Göppingen: Neonazis machen Druck auf Gegner – Rechtes Schmierer-Theater

Erstveröffentlicht: 
24.11.2016

Der Journalist Andreas Scheffel wird seit drei Jahren immer wieder von Neonazis bedroht und belästigt – er ist nicht der Einzige. Jetzt geht Scheffel an die Öffentlichkeit.

 

An seinem Geburtstag im Mai klingelte es morgens an der Tür von Andreas Scheffel. Aufgeregte Nachbarn brachten ihm Zettel mit seinem Konterfei, eine Art Steckbrief. „Sie wollten wissen, was denn los sei“, erzählt er: Mutmaßlich rechte Täter hatten in der Nacht im ganzen Stadtteil Zettel auf Stromverteilerkästen und Mauern geklebt. Darauf war das Facebook-Profilbild des Foto- und Video-Journalisten zu sehen, darunter sein Name und „Wir beobachten Dich!“ Am Abend erhielt er eine SMS: „Wir haben auch an Dich gedacht. Viele Grüße an Deine Frau und Deine Kinder. Wir beobachten Dich!“

 

Wieder einmal erstattete Scheffel Anzeige gegen Unbekannt. Der Journalist geht davon aus, dass Mitglieder oder Sympathisanten der inzwischen verbotenen Autonomen Nationalisten Göppingen (ANGP) die Steckbriefe verteilt und die SMS verschickt haben. Wieder einmal. 

 

Die Belästigungen nehmen wieder zu


Eine Zeit lang sei es ruhiger gewesen, erzählt der Göppinger. Doch seit klar sei, dass das Verfahren gegen die früheren ANGP-Anführer neu aufgerollt werde und die Männer aus der Untersuchungshaft entlassen seien, nähmen die Aktionen wieder zu. So warfen Unbekannte, wie berichtet, jüngst in der Nacht mit Teerfarbe gefüllte Christbaumkugeln gegen Scheffels Haus. In der Nachbarschaft verteilten sie Sticker der rechtsextremen Kleinstpartei „Der dritte Weg“, bei der die früheren ANGP-Anführer untergekommen sind. Auf einen Stromverteilerkasten sprühten sie: „Scheffel, Du Bastard.“

 

Das Haus des Kreisvorsitzenden der Linken, Thomas Edtmaier, wurde in der gleichen Nacht ebenfalls mit Teerfarbe beschmutzt. Außerdem verteilten die Täter weitere Steckbriefe, diesmal mit dem Bild und der Adresse eines Bürgers, der sich im Internet gegen rechts wendet, wieder mit den Worten „Wir beobachten Dich!“ Der Zeitpunkt der Aktion war wohl nicht zufällig gewählt: Edtmaier sagte tags darauf bei einem Revisionsprozess gegen Mitglieder der Szene aus. „Ich nehme an, das war als Einschüchterung gedacht“, erklärt er.

 

Neonazis lärmen vor der Haustüre


Angefangen hat alles mit einem „roten Teppich für Toleranz“, den das Bündnis Kreis Göppingen nazifrei im März vor drei Jahren auf dem Marktplatz ausgerollt hat. An einem Infostand warben die Mitglieder für ein friedliches Miteinander und stellten sich gegen Neonazis; mit dabei war auch Edtmaier. Scheffel war für einen Bericht dort. Mitglieder der ANGP stürmten damals auf den Stand zu, zerrissen ein Banner und verletzten Edtmaier. Danach seien zwei Neonazis auf ihn losgegangen, erzählt Scheffel. Sie hätten nach ihm geschlagen und versucht, ihm seine Kamera zu entreißen. Scheffel und Edtmaier zeigten die Täter an und sagten vor Gericht gegen sie aus.

 

„Seither versuchen die Neonazis, Druck auf mich auszuüben“, erzählt Scheffel. „Und auf Edtmaier auch.“ Einige Monate nach dem Vorfall sammelte sich Scheffel zufolge etwa ein Dutzend Personen vor seinem Haus und skandierten rechte Parolen. Als er bei der Polizei angerufen habe, habe er die Auskunft erhalten, dagegen lasse sich nichts tun. Er solle halt im Haus bleiben. 

 

Drohungen auf dem Handy


Ob sich der Vorfall tatsächlich so zugetragen hat, kann der Polizeisprecher Rudi Bauer heute nicht mehr bestätigen. Da Scheffel nur noch wisse, dass sich der Vorfall 2013 oder Anfang 2014 zugetragen habe, könne kaum noch nachvollzogen werden, was damals genau passiert sei, sagt Bauer. „Bei der Polizei gehen ja jeden Tag sehr viele Anrufe ein.“ Grundsätzlich könne die Polizei in so einem Fall natürlich aktiv werden. „Die Polizei kann dorthin fahren und Platzverweise aussprechen.“

 

Seit dem Angriff auf den Infostand pflastern Unbekannte die Nachbarschaften von Scheffel und Edtmeier immer wieder mit Stickern, früher der ANGP, jetzt des Dritten Wegs. „Ich habe die Aufkleber regelmäßig überall, wo sie sich hinkleben lassen: am Briefkasten, an der Garage, an der Türe. Das heißt, die Täter kommen nachts auf mein Grundstück“, erzählt Scheffel. Immer wieder finden sich in den Straßen Schmierereien mit Beleidigungen. Auf seinem Handy gingen SMS mit Drohungen ein. 

 

Belastung für Frau und Kinder


Der Fotojournalist, der aus Kriegsgebieten berichtet und sich im nationalen Bereich vor allem der Berichterstattung über Demonstrationen von rechts und links widmet, lässt sich nicht einschüchtern. Aber für seine Frau und die vier Kinder seien die Vorfälle eine Belastung, berichtet er.

 

Deshalb hat er sich nun an die Medien gewandt, einen Bericht an die Plattform beobachternews.de weitergegeben und sich an die Journalistengewerkschaft DJU gewandt. Er befürchte, sagt er, dass das Neonazi-Problem in Göppingen bagatellisiert werde. Aus seiner Sicht täten die Stadt und die Bürger zu wenig, um sich den Umtrieben entgegenzustellen. Immerhin sei es erst vor Kurzem zu einer Störung der Gedenkfeier zur Reichspogromnacht gekommen (wir berichteten), und in den vergangenen Monaten seien immer wieder Neonazis in der Stadt aufmarschiert.

 

Im Rathaus will man den Vorwurf nicht auf sich sitzen lassen. Die Stadt verfolge eine konsequente Politik gegen Neonazis und andere Extremisten, sagt der Oberbürgermeister Guido Till. Die Antifa, die sich schon in der Vergangenheit immer wieder zu Vorfällen in Göppingen zu Wort gemeldet hat, will nun ihrerseits wieder einmal aktiv werden: Am 3. Dezember veranstaltet sie eine Kundgebung in der Unteren Marktstraße. 

 

In der Zwickmühle – die Sicht der Stadtverwaltung:


Göppingen - Wenn Göppingen wie jüngst in der Lokalzeitung als „Wohlfühlort für Rechtsextremisten“ bezeichnet wird, steigt bei dem Oberbürgermeister Guido Till der Blutdruck. „Das ist einfach nicht wahr“, sagt er. Auch der Vorwurf des Journalisten Andreas Scheffel, die Stadt bagatellisiere rechtsextreme Umtriebe und nehme die Sorgen von Bürgern nicht ernst, sei falsch. „Wir verfolgen eine konsequente Strategie gegen Extremisten“, erklärt er. „Und wir nehmen das Problem sehr ernst.“

 

Der Rathauschef und seine Mitarbeiter haben das gleiche Problem wie die Polizei: Einerseits gilt es, nichts zu beschönigen, andererseits will man Neonazis nicht mit mehr Aufmerksamkeit belohnen, als nötig. Denn zu viel Aufmerksamkeit, so befürchten viele, könnte die Täter bestärken. Schließlich sei es das, was sie suchten. 

 

Strategie aus Strafverfolgung und Prävention


Göppingen sei eine friedliche Stadt, und das Miteinander der Kulturen gelinge, sagt Till. Von den bekannten Rechtsextremisten, vor allem den Anführern der inzwischen verbotenen Autonomen Nationalisten Göppingen (ANGP), wohne kein einziger in der Stadt. Sie hätten die Stadt zu einem Ziel für ihre Aktionen gemacht, weil sie dort Schlagzeilen produzieren könnten.

 

Das „Göppinger Modell“ wie Till die Strategie der Stadt nennt, besteht seinen Worten zufolge aus einer engen Kooperation mit der Polizei, der konsequenten Verfolgung von Straftaten und vielen Veranstaltungen zur Prävention. „Wir können die Extremisten kaum zum Ausstieg bewegen, aber wir wollen verhindern, dass andere auf ihre Parolen hereinfallen“, sagt Till. Der Versuch, rechtsextreme Infostände oder Demonstrationen zu verbieten, scheitere leider meist am Demonstrationsrecht. 

 

Der Bauhof wischt hinter Neonazis her


Die Stadt habe auch auf die jüngsten Vorkommnisse reagiert: Der runde Tisch gegen rechts werde im kommenden Jahr wieder einberufen, bei künftigen Gedenkveranstaltungen werde der Gemeindevollzugsdienst Störungen verhindern. Außerdem würden rechte Schmierereien konsequent vom Bauhof entfernt. „Wer etwas entdeckt, kann das beim Bauhof melden.“ Von Schmierereien sind übrigens nicht nur immer wieder Bürger betroffen, auch die Redaktion unserer Zeitung entfernt regelmäßig rechte Sticker von ihrem Briefkasten, jüngst wischte sie den Schriftzug „Lügenpresse“ von einer Schaufensterscheibe neben dem Eingang.

 

Bei der Kinder- und Jugendreferentin der Stadt, Ulrike Haas, laufen die Fäden zum Thema Prävention zusammen. „Wir verfolgen die Szene sehr genau und tauschen uns mit Fachleuten aus“, berichtet sie. Ein Sozialarbeiter lasse sich derzeit zum Extremismusberater weiterbilden. Außerdem habe die Stadt weitere Zuschüsse aus dem Bundesprogramm „Demokratie leben“ beantragt. Damit würden unterschiedlichste Präventionsprogramme und Projekte finanziert, um Jugendliche fit für die Demokratie zu machen.