MDR-Reporter Stephan Schulz hat die Studentenproteste am Donnerstagabend miterlebt. Er schildert die Ereignisse aus seiner Sicht. Für die Gewaltbereitschaft der Störer hat er kein Verständnis.
von Stephan Schulz
Ich bin ein toleranter Mensch, aber wenn Leute, egal, ob links oder rechts, Gewalt anwenden, habe ich kein Verständnis mehr.
Am Abend sitze ich im Hörsaal 6 der Otto-von-Guericke Universität Magdeburg, gemeinsam mit 300 Studenten. Sie halten den Hörsaal blockiert, weil die Hochschulgruppe der AfD, die "Campus Alternative", zu einem Vortrag über Geschlechterforschung eingeladen hat. Der emeritierte Neurobiologe Gerald Wolf will darüber referieren, wie die Gehirne von Frauen und Männern ticken. Wolf glaubt, dass Männer leistungsfähiger sind als Frauen. Seine Thesen sind umstritten.
Jahrelang war der 73-jährige Wissenschaftler eher unpolitisch. Seit einiger Zeit sucht er jedoch die Nähe zur AfD. Als Redner der Veranstaltung hat sich auch der Fraktionsvorsitzende André Poggenburg angekündigt. Als er mit seinen Begleitern, darunter auch Vertreter der vom Verfassungsschutz beobachteten "Identitären Bewegung", den Hörsaal betritt, rufen die Studenten: "Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda!" und "Haut ab!"
Der Neurobiologe Gerald Wolf versucht zunächst, seine Powerpoint-Präsentation vorzubereiten. Doch die Buhrufe nehmen kein Ende. Als André Poggenburg ans Rednerpult tritt, eskaliert die Situation.
Lage im Hörsaal eskaliert
Über einen Nebeneingang kommen junge Männer und Frauen der "Antifa" in den Hörsaal. Sie tragen ein Transparent mit der Aufschrift "Students against racism" und stellen sich vor das Rednerpult. Einige Begleiter des AfD-Fraktionsvorsitzenden André Poggenburg gehen auf die Gruppe zu und versuchen, ihr das Plakat zu entreißen. Es kommt zu gegenseitigen verbalen Beschimpfungen und Tritten.
Dann wirft jemand einen Böller. Er landet einen Meter neben André Poggenburg und explodiert. Der Feueralarm wird ausgelöst. Etwa zur selben Zeit muss an einem Notausgang einer der AfD-Männer in eine körperliche Auseinandersetzung geraten sein. Er steht in einem Raum hinter der Bühne und blutet an der Augenbraue. In den Raum flüchten auch die anderen AfD-Mitglieder. Zwei Männer der Antifa treten mit ausgestreckten Beinen gegen die Tür. Eine Frau schreitet ein und unterbindet die Gewalt.
Die "Haut-ab"-Rufe aber gehen weiter. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis die Polizei eintrifft. Sie eskortiert die AfD-Mitglieder unter dem Applaus der Studenten aus dem Hörsaal.
AfD feiert sich selbst
Ich gehe mit der Gruppe hinaus, höre dabei, wie André Poggenburg zu einem Mitarbeiter sinngemäß sagt: "Jungs, für uns ist die Veranstaltung ein voller Erfolg gewesen – zumindest politisch." Die Studenten hingegen feiern sich, dass sie die AfD-Veranstaltung an ihrer Universität verhindert haben.
Ich selbst werde nachdenklich. Ich halte die Art und Weise des Protestes für falsch. Es ist in Ordnung, wenn Menschen friedlich gegen die Ansichten der AfD oder anderer Parteien protestieren. Aber ich mag keinen Leuten applaudieren, die Gewalt für ein legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung halten.
Ich hätte mir daher gewünscht, dass sich die Studenten gleichermaßen von linksextremer und rechtsextremer Gewalt distanzieren. Das ist nicht passiert. Die Wirkung ihres Protestes halte ich auch noch aus einem anderen Grund für verfehlt: Wenn sie den Hörsaal nicht blockiert hätten, wären zu der AfD-Veranstaltung höchstens dreißig Leute gekommen. Sie wäre verpufft.
Jetzt aber bekommt die AfD eine Aufmerksamkeit, die sie ohne den reflexhaften und teilweise völlig inakzeptablen Gegenprotest nie bekommen hätte. Die Studenten haben für die AfD kostenlos Werbung gemacht. Darüber würde ich, wenn ich Student wäre, mal nachdenken.