BS: Berufungsverhandlung gegen zwei Tierbefreiungsaktivisten – 1. Tag

Richter Seidel Landgericht Braunschweig

Mit den Worten „Ich hab noch gar nicht angefangen“ zu drohen, nachdem eine Person unter einem über Schmerzen klagt und auf andere Menschen zu stürzen und „Verpisst Euch, ihr Assis“ rufen - für den Wachmann Kontny, einer der Hauptbelastungszeugen, anscheinend ein ganz normales Verhalten und Kommunikationsweise seines Berufsalltages. Der erste Prozesstag in dem Verfahren gegen Andre und Philipp wegen mehrerer kaputter Schaufensterscheiben und einer angeblichen gefährlichen Körperverletzung gegen zwei Sicherheitsbeamte, zeigte enorme Widersprüche zu dem Urteil des Amtsgerichts Braunschweig auf und unterstrich eine Bewertung als Notwehrsituation.

 

Am 23.11. begann vor dem Braunschweiger Landgericht die Berufungsverhandlung gegen Andre und Philipp, denen vorgeworfen wird am 24.12.2014, mehrere Scheiben des Pelz- und Ledergeschäfts Michelen, sowie jeweils eine Scheibe bei zwei weiterer Geschäften ( Milkau und Ernstings Family) beschädigt und sich gegen zwei angreifende Wachmänner gewehrt zu haben. In Paragraphen ausgedrückt betitelt als: Sachbeschädigung und gefährliche Körperverletzung. Darüber hinaus wird gegen Philipp wegen Erschleichung von Leistungen im Rahmen einer „Aktionsschwarzfahrt“ verhandelt.

 

Vor dem Amtsgericht wurden die beiden bereits Anfang 2016 zu 7 und 11 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, die auf Bewährung ausgesetzt wurden (siehe Bericht http://kampagne-gegen-tierfabriken.info/en/solidaritaet-mit-andre-und-ph...). Wie bei dem Verhandlungstag am Donnerstag allerdings noch einmal deutlich wurde, weicht die Urteilsbegründung von Richterin Bettge aus der ersten Instanz in großen Teilen von den Schilderungen des Geschehens seitens der Hauptbelastungszeugen massiv ab. So scheint die Justiz im Amtsgericht damals auch gar kein Interesse daran gehabt zu haben, die Schilderungen der Zeugen Aussage-getreu in das Urteil einfließen zu lassen. Vielmehr wurde einfach versucht im Urteil eine Situation zu beschreiben, die die hohen Strafen für die Verurteilten möglich machen sollten. So wurde im Amtsgerichtsurteil zum Beispiel aus der tatsächlichen Aussage des Wachmenschen Keim, bezüglich seiner Verletzung an der Wange, aus einer „Abschürfung/einem Kratzer“ gleich mal ein „blutiger Riss“, oder aus der Aussage bei der angeblichen versuchten Befreiung, der zuerst von den Wachleuten zu Boden gebrachten Person, wurde aus der tatsächlichen Aussage „Lass ihn los!“ ein „Lass den Täter los!“. Auch wird im erstinstanzlichen Urteil behauptet, dass dem Zeugen Kontny aus nächster Nähe und in einem direkten Strahl Pfefferspray in die Augen gesprüht wurde. Tatsächlich wurde der Einsatz des Sprays in beiden Instanzen, als ein Sprühen „im Vorbeigehen“ geschildert. Mensch könnte es fast Fantasie nennen, wenn dahinter nicht vermutlich doch schlicht die Absicht stand, möglichst hohe Strafen zu verhängen.

 

Die Aussagen der Wachleute bekräftigen, wie schon vor dem Amtsgericht, eine Bewertung der Situation als eine Notwehr-Situation. Besonders deutlich wird dieses mit Blick auf eine fehlende Äußerung einer Festnahmeabsicht seitens des Wachpersonals. Nach deren Aussagen, haben sie sich weder als Sicherheitsdienst erkenntlich gezeigt, noch geäußert, dass die Personen der Polizei übergeben werden sollten. Ganz im Gegenteil entsteht der Eindruck eines gewalttätigen Überfalls, von zwei großen schwarz gekleideten Menschen (die Wachmänner), die laut eigener Aussage wortkarg agierten und wenn sie mal ein Wort über die Lippen brachten, dann war das ein „Verpisst euch!“, oder ein „Jetzt kriegst du´s richtig!“. Nachdem die erste Person von den Wachleuten überwältigt wurde und unter dem einen Wachmann liegend über Schmerzen klagt, entgegnete dieser:„Ich hab noch gar nicht angefangen!“ - für den Zeugen ein normales berufliches Vorgehen. Jedoch erkannte Zeuge und Wachmensch Kontny während seiner Aussagen auch: „Die hätten uns als alles indentifizieren können. (…) Ja, auch als Rechte.“

 

Auch der angebliche Schlag mit einer Brechstange in das Gesicht des Sicherheitsbeamten Keim, wurde nicht als ein gezielter Schlag dargestellt. Vielmehr habe sich der Zeuge auf eine Person zu bewegt und diese habe mit der Brechstange „Schwingbewegungen“ gemacht, die den Eindruck machten, dass sie einen Sicherheitsabstand zwischen den Beiden schaffen sollten. Als sich der Zeuge dann kurz nach hinten blickte, traf ihn in seiner mutmaßlichen Vorwärtsbewegung vielleicht das Brecheisen an der Wange. Die Frage ob der Wachschützer dabei selber in das Brecheisen hinein lief konnte aufgrund mangelndem Erinnerungsvermögen des Zeugen nicht geklärt werden. Und einen direkten Schlag hat Keim gar nicht gesehen. Folge war kein „blutiger Riss“, sondern ein „Kratzer“, der den Zeugen nach eigener Aussage weder physisch noch psychisch längerfristig beschäftigte.

 

Staatsanwältin Cording versuchte mittels einer suggestiv gestellten Frage an den Zeugen Keim ihm den „gesunden Menschenverstand“ abzusprechen, wenn er sich tatsächlich auf die Person mit der Brechstange „blind“ zu bewegt hätte. Es blieb ein gescheiterter Versuch dem Zeugen die Aussage in den den Mund zu legen, die sie hören wollte. Immerhin stimmte Berufungsrichter Seidel an dieser Stelle der Einwendung des Rechtsanwaltes zu und bewertete eine Vorwärtsbewegung während eines Schulterblickes, nicht als ein unmögliches Geschehen.

 

Die Aussagen in der zweiten Instanz deckten sich ansonsten zu großteils, phasenweise sogar wörtlich, mit den Schilderungen der ersten Instanz. Nur der Zeuge Keim ist jetzt auf einmal der Meinung, dass ihm nach dem Schlagkurz schwarz vor Augen wurde und er „Sterne“ gesehen habe. Obwohl er bei der Befragung im Amtsgericht dies eindeutig verneinte. Insgesamt wurde aber deutlich, dass die beiden Wachleute eher genervt von dem wiederholten sprechen vor Gericht sind und sie die Nacht nicht mehr sonderlich beschäftigt.

 

Warum überhaupt noch verhandeln, wenn doch niemensch ein Problem hat? Eine Frage die leider nicht gestellt wird, sondern im behördlichen Standartprogramm keinen Platz hat...

 

Weiter im Text: Unklar blieb zudem auch in dieser Instanz eine Zuordnung. Erkennen können beide Zeugen die Angeklagten nicht. Hinweise bieten lediglich wage Aussagen hinsichtlich Körpergrößen und dem Besitz einer Jacke, wo eigentlich kein Mensch so genau weiß wo die eigentlich herkommt.

 

Im weiteren Verhandlungsverlauf wurde durch die Verteidigung Artikel verlesen, in denen die Gewalt die den beiden Angeklagten seitens der Polizei in der betreffenden Nacht wiederfuhr, geschildert wurde. (https://linksunten.indymedia.org/de/node/130791).

 

Am 8.12., um 10.30 Uhr geht der Prozess weiter. An dem Tag werden die Polizeibeamten befragt und möglicherweise schon dann ein Urteil gesprochen. Also kommt alle.

 

Für ein solidarisches Miteinander!

 

Freiheit für Mensch und Tier!

 

Kein Knast für Andre und Philipp!