NSU-Prozess in München Psychiater: Zschäpe neigt zum Verharmlosen

Erstveröffentlicht: 
17.01.2017

Im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München hat der Psychiater Henning Saß der Hauptangeklagten Beate Zschäpe eine Neigung zur Verharmlosung und zum Abschieben von Verantwortung auf Andere attestiert. Saß sagte am Dienstag bei der Vorstellung seines psychiatrischen Gutachtens über die mutmaßliche Terroristin, er habe keine wesentlichen Gesundheitsstörungen bei Zschäpe feststellen können. Auch der von Zschäpe in einer Stellungnahme aus dem Dezember 2015 angegebene starke Alkoholkonsum lasse nicht auf eine Alkoholsucht schließen.

 

Saß war erst nach wochenlangem Streit mit Zschäpes Verteidigung aufgerufen worden. Er stützt sein Gutachten im Wesentlichen auf Beobachtungen während des Prozesses, da die Angeklagte eine direkte Zusammenarbeit mit dem Gerichtspsychiater in Form von Gesprächen abgelehnt hatte. Saß räumte ein, dass direkte Gespräche für das Gutachten besser gewesen wären. Durch das lange Verfahren liege aber dennoch sehr viel Informationsmaterial vor. Vorwürfe von Zschäpes Verteidigung, es handle sich nur um eine Ferndiagnose, wieß Saß als "tendenziös und irreführend" zurück.

 

In seinem Vortrag sagte der Experte, bei Zschäpe gebe es "Hinweise für egozentrische, wenig empathische und externalisierende Züge". Ausgeprägt seien auch ihre Fähigkeiten für ein Leben im Untergrund. Sie habe "erfolgreich Grundsätze eingehalten der Heimeligkeit, des Verbergens, des Täuschens". Sie habe sich als "liebe, gute Nachbarin" präsentiert, "die von ihrer Gesinnung nichts preisgegeben hat". 

 

Keine Hinweise auf Gesundheitsstörungen

 

Saß sagte, bei Zschäpe hätten sich für ihn weder aus den Akten noch aus den zahlreichen Zeugenschilderungen noch aus den verschiedenen Angaben der Angeklagten selbst Hinweise für wesentliche, im Verfahren relevante Gesundheitsstörungen ergeben. Dass es nach dem Auffliegen des NSU und den mutmaßlichen Selbstmorden von Zschäpes Komplizen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos im November 2011 zwischenzeitlich zu suizidalen Gedanken gekommen sei, sei nachvollziehbar. Schwerwiegende psychiatrische Erkrankungen wie eine Schizophrenie oder Depressionen ließen sich aber nicht feststellen. Hinweise auf eine mögliche Alkoholsucht hat Saß nach eigenen Angaben auch nicht bei der Angeklagten oder in Aussagen von Zeugen festgestellt. So habe sie beispielsweise nach ihrer Festnahme keine Entzugserscheinungen gezeigt, die hätten behandelt werden müssen.

 

Der Experte sollte sein Gutachten am Dienstag noch nicht abschließen. Fragen nach der Einschätzung zur Schuldfähigkeit Zschäpes wurden erst für Mittwoch erwartet. Zschäpe wird eine Beteiligung an der Bildung der terroristischen Vereinigung NSU sowie eine Mitverantwortung für die dem NSU zugeschriebenen Morde, Bombenanschläge und Banküberfälle vorgeworfen. Sie steht seit vier Jahren vor Gericht.