in den eigenen Reihen tun will. Das Papier, das VICE vorliegt, zeigt, was in den Köpfen der AfD vorgeht.

 

Jetzt wissen wir genau, wie sich die AfD ihre Wähler vorstellt. Fünf verschiedene Gruppen hat sie identifiziert: Euroskeptiker, "Liberal-Konservative", Protest- und Nichtwähler und Menschen mit niedrigem Einkommen.

 

Was die anderen Menschen in Deutschland wollen? Das ist der AfD egal. Das schreibt sie selbst in ihrem Strategiepapier: "Die Reaktionen und die Befindlichkeiten anderer Teile der Gesellschaft  sind für die AfD (...) von untergeordneter Bedeutung. Sie sind eher Zielscheiben als Zielgruppen der AfD." Über das 13-seitige Papier vom 16. Dezember 2016 haben unter anderem schon Bild und Tagesschau berichtet. VICE liegt jetzt noch eine deutlich längere Version mit 33 Seiten vor, datiert auf den 22.12. und vom Bundesvorstand zuvor abgesegnet. "Vertraulich" steht in roter Schrift auf dem Deckblatt. Nur einen der beiden Autoren, deren Kürzel auf dem Deckblatt stehen, gibt die Partei bekannt: Georg Pazderski, ein ehemaliger Offizier und Landesvorstand der AfD Berlin. Die Initialen des anderen sind "RE".

 

Wir haben das gesamte Programm gelesen, damit … ihr wisst schon. 

 

Die Abgrenzung nach rechtsaußen funktioniert. Nein. Doch. Ein bisschen?


Die AfD will nicht, dass sie andere rechtsextrem nennen:

 

"Das größte Problem bei der Ansprache von Wählern in der politischen Mitte ist das von Medien und Altparteien erzeugte Image, dass die AfD (...) sich nicht klar gegen Rechtsextremismus abgrenzt." (S.5)

 

OK, deswegen will sich die Partei also abgrenzen.

 

"Auf jeden Fall sollte die AfD als Partei Abstand zu Gruppierungen haben, die in den Augen der Mainstream Medien als rechtsextrem gelten." (S.16) 

 

Macht soweit Sinn. Aber auch wiederum nicht zu viel:

 

"Es muss aber nicht jedes Mitwirken individueller AfD-Mitglieder bei (...) suspekten Gruppen thematisiert und geahndet werden. (...) Zwischen dem bloßen Mitmachen bei Demonstrationen und der Übernahme öffentlich sichtbarer Verantwortung ist zu unterscheiden." (S.16)

 

Aber so ganz merkt die Partei, dass das auch nicht überzeugend ist, nicht mal für die eigenen Mitglieder.

 

"AfD-interne Umfragen zeigen, dass die Bemühungen (...), die AfD als rechstextrem darzustellen, nicht ohne Erfolg sind." (S.17)

 

Weil die Medien eben so böse und unfair sind.

 

"Ebensowenig gibt es Anerkennung [von den Medien], wenn die AfD Personen mit rechtsextremem Hintergrund aus den eigenen Reihen ausschließt." (S.18)

 

Fassen wir also zusammen: Mimimimi.

 

Oder ausführlicher: Das Einzige, was die Partei tatsächlich an rechstextremem Gedankengut stört, ist, dass Berichte darüber nach außen dringen könnten, was potentielle bürgerliche Wähler abschrecken könnte. Nichts in diesem Positionspapier deutet darauf hin, dass eine wirkliche Abgrenzung stattfindet. Die Partei weiß, was für Mitglieder sie hat, selbst die Mitglieder wissen, in was für einer Partei sie sind. Und übrigens, liebe AfD: Wenn es so viele Parteiausschlussverfahren aufgrund von Rechtsextremismus gibt, ist das Problem doch eher, dass es offensichtlich viele Rechtsextreme in der Partei gibt und nicht, wie die Medien darüber berichten (die meisten blieben am Ende ohnehin erfolglos). Aber vielleicht denken wir hier einfach zu logisch. 

 

Hauptsache, es knallt


Damit trotz 33-seitigem Strategiepapier kein Missverständnis aufkommt: Niemand hat die Absicht, ernsthaft Politik zu machen.

 

"Für den Wahlerfolg der AfD [geht es] nicht darum, zu den zentralen Themen differenzierte Ausarbeitungen und technisch anspruchsvolle Lösungsmodelle vorzulegen (...), die nur Spezialisten aus der politischen Klasse interessieren, die Wähler aber überfordern."

 

Und überfordert ist der ein oder andere Wähler ja leicht.

 

"Kurze Slogans sind erfolgsversprechend, nicht lange Abhandlungen."

 

Ob das dann alles so stimmt? Ach, Fakten werden eh überbewertet:

 

"Konzentration auf Eingängiges geht vor Vollständigkeit." (alles S.9)

 

Clickbait gehört zur AfD-Medienstrategie. Diese Sätze im Positionspapier entlarven die Partei aber weiter. Nicht nur, dass die Rechtspopulisten überhaupt keine Lösungen anbieten wollen, zusätzlich halten sie die eigenen Wähler auch noch für zu einfach gestrickt, um Lösungen überhaupt zu verstehen. Vielleicht haben sie damit gar nicht so Unrecht. Einfache Antworten auf komplexe Fragen sind das Alleinstellungsmerkmal der Partei: Flüchtlinge? Schüsse an der Grenze. Aufklärung über HIV? Plakate, die für Safer Sex werben, verbieten. 

 

Trump und Brexit werden's richten


Hoffentlich verkackt Trump nicht sofort, ist eine der Sorgen der AfD:

 

"Ob Brexit, Wahlerfolge der Freiheitlichen Partei Österreichs oder der Wahlsieg Donald Trumps (...): Solche Ereignisse (...) kommen der AfD zugute." 

"Problematisch wird die Lage im Ausland nur, wenn nach ihrem Wahlerfolg 'Rechtspopulisten' bei der Regierungsausübung versagen oder in massive Schwierigkeiten geraten. Dafür dürfte es aber 2017 auf jeden Fall noch zu früh sein." (alles S. 11)

 

Optimismus ist alles. Allerdings könnte diese Strategie der AfD leicht nach hinten losgehen. Der Brexit wird konkreter und Firmen und Banken bereiten sich darauf vor, das Vereinigte Königreich zu verlassen. Und die ersten Tage von Präsident Trump deuten nicht unbedingt auf eine Zeit ohne "Versagen und massive Schwierigkeiten" hin. Das Debakel, in das Trump die USA gerade führt, könnte vielleicht dazu führen, dass auch Europa klar wird, was tatsächlich hinter der einfach gestrickten Maske der Rechtspopulisten steckt: am Ende das Abrutschen in eine Autokratie 

 

CDU/CSU und die Linke sind Konkurrenz, die Grünen der schlimmste Feind


Der Gegner steht fest:

 

"Die Unionsparteien sind der größte und wichtigste politische Konkurrent der AfD." (S.20)

 

Und wird der AfD immer ähnlicher.

 

"Die CSU (...) ist inzwischen in ihren Forderungen und ihrer Wortwahl oft kaum noch von der AfD zu unterscheiden (...)" (S.21)

 

Und sogar Sahra Wagenknecht klingt wie Frauke Petry.

 

"Im Osten Deutschlands (...) stehen AfD und Linkspartei im direkten Wettbewerb um Wählerstimmen (...). Dort denkt man patriotisch, hält nichts von offenen Grenzen, möchte Sicherheit und sehnt sich nach 'sozialer Gerechtigkeit', aber nur für deutsche Staatsbürger (...)." (S. 23)

 

Da muss man richtig danach suchen, wer überhaupt noch nicht nach Rechtspopulisten klingt. Ja, genau, die Gutmenschen-Körnerfresser!

 

"Die Grünen sind der eigentliche politische Gegner der AfD." (S. 24)

 

Egal, was die sagen, immer dagegen sein, das ist die Lösung und nie muss man sich wieder Gedanken um ein eigenes Programm machen.

 

"Man kann geradezu die Gleichung aufstellen, dass immer dann, wenn die Grünen eine politische Auffassung vertreten, aus AfD-Sicht automatisch genau das Gegenteil richtig wäre." (S. 24)

 

CSU und AfD scheinen eine Hassliebe zu verbinden, das wird auch im AfD-Positionspapier wieder deutlich. Der bayerische AfD-Vorsitzende sagte bereits (vermutlich nicht ganz ohne Neid): "Wir haben eine rechtspopulistische Partei an der Regierung" und tatsächlich überschneiden sich die die Forderungen quasi täglich. Für die AfD ist dies das größere Problem. Seehofers Populismus wird immer noch stärker wahrgenommen als der von Frauke Petry und Co. Auch in Teilen der Linken ist mittlerweile angekommen, dass Populismus, der sich gegen Geflüchtete richtet, funktioniert. Sahra Wagenknecht sagt Sätze wie "Die AfD hat in vielen Punkten Recht". Niemand wird in dem Positionspapier aber so hart angegangen wie die Grünen: Die sind an wirklich allem schuld. "Genderismus", die "Diskriminierung der Familie", "unbegrenzte Zuwanderung" und selbstverständlich auch an der "Verteufelung der deutschen Geschichte".

 

Der Blick der AfD auf die Grünen sagt mehr über die Rechtspopulisten aus als alles andere. Das Ziel der AfD ist ein gesamtgesellschaftlicher Rückschritt, egal ob es um Familienpolitik, Feminismus, LGBT*-Rechte, Umweltschutz oder Migration geht. Die (noch lange nicht abgeschlossene) Entwicklung hin zu einer offeneren Gesellschaft ist das eigentliche Problem der AfD. Wer Deutschland wieder in in den 50ern haben will, hat mit der AfD die richtige Partei gefunden. Nur eben mit mehr Clickbait.