Marc Grünbaum, Kulturdezernent der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt, spricht im FR-Interview über Rechtspopulismus, Erinnerungsarbeit und die AfD.
Marc Grünbaum ist seit Juli der neue Kulturdezernent der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt. Er ist im Vorstand schon länger zuständig für frühkindliche Erziehung und Jugend. Der 46-jährige Rechtsanwalt ist außerdem Präsident des Oberen Schieds- und Verwaltungsgerichts beim Zentralrat der Juden in Deutschland.
Herr Grünbaum, die letzten Zeitzeugen, die noch persönlich den Holocaust erlebt haben, werden nicht mehr lange unter uns sein. Was bedeutet das für die Erinnerungsarbeit?
Das bedeutet aus meiner
Sicht, dass der Holocaust in seiner Dimension, die für uns schwer zu
begreifen ist, ein Stück abstrakter wird. Ein Stück mehr Geschichte. Die
Authentizität der Überlebenden geht verloren. Ich bin allerdings davon
überzeugt, dass der Gewissheit, dass die Überlebenden bald nicht mehr da
sein werden, schon vorgearbeitet wurde. Yad Vashem, das Zentrum des
Gedenkens in Israel, hat viel geleistet. Oder auch die Spielberg
Foundation hat viel getan, um die individuellen Schicksale deutlich zu
machen.....
......es wurden Tausende von Lebensgeschichten aufgezeichnet.....
.....ja,
das ist so. Wir sind also durchaus gewappnet, dass die fehlende
unmittelbare Authentizität der Zeitzeugen künftig ein Gegengewicht
erhält.
Bisher war das ja so, dass die Zeitzeugen vor Schulklassen aufgetreten sind, vor jungen Menschen, auch in schwierigen Situationen. Kann man das ersetzen?
Die
Diskussion mit jungen Menschen ist nicht die alleinige Aufgabe der
Überlebenden. Der Dialog wird eine andere Qualität haben, es wird eine
andere Form der Kommunikation geben müssen, um junge Menschen zu
sensibilisieren. Aber ich hoffe sehr auf die Fortdauer der
Gesprächskultur.
Sehen Sie da auch Ihre Aufgabe als Kulturdezernent?
Wir
werden als Jüdische Gemeinde immer das Gespräch anbieten und wir laden
die Stadtgesellschaft ein, mit uns ins Gespräch zu kommen. Dabei sollen
auch aktuelle Themen angesprochen werden, wir haben zum Beispiel einen
Dialogabend zum Thema Islam angeboten in der Jüdischen Gemeinde in
Frankfurt.
Der Rechtspopulismus erstarkt zur Zeit in Deutschland, auch in Frankfurt. Spüren Sie das im alltäglichen Leben?
Ja,
wir spüren das. Wir brauchen uns in Frankfurt keinen Honig ums Maul
schmieren zu lassen. Kurz vor dem 9. November wurde in Rödelheim das
Mahnmal für die ehemalige Synagoge beschmiert und beschmutzt. Im Sommer,
daran möchte ich erinnern, gab es antisemitische Schmierereien auf dem
Fußballfeld im Ostpark. Auch Frankfurt ist nicht frei von
antisemitischen Vorfällen. Es gab im Sommer eine Hakenkreuzschmiererei
am jüdischen Altenzentrum. Ja, wir spüren das, nicht unbedingt im
Alltag, aber es ist dennoch immer mehr Thema. Erst heute habe ich wieder
eine Mail von einem Gemeindemitglied bekommen, das sich sehr besorgt
äußert. 2017 werden wir den Rechtspopulismus und Antisemitismus in
unserer Kulturarbeit im Vorfeld der Bundestagswahl aufgreifen.
Das wird Thema von Veranstaltungen sein?
Ja.
Es wird definitiv Thema einer Veranstaltung sein. Wir werden das zum
Thema machen während des Bundestagswahlkampfs. Wir sind Teil der
Stadtgesellschaft, Teil der Wählerschaft. Es gibt Ängste in der
Jüdischen Gemeinde zum Erstarken der AfD, die wir aufgreifen werden.
Wie gehen Sie mit diesen Ängsten um im Alltagsleben? Salomon Korn, der Vorsitzende der Frankfurter Gemeinde, berichtete unlängst in der Synagoge, dass viele Mitglieder öffentlich nicht mehr die Kippa tragen.
Meine
Eltern sind beide Holocaust-Überlebende. Für mich habe ich eines aus
meiner Erziehung mitgenommen: Ich persönlich werde mein Judentum nie
verstecken. Oder verleugnen. Ich würde nie darauf verzichten, eine Kippa
zu tragen. Ich hoffe, dass in Frankfurt das gesellschaftliche Klima so
bleibt, dass wir uns weiter als Juden bekennen können – daran werden wir
gerne mitarbeiten. Für unsere Jugendlichen gilt, dass wir mit unserer
Jugendarbeit weltoffene, diskussionsbereite Jugendliche ausbilden, die
selbstbewusst mit ihrem Judentum umgehen. Aber es gibt sehr wohl
Mitglieder, die sich entschieden haben, in der Öffentlichkeit nicht mehr
die Kippa zu tragen.
Wie wird es weiter gehen?
Schauen
Sie sich die Positionen der AfD an. Da gibt es einen Herrn Höcke,
dessen Äußerungen für uns als Gemeinde beängstigend sind. Es ist für
alle schlimm. Es sollte aber nicht nur die Jüdische Gemeinde betroffen
machen, sondern die gesamte Stadtgesellschaft.
Wie ist die Alterstruktur in der Jüdischen Gemeinde Frankfurt?
Wir
sind eine der jüngsten Gemeinden in der Bundesrepublik. Wir planen
gerade eine Party für Chanukka, das jüdische Lichterfest, bei der nur
die 18- bis 45-Jährigen eingeladen werden. Da haben wir 920 Einladungen
ausgesprochen. Gut ein Drittel bis 40 Prozent unserer Mitglieder ist
unter 45 Jahren alt.
Es gab in den 1990er Jahren eine starke Zuwanderung aus Russland und den ehemaligen Sowjetrepubliken, das ist aber zum Erliegen gekommen?
Ja. Es gibt nur noch wenige Ausnahmefälle.
Es gibt keinen Riss durch die Gemeinde wie in Berlin?
Nein,
überhaupt nicht. Wir haben keine Auseinandersetzungen wie in anderen
Großgemeinden wie Berlin. Es ist uns gelungen, aus den neuen und den
alten Mitgliedern eine Gemeinde zu formen. Wir haben eine hervorragende
Integrationsarbeit geleistet. Der Vorstand, die Gemeinde und
insbesondere auch die sogenannten alteingesessenen Gemeindemitglieder in
Frankfurt sind den neuen Gemeindemitgliedern immer mit großem Respekt
begegnet.
Am Sonntag werden in Frankfurt wieder sogenannte Stolpersteine verlegt, um an Menschen zu erinnern, die in die Todeslager verschleppt worden sind. Was halten sie grundsätzlich von dieser Form der Erinnerung?
Als die
ersten Stolpersteine verlegt wurden, fand ich es im ersten Augenblick
schwierig, dass auf den Namen buchstäblich herumgetrampelt wird. Als ich
dann die ersten Steine selbst gesehen habe, empfand ich das völlig
anders. Die Stolpersteine sind ein wesentliches Element der
Erinnerungskultur. Sie sind ein kleiner Stachel in der Stadtlandschaft.
Ich selbst bleibe stehen, schaue mir die Lebensdaten an. Ich bin davon
überzeugt, dass es auch anderen so geht und ihnen damit die Dimension
des Geschehens bewusst wird. Es ist eine sehr gute, wichtige Aktion. Sie
trägt die Erinnerung buchstäblich in die Straßen hinein.
Interview: Claus-Jürgen Göpfert