Der V-Mann des Verfassungsschutzes im rechten Milieu starb wie er gelebt hatte: unter reichlich seltsamen Umständen. War gar Rattengift im Spiel? Der Bundestags-Untersuchungsauschuss will es wissen.
Der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages tagt inzwischen seit über einem Jahr, und eines steht fest: Die meisten Fragen wirft noch immer das Verhalten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) auf. Im Amt verschwanden nach der Selbstenttarnung der rechten Terrorgruppe Akten, zudem führte der Geheimdienst diverse V-Männer – Informanten aus der rechten Szene –, die dem Nationalsozialistischen Untergrund sehr nahe kamen.
Ein V-Mann des Amtes soll zeitweise Uwe Mundlos beschäftigt und regelmäßig Kontakt zu Beate Zschäpe gehabt haben. Ein anderer V-Mann sagt inzwischen von sich selber, dass er den NSU hätte stoppen können, weil er 1998 gebeten worden sei, die flüchtigen Mundlos, Zschäpe und Böhnhardt unterzubringen. Er hätte das BfV sofort über die Chance, das Trio zu schnappen, informiert. Der Verfassungsschutz hätte jedoch nichts getan.
Der Inlandsgeheimdienst bestreitet diese Version der Dinge. Ausgerechnet ein Teil der Akten dieses V-Manns ist jedoch unmittelbar nach der Selbstenttarnung des NSU im BfV vernichtet worden.
Ein dritter V-Mann besorgte dem Verfassungsschutz zudem 2005 eine CD, auf der ein Cover gespeichert war. Darauf war die Zeile „NSU/ NSDAP“ und daneben eine Waffe abgebildet. Ein Text auf der CD besagte, dass „der Nationalsozialistische Untergrund der NSDAP“ die CD verbreitet habe. Das BfV behauptet bis heute, dass die merkwürdige CD nichts mit dem eigentlichen NSU zu tun habe.
Es könnte auch Rattengift im Spiel gewesen sein
Doch gerade in diesem Punkt will sich der Untersuchungsausschuss des Bundestages nicht mit solchen Antworten zufriedengeben. Denn ausgerechnet der V-Mann mit dem Tarnnamen Corelli, der die CD einst dem Amt überbrachte, starb im April 2014, während das BfV ihn in einem Schutzprogramm betreute. Wenige Monate zuvor war der Rechtsextremist als V-Mann enttarnt worden.
Die Umstände des Todes von Corelli, der bürgerlich Thomas Richter hieß und aus Halle an der Saale stammte, schienen zunächst eindeutig: Er war an einem diabetischen Schock gestorben, da eine Zuckererkrankung zuvor nicht erkannt wurde. So lautete das unmissverständliche Urteil des Gutachters, den die zuständige Staatsanwaltschaft Paderborn hinzugezogen hatte.
Doch mehrere Monate später sagte ebenjener Gutachter vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Landtages in Düsseldorf aus – und gab zu bedenken, es bestehe zumindest die Möglichkeit, dass so ein Schock durch die Zuführung eines Rattengifts ausgelöst werden könne. Das sei zwar unwahrscheinlich, aber theoretisch denkbar.
Staatsanwaltschaft nimmt das Verfahren wieder auf
Die Staatsanwaltschaft war ob der Kehrtwende des Gutachters überrascht, nahm das Verfahren wieder auf und ordnete ein toxikologisches Gutachten der Gewebeproben des verstorbenen V-Mannes an. Das ist nun fünf Monate her. Und noch immer gibt es kein eindeutiges Ergebnis, wie die „Welt“ aus Sicherheitskreisen erfuhr.
Offenbar lagen für eine Untersuchung auf sogenannte Auto-Antikörper nicht mehr genügend geeignete Gewebeproben Corellis vor. Durch die Analyse von Auto-Antikörpern ließe sich feststellen, ob die Diabetes-Erkrankung auf natürlichem Wege erfolgte. Nun rächt es sich, dass die Staatsanwaltschaft nicht sofort den Todesfall umfassend aufgeklärt hat.
Ersatzweise greift man nun auf ein weiteres Verfahren zurück, bei dem man Gewebe aus der Bauchspeicheldrüse untersucht. Seltsam ist auch dies: Führende Mitarbeiter des BfV wollten Corelli eigentlich einäschern und unter falschem Namen begraben.
Nach der überraschenden Aussage des Gutachters in diesem Sommer verkomplizierte sich die Lage in Sachen Corelli zudem weiter: Das Bundesamt musste zugeben, dass der V-Mann-Führer von Corelli, Günter B., mehrere Handys des Spitzels im Panzerschrank seines Büros gebunkert hatte – ohne seine Vorgesetzten darüber zu informieren.
Handys im Panzerschrank enthielten keine Informationen
Der Bundestag gab ein Sondergutachten in Auftrag, das im Ergebnis festhielt, dass auf den Handys keine Informationen etwa über den NSU oder dessen Mitglieder gespeichert waren. Das Verhalten des V-Mann-Führers blieb dennoch unerklärlich. Der Ausschuss erhofft sich nun von diesem Mann – Günter B. – Antworten, wenn er am Donnerstag im Bundestag aussagt.
Doch Günter B. hat nicht nur Corellis Handys den Strafverfolgungsbehörden vorenthalten, jüngste Aussagen von Zeugen im Ausschuss, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit gehört wurden, werfen die Frage auf, welche Ziele Günter B. wirklich verfolgte. So bot er nach der Enttarnung Corellis an, mit dem V-Mann in eine Wohnung zu ziehen, um dort gemeinsam mit dem Spitzel zu leben und ihn so, angeblich, zu schützen.
Als die Abteilung im Bundesamt, die für den Schutz von Personen zuständig ist, den Fall übernahm, drang der V-Mann-Führer Günter B. immer wieder darauf, bei Treffen mit dem ehemaligen Spitzel Thomas Richter dabei zu sein. Eine Ex-Soldatin, die im BfV für den Schutz von Richter zuständig war, sagte dem Untersuchungsausschuss, das Verhältnis des V-Mann-Führers zum Ex-V-Mann sei „schwierig“ und „allemal ungewöhnlich“ gewesen, da er ständig den Kontakt zu Richter gesucht habe.
Ist nämlich ein ehemaliger V-Mann in einem Schutzprogramm, soll der Kontakt zwischen V-Mann-Führer und Informant, so die Zeugin, eigentlich „zeitnah beendet“ werden. Bei Günter B. und Thomas Richter war das bis unmittelbar vor dem Tod des Informanten nicht der Fall.
Corelli war auch im Ausland untergebracht
Die Aussagen der Personenschützerin werfen noch weitere Fragen auf. Bislang war bekannt, dass Corelli vom BfV zeitweise im Ausland untergebracht worden war, etwa in den Niederlanden. Am Ende starb er in Paderborn, in einer Zeitmietwohnung. Die verblüfften Abgeordneten erfuhren nun von der Personenschützerin, dass Corelli zunächst in Osnabrück lebte, als er schon offiziell im Schutzprogramm des BfV war.
Zudem hatte er ein Auto mit Osnabrücker Kennzeichen unter seinem Namen angemeldet und musste dann nur umziehen, weil ihm die Osnabrücker Wohnung wegen Eigenbedarfs gekündigt wurde. Er suchte sich dann selber das Apartment in Paderborn. Das BfV hatte keine Einwände. Klandestin geht anders.
Dieser Vorgang wirft auch deswegen Fragen auf, weil Richters V-Mann-Karriere damit begann, dass er über Meinolf Schönborn berichtete, einen ehemaligen Offizier der Bundeswehr, der noch heute in der rechten Szene aktiv ist und immer wieder mit militanten Gruppen in Verbindung gebracht wird.
Jener Schönborn lebt bei Bielefeld, das wiederum liegt genau zwischen Paderborn und Osnabrück, den Wohnorten des V-Mannes im Schutzprogramm. Schönborn hatte Thomas Richter alias Corelli schon zu Anfang von dessen V-Mann-Karriere im Visier, er ließ Steckbriefe in der rechten Szene verteilen, auf denen Richter als Spitzel gebrandmarkt wurde.
Mitarbeiter des Bundesamts dürfen keine Vorgänge vertuschen
Ausgerechnet in Schönborns Nachbarschaft wollte Richter also nach seiner Enttarnung ziehen, und das Amt ließ es zu. Das verwundert umso mehr, als dass er zum Ende seiner V-Mann-Karriere vor allem in Nordrhein-Westfalen, in Dortmund, eingesetzt war – die angeblich von Corelli eigenständig gewählten Wohnorte sind auch darum nicht gerade sicher oder ein wirklicher Neuanfang.
Ob das BfV tatsächlich inkompetent ist und seine Ex-Mitarbeiter nicht schützen kann oder will – oder ob Corelli auch nach seiner offiziellen Abschaltung weiter Informationen für das Amt oder seinen V-Mann-Führer Günter B. liefern sollte, will nun der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages klären. Ob der V-Mann-Führer dabei helfen wird, ist fraglich. Er soll sich schon bei internen Untersuchungen im BfV wenig kooperativ gezeigt und auf eine Erkrankung verwiesen haben. Er ist wie sein ehemaliger V-Mann zuckerkrank.
Für Mitarbeiter des Bundesamtes hat sich allerdings die Ausgangslage seit letzter Woche geändert. Wenn sie zu offensichtlich Vorgänge vertuschen, drohen ihnen strafrechtliche Konsequenzen. Erstmals hat nun eine Staatsanwaltschaft Ermittlungen in einem solchen Fall angestrengt.
Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Lothar Lingen
Es geht dabei um einen Kollegen von Günter B. aus dem BfV. Der Mann mit dem Tarnnamen Lothar Lingen hatte im November 2011 unter anderem die Akten von Thüringer V-Männern vernichten lassen. Darunter waren Informationen über den V-Mann mit dem Decknamen Tarif. Der behauptet inzwischen, er hätte den NSU stoppen können, weil ein Helfer des Trios ihn um einen Unterschlupf für die drei gebeten habe.
Lingen wurde wegen der Aktenvernichtung von Anwälten der NSU-Opferfamilien angezeigt, unter anderem weil er in einer Aussage gegenüber der Bundesanwaltschaft zugegeben hatte, dass die Vernichtung der Akten vorsätzlich erfolgt war – er habe dem Amt Arbeit und unangenehme Fragen ersparen wollen. Informationen über den NSU habe man jedoch nicht gehabt.
Die zuständige Kölner Staatsanwaltschaft hatte trotz der Aussage bei der Bundesanwaltschaft Ermittlungen zunächst abgelehnt. Lingen hatte am 11. November 2011 durchgesetzt, dass die V-Mann-Akten vernichtet werden. Für diese Schredderaktion wird Lingen jedoch nicht mehr belangt, da der Vorgang seit diesem November verjährt ist. Ausgestanden ist die Sache für Lingen jedoch nicht.
In mehreren Schreiben hat die Kölner Generalstaatsanwaltschaft festgestellt, dass nun doch gegen Lingen ermittelt wird. Unter anderem hatte die Generalstaatsanwaltschaft Dorothea Marx von der SPD geschrieben, die den NSU-Ausschuss in Thüringen leitet. Sie hatte dringend Ermittlungen gegen Lingen angemahnt, da die Akten auch Thüringen betreffen.
Nur wegen einer Akte wird gegen Lothar Lingen ermittelt
In den Schreiben an Marx begründet die Staatsanwaltschaft ausführlich, dass sie Lingen glaubt, dass es bei der Vernichtung der ersten Akten nur darum gegangen sei, Arbeit zu vermeiden. Zudem habe er nicht gegen interne Vorschriften verstoßen.
Allerdings wurde Lingen einige Tage nach der ersten Schredderaktion von einer Kollegin darauf aufmerksam gemacht, dass noch eine Akte des V-Mannes Tarif aufgetaucht sei. Die ließ Lingen auch schreddern, obwohl die Führung des BfV zuvor ausdrücklich angeordnet hatte, keine weiteren Aken zu vernichten.
Wegen dieser einen Akte – und nur wegen dieser einen Akte – wird nun gegen Lingen ermittelt. Es ist tatsächlich das erste Mal, dass eine Staatsanwaltschaft im NSU-Komplex gegen einen Verfassungsschützer wegen einer möglichen Vertuschungsaktion ermitteln lässt und ihn zumindest zeitweise als Beschuldigten führt.
Untersuchungsausschuss des Bundestags bleibt dran
Irene Mihalic, Obfrau von Bündnis 90/Die Grünen im NSU-Ausschuss im Bundestag, ist „sehr froh“ über die Ermittlungen, aber sie betont, dass ein Verfahren schon viel früher möglich gewesen wäre, „wenn die Bundesanwaltschaft ihre Information zur vorsätzlichen Vernichtung von Akten nicht seit 2014 zurückgehalten hätte“. Erst der Untersuchungsausschuss des Bundestages hatte diesen Vorgang aufgedeckt.
Mihalic sagt, dass der Untersuchungsausschuss nun weiter der Frage nachgehen wird, „ob Lingen eigenmächtig handelte oder ob er im Namen und Auftrag des Bundesamtes schredderte“. Und Dorothea Marx aus Thüringen hält es weiterhin für einen großen Fehler, dass die Staatsanwaltschaft nicht wegen aller vernichteten Akten gegen Lingen ermittelt hat.
Ob die späte Entscheidung der Staatsanwaltschaft Köln Eindruck auf die Verfassungsschützer macht, wird vielleicht die Vernehmung des wundersamen V-Mann-Führers Günter B. zeigen, der sich bis zu dessen Tod gegen jede Regel unbedingt um seinen Spitzel Corelli kümmern wollte.