Rechtsextremismus: "Reichsbürger" drangsalieren Freiburger Justiz

Erstveröffentlicht: 
17.01.2017

Das Amtsgericht Freiburg hat immer öfter mit den "Reichsbürgern" zu tun. Der Umgang mit den Querulanten kostet nicht nur Zeit, sondern kann auch gefährlich werden.

 

Sie leugnen die legitime Existenz der Bundesrepublik, weigern sich, Strafzettel zu bezahlen und überhäufen Behörden mit kruden Schreiben: Sogenannte Reichsbürger beschäftigen die Freiburger Justiz immer mehr. Gerichtsvollzieher kommen ihnen besonders nah – bis in die eigene Wohnung.

Im Dezember hatte die Freiburger Polizei in der Wohnung eines 69-Jährigen mehrere Waffen gefunden. Der Mann ist ein sogenannter Reichsbürger. "Als ich davon gehört habe, ist mir ganz anders geworden", erzählt Simone D.* Die 41-Jährige ist Gerichtsvollzieherin beim Amtsgericht und muss immer öfter an die Türen jener klopfen, die lange als harmlose Spinner abgetan wurden. Einer von ihnen erschoss 2016 in Mittelfranken einen Polizisten. "Ich kann meinen Job nicht mehr so unbedarft machen wie früher", sagt D.

Rechtsextreme Ideologie


Reichsbürger zeichnen sich durch ihre rechtsextreme Ideologie aus, nach der das Deutsche Reich weiter fortbesteht. Die Bundesrepublik sei dagegen eine GmbH, an deren Gesetze sie sich nicht halten müssten. Jeder der 15 Gerichtsvollzieher im Bezirk des Amtsgerichts hatte laut Katharina Matzken schon mit Anhängern der Bewegung zu tun. Matzken ist zuständig für die Aufsicht der Gerichtsvollzieher. Derzeit stünden auf einer internen Liste etwa 40 Reichsbürger, die meisten seien Männer, einige Frauen, fast alle älter als 40, viele im Rentenalter.


Ralf W.* ist seit mehr als 20 Jahren Gerichtsvollzieher und muss sich schon lange mit den Querulanten herumärgern. Nun werde er erstmals einen Haftbefehl vollstrecken, weil ein Reichsdeutscher sich strikt weigere, seine Schulden zu begleichen. Der habe dem Justizbeamten ein Hausverbot erteilt. Nun muss der Verschwörungstheoretiker wohl in die Justizvollzugsanstalt (JVA).

Wie schon andere, einer wegen 20 Euro, erzählt Matzken. "Meist geht es um relativ niedrige Beträge wie GEZ-Gebühren oder ein Bußgeld fürs Falschparken." Wenn die letzte Möglichkeit die JVA ist, komme die Polizei grundsätzlich mit. Bei jedem Besuch sei die Amtshilfe nicht möglich."Da ist man auf sich allein gestellt", sagt Simone D. "Man kann kaum einschätzen, wie derjenige reagiert."

"Die meisten sind Schreibtischtäter", sagt Thomas Kummle. Der Präsident des Amtsgerichts zieht einen Ordner voller Briefe heraus – viele Seiten mit Wappen vom "Deutschen Reich" oder "Freistaat Preußen". Mit horrenden Forderungen wie 100 000 Euro für das "Durchführen von Maßnahmen unter Zwang, ohne zu hoheitlichem Handeln befugt zu sein". Dem Gerichtspräsidenten, so der Verfasser, fehle es an "ordnungsgemäßer Identität und Autorität". Er antworte nie auf solche Briefe, von denen wöchentlich zwei einträfen, sagt Kummle. Wegen Beleidigung oder Bedrohung habe er aber schon einige Reichsbürger angezeigt. Arbeit machten die allemal.

Reichsdeutsche agieren widersprüchlich


Ist einer von ihnen vor Gericht geladen, "müssen wir hochrüsten", sagt Kummle. "Jeder, der ins Gebäude will, wird dann kontrolliert." Richter Lars Petersen erzählt von einer Verhandlung, bei der der angeklagte Reichsbürger "seine Kumpels zusammengetrommelt" hat, die im Prozess eine weiße Rose in der Hand hielten. "Vieles buche ich als skurril ab", so Petersen. Reichsdeutsche agierten äußerst widersprüchlich: Zum einen erkennen sie keine deutsche Behörde an, zum anderen nehmen sie laut Petersen dann doch deren Leistungen an, stellen Anzeigen oder beziehen Sozialleistungen.

"Auch wenn sich Vieles lustig anhört, zum Lachen ist das nicht mehr", sagt Petersen. Denn Reichsbürger griffen auch in die Privatsphäre ein. Einen habe der Richter mal bei einem Auftritt seiner Band getroffen. "Ein kleines Konzert, nicht groß angekündigt, der war nicht zufällig da."

 

Dass die Anhänger der Bewegung versuchen, an die Daten der Justizbeamten zu kommen, kommt laut Matzken von der Gerichtsvollzieheraufsicht vor. "Viele filmen uns und stellen das dann auf Youtube", sagt Ralf W. "Sie wollen uns Staatsvertreter blöd aussehen lassen", erzählt Simone D. Ein Besuch oder ein Schriftwechsel koste Zeit und Nerven. "Niemals drauf einlassen, das bringt nichts." Erledigt ist das Problem deshalb noch nicht.

Denn auch bei ihnen hört der Ärger mit den Reichsbürgern in der Freizeit nicht auf: Bei einer Reise nach New York habe W. Sorge gehabt, dass er "irgendwo einen Eintrag" habe. Immer wieder liest man von Reichsbürgern, die Staatsbedienstete ins Online-Handelsregister UCC der USA eintragen. Die Forderung geben sie dann an ein offenbar selbst gegründetes Inkasso-Unternehmen in Malta ab. Dort gilt eine Besonderheit: Bestimmten Forderungen muss man persönlich vor Gericht widersprechen, sonst werden sie rechtskräftig. Geklappt hat die Malta-Masche wohl noch nie; doch Schrecken jage sie den Betroffenen allemal ein, sagt W.

Der 47-jährige Gerichtsvollzieher berichtet von einem Kollegen, auf den im Internet einmal "Kopfgeld" ausgesetzt war, ein anderer wurde mit einem Messer bedroht. In Freiburg ist es laut Amtsgericht bisher bei mündlichen Drohungen geblieben. "Einer sagte mir mal, dass ich es bereuen würde", so W. Es sei ein anderes Gefühl, wenn man zu einem Reichsbürger in die Wohnung gehe. "Wir müssen fast schon damit rechnen, dass einer mal eine Waffe zieht." *Namen geändert

Reichsbürger

Das Landeskriminalamt rechnet der Bewegung in Baden-Württemberg rund 650 Anhänger zu. Nachdem ein Reichsdeutscher in Bayern 2016 einen Polizisten getötet hatte, kündigte der Verfassungsschutz an, die Gruppe künftig zu überwachen.

Zur Zahl der Reichsbürger in Freiburg machen die Behörden keine Angaben. "Die Szene haben wir im Blick", so Polizeisprecherin Laura Riske. Auch das Amt für öffentliche Ordnung versucht laut Rathaussprecherin Martina Schickle beispielsweise bei Bußgeldverfahren, Reichsbürger zu identifizieren.


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