Wie Antifa und Neonazis ihren politischen Kampf im Leipziger Derby austragen

Erstveröffentlicht: 
14.11.2016

31 Jahre hatte es gedauert, gestern war es so weit. Die BSG Chemie Leipzig und Lokomotive Leipzig trafen erstmals wieder unter ihren ursprünglichen Namen in einem Derby aufeinander. Mit 1:0 gewannen die Gäste der Lok in der Verlängerung. Aus „Angst vor dem deutschen Hooligan-Gipfel", wie die Welt vor dem Spiel noch titelte, wurde laut Spiegel ein „friedlicher Hassgipfel". Die befürchteten Krawallen im mit 4.999 Zuschauern ausverkauften Alfred-Kunze-Sportpark blieben aus. Aber der Schein trügt. Das brisanteste Derby Deutschlands kämpft schon längst auf einem anderen Schlachtfeld—dem politischen, und der dürfte noch brisanter werden.

 

Dass bundesweit über das fußballerisch uninteressante Viertelfinale im sächsischen Landespokal zwischen der fünftklassigen BSG und der viertklassigen Lok überhaupt berichtet wurde, hatte mit den Fans zu tun. Schon Wochen vor dem Duell der ehemaligen DDR-Spitzenteams schaukelten sich diese gegenseitig hoch. Maskierte Lok-Fans filmten sich beim Einbruch im Alfred-Kunze-Sportpark. Einige Chemie-Fans reagierten, indem sie Bilder auf einer Pornoseite unter dem Titel „Schwarze Männer kommen viel zu früh" hochluden. Die Lok-Anhänger stellten daraufhin einen 45-minütigen Gangbang-Porno mit dem Titel „Lok kommt lieber früh als gar nicht!" auf Youporn. Einer der „Protagonisten" trug darin einen Reichsadler auf einem schwarten T-Shirt. In der Woche vor dem Derby wurden zudem an zahlreichen Brücken und Straßen in drei Bundesländern etwa 30 grüne Strohpuppen „aufgehängt".

 

Die Duelle der Vorgängerklubs beider Vereine waren schon immer gewaltgeladen. Während sich in den 90er-Jahren vornehmlich Hooligans der verhassten Rivalen sinnlos die Köpfe einschlugen, kam Anfang der 2000er-Jahre zur sportlich-traditionellen auch eine politische Rivalität dazu, die bis heute strahlt. Das rechtsoffene Klientel nistete sich auch wegen fehlender Gegenmaßnahmen des Vereins bei Lok Leipzig ein und fing irgendwann an, die eigene Gesinnung auch offen herauszuposaunen: Beim Derby 2002 entrollten sie beispielsweise ein Banner mit der Aufschrift „Rudolf Heß—Bei uns rechts außen". Bei Chemie entwickelte sich mit einer linkspolitischen Ultraszene ein Gegenpart.

 

Beim gestrigen Derby gab es laut Polizei keine Festnahmen, es blieb lediglich bei den üblichen Fan-Scharmützeln. Die Chemie-Fans präsentierten einen riesigen Schalteppich aus geklauten Lok-Fanartikeln und antworteten unter anderem per Spruchband auf die 14 Jahre alte Ansage der Lok-Fans um Hitlers Lieblingskumpel: „Rudolf Heß beim Lok-Public-Viewing rechts außen". Die Lok-Fans, die mit verteiltem Schmierfett im Gästeblock und mit „Nazi-Schweine"-Rufen begrüßt wurden, wurden ein Mal mehr ihrem Ruf gerecht: Sie präsentierten ein Banner mit der Aufschrift „Good Night Green White", auf dem zudem eine Figur mit „NS"-Aufdruck eine andere Person mit einem Stern zu Boden tritt. Außerdem waren offene Nazi-Parolen im Umlauf.

 

Die Polizei hatte in Zusammenarbeit mit den Vereinen und dem Leipziger Fanprojekt ein aufwendiges Sicherheitskonzept mit einer Sperrzone entwickelt, was wohl aufging. Den meistens Lok-Fans wurde zudem die Lust am Derby genommen: Etwa 150 polizeibekannte Lok-Anhänger wurden vor dem Spiel mit einem Aufenthaltsverbot belegt, was auch am Support im Auswärtsblock zu spüren war. Die Chemie-Fans um die im Verein einflussreiche Ultragruppe „Diablos" hatte zudem im eigenen Stadion nicht das Interesse an Krawalle. Da Verein und Fanszene sich näher stehen als bei vielen anderen Klubs wollte wohl auch niemand den „Hooligan-Gipfel" und den schlechten medialen Ruf des Derbys bestätigen. Stattdessen gab es außerhalb des Stadions einen Racheakt.

 

Während des Spiels wurde die Wohnung des bekannten regionalen Rechtsextremen Istvan R. zerstört. Ein Video des Einbruchs samt Bekennerschreiben tauchte noch am Abend auf dem Portal Indymedia auf. „Während R. vermutlich mit seinen Kameraden das Derby verfolgte, haben wir seinem Zuhause einen Besuch abgestattet", heißt es in dem Text. Auf dem Video verschaffen sich drei maskierte Täter mit einem Feuerlöscher Zugang zur Wohnung, versprühen Farbe und zerstören elektronische Geräte sowie Sanitäranlagen. Die Polizei erklärte der LVZ, dass der Geschädigte „dem politisch rechten Spektrum bzw. der Fußballszene zuzuordnen" sei. Ein eingerahmtes Hitler-Bild im Video untermauert dies.

 

Die Täter dürften zwar nicht direkt aus der Ultraszene von Chemie, sondern von der Antifa kommen, doch überschneiden sich beide Gruppen teilweise. Grund für den „Hausbesuch" sei laut Schreiben sein Mitwirken am Angriff von rechtsradikalen Hooligans—unter anderem von Lokomotive Leipzig—auf die Wolfgang-Heinze-Straße im Leipziger Szenekiez und linksalternativen Zentrum Connewitz am 11. Januar. Die gezielten gegenseitigen Angriffe und Racheakte dürften die Gewalt in Leipzig wohl weiter hochschaukeln—und immer mit dabei: der Fußball.

 

Von Fußball hat sich die Fan-Rivalität zwischen Chemie und Lok nicht erst am Sonntag immer weiter entfernt. Zwar wird von Vereinen und Beobachtern immer wieder beteuert, dass es auch moderate Lok-Fans und Chemie-Fans gibt, doch diese Anhänger sind lange nicht so gut organisiert. Auf dem Rücken zweier Klubs werden schon lange nicht mehr gewöhnliche Hooligankämpfe und Fanrivalitäten ausgetragen. Sowohl die Naziszene als auch die Antifa haben sich trotz oftmals fehlendem Fußballinteresse in den Fanszenen eingenistet und nutzen diese Bühne für ihre gewaltsamen Kämpfe.

 

Die politische Großwetterlage und das Erstarken rechter Kräfte in der eigentlich eher linksgeprägten Stadt dürften die aufgeladene Stimmung und damit leider auch die Gewalt weiter vorantreiben. Der Leipziger Fußball wird wohl weiter darunter leiden—denn die von vielen Fans erhofften Alternativen zu RB Leipzig kämpfen leider nur neben dem Platz um Bedeutung. Im Bekennerschreiben auf Indymedia wurde schon klargestellt: „R. ist nicht das erste und wird auch nicht das letzte Nazischwein sein, das für faschistische Organisation und Angriffe, wie den am 11.1. zur Rechenschaft gezogen wird."