Eisenbahnstraße: Ratsfraktionen sind offen für Drogenraum

Erstveröffentlicht: 
15.11.2016
Auch CDU und AfD können sich einen Rückzugsort für Abhängige vorstellen
VON ANTON ZIRK

 

Leipzig. Hannover hat einen, Köln und Saarbrücken auch. Berlin hat zwei und Hamburg sogar fünf. Die Rede ist von Drogenkonsumräumen – öffentliche Einrichtungen, in denen Abhängige ihre mitgebrachten, illegalen Drogen konsumieren können. Bisher suchen Süchtige in Leipzig eine solche Möglichkeit vergeblich. Doch die Ratsfraktionen sind offen für einen Versuch.

 

Das Ziel der Räume ist laut der Deutschen AIDS-Hilfe ehrenwert: Durch hygienische Bedingungen solle das Risiko von Krankheiten wie Hepatitis oder HIV verringert werden, denn häufig sind verunreinigte Konsumutensilien der Grund für Übertragungen. Mit Unterstützung von medizinischem Personal könne auch die Gefahr von Überdosierungen gesenkt werden, heißt es auf einer Infoseite der AIDS-Hilfe.

 

Befürworter der umgangssprachlich als Fixerstuben bezeichneten Räume erhoffen sich aber auch Entspannung für die offenen Drogenszenen in Parks, Wohngebieten oder Bahnhöfen. Eine solche Szene besteht auch im Leipziger Osten. „Seitdem auf der Kreuzung Hermann-Liebmann-Straße/Eisenbahnstraße die Videoüberwachung installiert wurde und die Polizei noch präsenter ist, hat sich der Schwerpunkt auf den Köhlerplatz verschoben“, erklärt Matthias Schirmer vom Quartiersmanagement Leipziger Osten. Es gebe immer wieder Beschwerden – besonders über die herumliegenden Utensilien der Abhängigen. Spritzen und aufgeschnittene Aluminiumdosen, auf denen Crack oder Heroin verdampft wird, verschmutzen nicht nur die Umwelt, sondern stellen auch ein erhebliches Gesundheitsrisiko für Unbeteiligte dar. Besonders Familien, deren Kinder in den umliegenden Kitas und Schulen untergebracht sind, seien laut Schirmer in Sorge. Im Viertel gebe es deshalb immer wieder Stimmen, die sich für einen Drogenkonsumraum aussprechen.

 

Die Fraktionen im Stadtrat stehen dem Thema offen gegenüber. SPD, CDU und Linke sprachen sich deutlich für die Einrichtung aus. „Ich würde es begrüßen, wenn wir die Menschen so von der Straße kriegen“, sagt Achim Haas, Vize-Vorsitzender der CDU-Fraktion. Katharina Schenk von der SPD hält Konsumräume im Umfeld der Eisenbahnstraße für notwendig: „Ziel muss es zwar sein, dass die Menschen clean werden. Viele Abhängige sind jedoch wegen ihrer Suchterkrankung weit entfernt davon, frei über den Umgang mit Drogen zu entscheiden.“ Diesen Menschen müsse mehr Sicherheit gegeben werden.

 

Judith Künstler, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen im Stadtrat, sieht in der Idee nicht die ideale Lösung: „Wenn der Konsum an einem festgelegten, öffentlichen Ort stattfindet, besteht die Gefahr von Stigmatisierung. Außerdem ist Leipzig bei der Betreuung von Suchtkranken eigentlich gut aufgestellt, deswegen sollte die Stadt zum Beispiel in die Unterstützung von Kindern aus betroffenen Familien investieren.“ Gleichwohl werde sich die Grünen-Fraktion einer erfolgversprechenden Initiative für einen Drogenkonsumraum nicht entgegenstellen.

 

Die AfD-Fraktion hält das Thema für diskussionswürdig. Geschäftsführer Karl-Heinz Obser zeigte sich offen für ein Pilot-Projekt. Nur so ließe sich herausfinden, ob ein Konsumraum tatsächlich etwas bringt. Bedenken äußerte Obser dahingehend, ob sich Drogenabhängige aus der Anonymität herausbewegen würden.

 

Dass es funktionieren kann, glaubt Naomi-Pia Witte, die für die Linke im Drogenbeirat sitzt. Der Konsum sei durch einen offenen und sicheren Raum viel besser unter Kontrolle zu bekommen. Im Falle einer Einrichtung müsse laut Witte aber auch die Polizei mitspielen: „Wenn Abhängige reihenweise nach dem Konsum abgefangen werden, wäre niemandem geholfen.“ Deshalb müsse das Land Sachsen zunächst rechtliche Grundlagen schaffen. Derzeit wäre ein Konsumraum in Sachsen nicht zulässig.

 

Die Einrichtung erfordert laut dem Betäubungsmittelgesetz eine Erlaubnis der zuständigen obersten Landesbehörde. Vorher müssen die jeweiligen Landesregierungen jedoch durch eine Rechtsverordnung die Voraussetzungen festlegen, die für eine Erlaubnis notwendig sind – so geschehen beispielsweise in Hessen, Niedersachsen und Hamburg. In Sachsen gibt es keine solche Rechtsverordnung, die unter anderem die Mindestanforderungen in Sachen Ausstattung und medizinischer Betreuung regeln müsste.

 

Auf die aktuelle Gesetzeslage beruft sich auch die Suchtbeauftragte der Stadt Leipzig, Sylke Lein. Sie verwies in diesem Zusammenhang außerdem auf das Konzept zur Leipziger Sucht- und Drogenpolitk. Das 2014 erarbeitete Konzept beschreibt Angebote für Suchtkranke und klärt fachliche Fragen. Im Konzept und in einem Maßnahmenplan, der laut Lein aktuelle Entwicklungen in der Drogenszene berücksichtige, sei ein Drogenkonsumraum nicht vorgesehen.