„Wir nehmen keine Flüchtlinge“

Erstveröffentlicht: 
12.11.2016

Die syrische Flüchtlingsfamilie Sido muss sich in Dresden eine neue Wohnung suchen. Dabei hat sie mit einigen Widerständen zu kämpfen.

 

Irgendwann werden sie ihr erstes richtiges Zuhause in Dresden wieder verlassen müssen. Das war Familie Sido aus dem syrischen Aleppo schon im April klar, als sie hier einzogen. Doch inzwischen fühlen sie sich im Plattenbau im Süden der Stadt sehr wohl. Aber wer seine Aufenthaltsgenehmigung erhalten hat, wird nicht mehr von den Sozialämtern der Kommunen unterstützt, sondern über die Jobcenter. Das bedeutet, dass viele Flüchtlinge, die vor einem Jahr Deutschland erreicht haben, gerade im Umzugsstress sind. Finanziell sind die vielen Umzüge ein Nullsummenspiel. Aber die Regeln sind halt so.

 

Im Juli teilte die Stadt Dresden der Familie offiziell mit, dass sie auf Wohnungssuche gehen möge. Das Rathaus will die Zahl der von ihr bezahlten und eingerichteten Wohnungen deutlich reduzieren. Und Roshan hatte ja bereits ihre Aufenthaltsgenehmigung erhalten, ihr Mann Rozan wartete jeden Tag darauf. Also überlegten die Sidos, wie sie das Lästige des Umzugs mit dem Nützlichen verbinden könnten. Ihre Zweiraumwohnung ist für die vierköpfige Familie inzwischen ohnehin zu klein geworden. Außerdem fährt Rozan jetzt täglich quer durch die ganze Stadt, um seinen Deutschkurs zu besuchen. Seine Frau Roshan würde da auch gern hin – wenn denn die Wohnung näher wäre. 

 

Dresden will Geld sparen


Sollte das klappen, könnte er den Vormittagskurs besuchen, sie den am Nachmittag. Mittags würden sie sich bei der Kinderbetreuung abwechseln. So könnten sie im Sommer nächsten Jahres beide ihre Deutschkurse beenden und bereit sein für den Arbeitsmarkt. Er würde gern wieder als Elektriker arbeiten, sie denkt jetzt darüber nach, vielleicht Krankenschwester zu werden. Soweit ihr persönlicher Integrationsplan.

 

Ein erster Blick im August in die einschlägigen Immobilienportale macht Mut. Dreiraumwohnungen im Dresdner Norden gibt es durchaus. Erster Anruf im Immobilienbüro von Frau Hähle. Flüchtlinge? „Die Eigentümer tun sich schwer“, meint sie. Aber Frau Hähle hat Verständnis, will den Fall konkret geschildert haben und es dann beim Eigentümer der gewünschten Wohnung versuchen. Sie ruft später zurück: Leider, es geht nicht.

 

Nächster Anruf bei „Zweite Streik Real Estate GmbH“. „Flüchtlinge? Nein, das macht der Eigentümer nicht“, erklärt der Makler. Warum? „Wir nehmen Mieter nur mit Festanstellung.“ Aber das Jobcenter zahlt doch sicher die Miete. „Nein, das macht der Eigentümer nicht.“ Nächster Versuch. Die DIMAG Verwertungsgesellschaft lehnt immerhin nicht grundsätzlich ab. Sie hat aber eine „absolute Bedingung“: Ein deutscher Bürge muss in den Mietvertrag aufgenommen werden.

 

Schließlich versuchen wir es im Immobilienbüro von Rudi Edmeier aus dem bayerischen Deggendorf, vielleicht zeigt er sich offener als die Dresdner, die wenig Erfahrungen mit Ausländern haben. Das Büro verfügt über mehrere Wohnungen auf der Großenhainer Straße, nicht gerade in einer Traumlage. Der hiesige Makler bietet unkompliziert Besichtigungstermine. Bis er erfährt, dass es sich um Flüchtlinge handelt. „Nein, die will ich nicht“. Aber es geht bei den Sidos doch um eine ausgesprochen nette und kultivierte Familie. „Das interessiert mich nicht.“ Hat er denn so viele negative Erfahrungen gemacht? „Wollen wir jetzt eine politische Diskussion führen?“ Eine Anfrage per Mail an Herrn Edmeier, ob er prinzipiell nicht an Flüchtlinge vermietet, bleibt unbeantwortet.

 

Nach zehn vergeblichen Versuchen geben wir auf. Kein einziger privater Vermieter war bereit, Familie Sido wenigstens zum Gespräch und zum Besichtigungstermin einzuladen.

 

Bleibt die große Wohnungsgesellschaft Vonovia, die in Dresden auch viele Plattenbauwohnungen vermietet. Sie gilt in Flüchtlingskreisen als zugänglich. Anruf im zentralen Callcenter der Vonovia. Die Mitarbeiterin ist freundlich und hilfsbereit. Rasch hat sie eine WBS 70-Wohnung in der Neustadt gefunden, wir bekommen die Adresse zur Besichtigung. Schon am nächsten Tag zeigt uns die Vormieterin ihre Wohnung, will den Sidos gleich ihre kleine Einbauküche schenken und diverse Einbauten dazu. Roshan und Rozan sind happy. Die Dreiraumwohnung liegt zwar an einer lauten Ausfallstraße – macht den beiden aber nichts. Sonst passt es: Sie können zu Fuß in die City, in die Neustadt, die Elbe ist nah, die Schule auch. Und die Wohnung ist nicht mal teuer. Die Sidos haben schon mal ausgerechnet, ob sie die sich auch noch leisten können, wenn sie die Miete selbst verdienen müssen. Es müsste gehen.

 

Alles klar? Leider überhaupt nicht. Denn jetzt kommen die Behörden ins Spiel. Das Jobcenter muss schriftlich die Kostenübernahme bestätigen und es braucht einen Wohnberechtigungsschein vom Sozialamt. Kein Problem, das dauert etwa zwei Wochen. Aber Vonovia will eine Aufenthaltsgenehmigung von mindestens einem Jahr sehen. Roshan hat eine, die ist aber schon ein halbes Jahr alt. Sie wird nicht akzeptiert. Und Rozan wartet nun schon ein Jahr vergeblich auf Post von der Ausländerbehörde. Er hat nur eine Aufenthaltsgestattung.

 

Vonovia kommt der Familie trotzdem entgegen und reserviert die Wohnung erst einmal – sie müssen aber rasch alle Papiere beschaffen. Die Sidos und ihre Sozialbetreuerin setzen alle Hebel in Bewegung und laufen von einem Amt zum anderen. Immer ist das mit stundenlanger Warterei verbunden. Aber die Aufenthaltsgenehmigung dauert eben noch. Wie lange? Keine Auskunft. Die Flüchtlingsfamilie nimmt das alles klaglos hin, versteht es aber auch nicht wirklich. 

 

Alles noch mal von vorn


Ende September hat Vonovia dann keine Geduld mehr und storniert die Reservierung. Praktisch gleichzeitig flattert die offizielle Kündigung der Stadt Dresden für ihre Wohnung ins Haus. Was nun? Müssen sie jetzt wieder ins Heim? Die Sidos sind sehr traurig.

 

Im Oktober ändert sich die Situation von einem Tag auf den anderen: Rozan Sido erhält nach 13 Monaten Wartezeit endlich seine dreijährige Aufenthaltsgenehmigung. Damit wird nun hoffentlich alles leichter. Anruf bei Vonovia: Ist die Wohnung in der Neustadt noch zu haben? Leider nicht. Jetzt sind die Papiere da, die Wohnung ist aber weg.

 

Wir sollen nun ins Kundenbüro der Vonovia in der Albertstraße gehen, das seine Öffnungszeiten gerade deutlich erweitert hat. Vor Ort wird klar, warum. Es erwartet uns eine lange Schlange, die sich durch den Flur bis nach draußen windet. Alles Flüchtlinge, die es in die Neustadt zieht. Als wir endlich dran sind, gibt’s die freundliche, durchaus mitfühlende Auskunft: „Sie sehen ja, was hier los ist. Gegenwärtig können wir Familie Sido nicht ein einziges Angebot machen.“ Wir sollen immer Anfang des Monats anrufen, dann sind alle Wohnungskündigungen des Vormonats eingepflegt.

 

Anruf Anfang November im Callcenter. Die Agentin arbeitet mit einer Software, die bereits an der Telefonnummer erkennt, um welchen Fall es geht. „Die Aufenthaltsgenehmigung für Familie Sido ist da? Super.“ Sie hat da gleich drei Angebote.

 

Am nächsten Tag gehen wir wieder auf Besichtigungstour. Aber unser Optimismus verfliegt rasch. Die einzige bezugsfähige Wohnung ist gar nicht schön und liegt in der 5. Etage. Noch müssen beide Kinder getragen werden. Die anderen Wohnungen sind erst 2017 frei, wenn die Sidos längst ausgezogen sein müssen.

Am Montag der nächste Besichtigungstermin, diesmal doch wieder im Süden. Dort soll es noch wesentlich einfacher sein, eine Wohnung in Dresden zu finden. Und tatsächlich: Die freundliche Vonovia-Mitarbeiterin präsentiert eine schöne Dreiraumwohnung im Plattenbau, die gerade saniert wird. Hell, freundlich, ausreichend groß – sie kann schon am 30. November bezogen werden.

Wenn jetzt noch alle Behörden den richtigen Stempel finden ...