600 Verfahren gegen frühere Neonazi-Kameradschaftler

Erstveröffentlicht: 
12.12.2016
Die Delikte reichen von Betrug bis Kinderpornografie. Sachsens Grüne fordern deshalb eine Kartei für rechte Intensivtäter.

Von Jens Eumann

 

Dresden. Unter früheren Mitgliedern verbotener Neonazi-Kameradschaften gibt es offenbar Beziehungen zur organisierten Kriminalität. Diese Schlussfolgerung zieht der innenpolitische Sprecher der Fraktion der Grünen im Landtag, Valentin Lippmann. Seine Folgerung fußt auf Antworten, die ihm Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) auf eine Anfrage geliefert hat.

 

Lippmann wollte wissen, wie viele Strafverfahren es seit dem Verbot von Neonazi-Organisationen wie "Skinheads Sächsische Schweiz" (SSS), "Sturm 34" in Mittweida oder "Nationale Sozialisten" in Döbeln und Chemnitz gegen deren ehemalige Mitglieder gab. Der Grünen-Politiker fragt: "Wo bleibt die Statistik zu Mehrfach-Intensiv-Tätern aus dem rechtsextremen Lager, so wie sie bei ausländischen Tätern erfasst wird?"

 

Laut der Gemkow-Statistik aus Datenbanken der Staatsanwaltschaften wurden seit den Verboten der genannten Organisationen bis November dieses Jahres 617 Ermittlungsverfahren gegen frühere Mitglieder der Kameradschaften geführt. 672 Tatverdächtige standen im Visier der Ermittler. Über 400 Verfahren entfallen auf Ex-Mitglieder der 2001 verbotenen SSS, rund 140 auf Mitglieder der 2006 verbotenen Kameradschaft "Sturm 34". Je rund 40 Verfahren gab es bei Mitgliedern der 2013 verbotenen "Nationalen Sozialisten Döbeln" und der ein Jahr später verbotenen "Nationalen Sozialisten Chemnitz". Wie jede Ermittlungsstatistik sagt auch diese noch nichts über die daraus folgenden Verurteilungen aus.

 

Der Blick auf die Art der Delikte zeige: Außer szenetypischen Straftaten wie Volksverhetzung, Propaganda- und Körperverletzungsdelikten liegen Bezüge zur organisierten Kriminalität nahe, sagt Lippmann. 95 Strafverfahren wurden wegen Körperverletzung geführt. Dicht gefolgt waren diese von Betrugsdelikten, die es auf 73 Verfahren brachten, 58 davon gegen frühere Kameraden der "Skinheads Sächsische Schweiz". Gegen deren Mitglieder richteten sich auch 28 von 34 angestrengten Drogenverfahren gegen Mitglieder verbotener Neonazi-Vereine. Bei den "Skinheads Sächsische Schweiz" kamen dazu fünf Verfahren wegen Verbreitens pornografischer Schriften, darunter zwei wegen Kinderpornografie.

 

Zwar fordert die rechtsextreme Szene immer wieder plakativ "Todesstrafe für Kinderschänder", doch sind Delikte dieser Art in der Szene nicht neu. 2006 legte ein NPD-Landtagsabgeordneter sein Mandat nieder, als wegen Besitzes von Kinderpornografie gegen ihn ermittelt wurde. Auf dem Computer der Hauptangeklagten im Münchner Strafverfahren zum Terror der "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU), Beate Zschäpe, entdeckten die Ermittler kinderpornografische Fotos. Und in Thüringen wurde der frühere Kopf der landesweiten Neonazi-Kameradschaft "Thüringer Heimatschutz", der für den Verfassungsschutz spitzelnde Rechtsextremist Tino Brandt, inzwischen wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger und Förderung der Prostitution zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Brandt gestand, mit jungen Kameraden sexuell verkehrt und sie zur Prostitution an Freier vermittelt zu haben. Zeugenhinweise gab es auch auf Produktion von Kinderpornografie. Das jüngste Opfer war 13 Jahre alt. Von 157 angeklagten Fällen wurde Brandt für 66 verurteilt.

 

Angesichts der Deliktzahlen in Sachsen sei "gewerbsmäßiges" Vertreiben von Kinderpornografie durch die hiesige rechtsextreme Szene dagegen nicht belegt, schätzt Valentin Lippmann ein. Doch eins machten die vorgelegten Zahlen deutlich: Wie groß das Problem gewaltbereiter und straffälliger Neonazis tatsächlich ist. Lippmann fordert höheren Verfolgungsdruck.

 

Was rechte Bandenkriminalität betrifft, verweist die Linke Rechtsextremismus-Expertin im Landtag, Kerstin Köditz, auf einen 2012 in Delitzsch aufgeflogenen rechtsextremen Drogenschmuggler-Ring. Belege der Verflechtung politischer mit herkömmlicher Kriminalität gebe es seit Jahren. Bei der Forderung nach einer Kartei rechtsextremer Mehrfachtäter ist Köditz skeptisch. "Über ihr Informationssystem kann die Polizei das ja ohnehin abrufen. Noch mehr Statistiken nützen kaum. Wünschenswert wäre eher eine sorgfältige Analyse solcher Daten, woraus sich Handlungsempfehlungen ergeben können."