Fremdenhass in Sachsen. Schaffen die das?

Erstveröffentlicht: 
05.11.2016

Bautzen, Freital, Dresden und ganz aktuell wieder Heidenau - Städte in Sachsen, die man mit Fremdenhass verbindet. Wie ist die Stimmung dort? Was denken Helfer, Flüchtlinge und AfD-Anhänger? Wir waren da und haben den Menschen zugehört.

 

Von Nicolai Kwasniewski

 

Wer im weiteren Umland von Dresden unterwegs ist, kennt viele Ortschaften aus den abendlichen Nachrichten: Bautzen, Hoyerswerda, Freital, Heidenau. Die Straßenschilder zeigen Namen, bei denen sich der Reisende an Meldungen über Brandanschläge, Hetze und Naziaufmärsche aus den vergangenen Monaten erinnert.

 

Und man muss nicht mal weit in die Vergangenheit zurückblicken. Ganz aktuell sind die Meldungen, auf die man gern verzichten würde. Und wieder dabei: Heidenau. Bei einer fremdenfeindlichen Attacke sind dort am Freitagabend drei Flüchtlinge aus Afghanistan verletzt worden. Drei junge Männer im Alter von 17 und 18 Jahren sind aus einer Gruppe von etwa 30 Leuten zunächst beleidigt und dann angegriffen worden. Die Polizei nahm später zwei Männer (18 und 20 Jahre) als Tatverdächtige fest. Gegen sie wird wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt.

 

Eine Reise durch die Region zeigt, dass die Grenzen zwischen Gegnern und Helfern verwischt sind: Flüchtlingshelfer entpuppen sich als besorgte Bürger, Flüchtlinge schimpfen über andere Asylbewerber und alle haben ähnliche Wünsche an die Politiker in ihrem Dorf, in ihrem Landkreis, in Deutschland, in Europa und weltweit. Und noch etwas haben sie gemein: das Gefühl, keiner hört mehr richtig zu.

 

Er kann Deutsch - und sieben weitere Sprachen


Auf halbem Weg zwischen Dresden und Bautzen liegt Bischofswerda. Anke Rölke ist dort Lehrerin am Goethe Gymnasium und setzt sich für Flüchtlinge ein. Ihr Engagement begann, nachdem sie im Ethikunterricht vor ein paar Jahren rassistische Äußerungen von Schülern gehört hatte. Ein Schock für die Lehrerin. Was tun? Reden, diskutieren, erklären? Das reichte ihr nicht. So knüpfte sie 2013 Kontakte in das örtliche Flüchtlingsheim. Die Schüler kamen regelmäßig in die Unterkunft, veranstalteten Spielenachmittage, Kinoabende oder Konzerte, verbrachten Zeit mit den Asylbewerbern, der Verein Schüler für Flüchtlinge entstand.

 

In Bautzen wird Rölke auf der Straße beschimpft, wenn sie mit Flüchtlingen unterwegs ist. Wenn ihr Verein für einen Ausflug einen Bus mieten will, lehnten die Unternehmen den Auftrag ab, sagt Rölke. Findet sich doch ein Bus, hämmerten an der Ampel schon mal Passanten gegen die Busscheiben, bis die Kinder anfangen zu weinen. Alltagsrassismus nennt Rölke das.

 

Rölke kontert mit deutschen Tugenden: "Wenn wir mit einer Gruppe von Flüchtlingen, vor allem mit Kindern, an Einheimischen vorbeikommen und im Chor 'Guten Tag!' sagen, freut das die Leute." Rölke ist eine kluge Frau - und total unprofessionell, wie sie selbst sagt. Ihr Fehler: Sie lasse sich von den Schicksalen der Familien, der jungen und alten Männer, die nach Bischofswerda und Bautzen kommen, berühren. Zum Beispiel von Ahmad Irshad aus Pakistan.

 

Irshad ist der Übersetzer für Rölkes Verein. Der 28-Jährige ist seit Anfang des Jahres in Sachsen, spricht schon recht gut Deutsch, dazu sieben weitere Sprachen. Auch er hat auf dem Bautzener Kornmarkt Ärger mit Deutschen gehabt. "Wenn es hier nur solche Leute geben würde, wäre ich vielleicht schon wieder gegangen." Er erlebe aber auch "so viel Liebe, Fürsorge, Menschlichkeit - das ist wichtiger als die Nazis".

 

Ahmad will dem Land, das ihn - vorläufig - aufgenommen hat, etwas zurückgeben. Er hat ein Cricket-Team gegründet, das er jeden Sonntag auf dem Gelände des MSV Bautzen trainiert. Glücklich sieht er auf dem Rasenplatz im Gewerbegebiet der Stadt aus. Die Spieler werfen, schlagen, laufen und sie lachen viel - eine Pause vom Nichtstun im Heim.

 

Irshad ist höflich, zurückhaltend, gut gekleidet. Er spricht viele Sprachen, engagiert sich für andere, ist interessiert. Und er hat einen Plan: ein deutsches Cricket-Team in internationale Wettbewerbe führen. Sollte das nicht klappen, kann er noch mehr: In der Heimat hat er studiert, unter anderem Informatik. Das Problem: Irshad kommt nicht aus Syrien, sondern floh aus Pakistan vor politischer Verfolgung, sein Bruder wurde bereits getötet - seine Asylchancen sind winzig.

 

Bürgerwehr gegen psychisch Kranken


Arvid Samtleben würde Irshad sicher gerne ausreisen sehen. Auch er ist ordentlich gekleidet, höflich und freundlich, aber er sitzt für die AfD in Arnsdorf im Stadtrat.

 

Der 46-Jährige hatte zuletzt Bekanntheit erlangt, weil Frauke Petry den demokratisch gewählten Samtleben von der Wahlliste streichen ließ. Im Gespräch äußert er sich zu dem Fall eines psychisch kranken irakischen Flüchtlings, der in einem Supermarkt im kleinen Arnsdorf randaliert hat. Die Polizei wurde gerufen, die ihn in die örtliche psychiatrische Klinik zurückbrachte - zwei Mal. Als der Flüchtling zum dritten Mal in den Supermarkt kam, griffen drei Bürger ein, die den schmächtigen Mann, der nach ihnen trat, schlugen, vor den Laden zerrten und dort mit Kabelbindern fesselten.

 

Samtleben vermittelt den Eindruck, er befürworte es, wenn Bürger das Recht auch mal in die eigene Hand nehmen. Später streitet er das ab, allerdings kann er den Wunsch nach einem Bürgerwehrverein verstehen: "Nachts gibt es hier in der Gegend überhaupt keine besetzte Polizeiwache mehr." Wenn man den Notruf wähle, komme der Streifenwagen - wenn überhaupt - aus einer der näheren Großstädte und brauche dafür bis zu einer Stunde.

 

Mehr Polizisten sind aber zu teuer - eine unbefriedigende Situation, wenn gleichzeitig Geld für Flüchtlinge da ist. Dabei gehe es gar nicht darum, sagt Samtleben, auch wenn er die Unzufriedenheit der Bürger unter anderem mit den kleinen Renten erklärt.

 

"Natürlich können wir eine Million Flüchtlinge dauerhaft unterhalten - keine Frage. Aber wollen wir das?" Gegenfrage: Wollen wir Kriegsflüchtlinge an unseren Grenzen abweisen? "Nein. Wenn da eine Mutter kommt, mit ihrem Kind im Arm, dann wird auch das Herz des härtesten Neonazis weich." Aber viele, sagt Samtleben, kämen doch nur aus wirtschaftlichen Gründen. "Und die jungen Männer sollen doch bitte in ihrem eigenen Land in den Krieg ziehen und nicht stattdessen unsere Soldaten und Soldatinnen."

 

Klare Regeln


Die Meinung des AfD-Mannes unterscheidet sich nicht so sehr von den Ansichten einiger Flüchtlingshelfer, wie die beiden Seiten sich vielleicht wünschen würden. Bei vielen mischen sich Skepsis und Kritik in die Hilfsbereitschaft. Viele waren selbst besorgt angesichts der schieren Menge von Menschen auf der Flucht und engagierten sich zuweilen nur, um ein Zeichen zu setzen: gegen die Fremdenfeindlichkeit der Nachbarn.

 

Der andauernde Konflikt zwischen Willkommensbündnissen und Ablehnung zermürbt Dörfer und Kleinstädte überall in Deutschland und vor allem in Sachsen. In Freital scheinen die Risse kaum noch zu kitten. In dem Dresdner Vorort hatte eine gut organisierte rechte Gruppe wochenlang Front gemacht gegen ein Erstaufnahmelager. Linke hatten sich dagegengestellt. Lange schaukelten sich beide Gruppen hoch. Im April dieses Jahres rückte die GSG 9 ein und nahm mutmaßliche Rechtsterroristen fest. Seitdem ist mehr oder weniger Ruhe in der 40.000-Einwohner-Stadt.

 

"Aber das kann jederzeit wieder aufflammen", sagt Stefan Vogl, Geschichtslehrer am örtlichen Gymnasium. Er ist im Willkommensbündnis Freital aktiv, jeden Mittwoch öffnet er die Sporthalle seiner Schule für Flüchtlinge. Seine Stadt ist gespalten: "Hier gibt es seit Langem Parallelgesellschaften. Keiner redet miteinander, aber alle übereinander." Eine Versöhnung hält er für möglich, nur müsse man dann eben miteinander reden.

 

Während Vogl über die schwierige Lage in Freital spricht, kommen laufend junge Flüchtlinge vorbei, die in die Sporthalle wollen. Jeder grüßt, jeder lächelt, jeder gibt artig jedem die Hand - ein kleines Stück deutscher Leitkultur. Nicht alle seien so vorbildlich, sagt Vogl: "Einige wollen keinen Deutschkurs machen, andere haben viel zu hohe Ansprüche." Von Anfang an müssten für die Flüchtlinge klare Regeln gelten, findet er, "das würde denen helfen, sich zu orientieren und den Einheimischen Sicherheit geben".

 

Hier kann er sein Leben nicht in die Hand nehmen


Aber auch Flüchtlinge, die sich an die Regeln halten, sind zuweilen enttäuscht: Zum Beispiel Ramy al Zoubi. Der 38-jährige Syrer ist seit dem Sommer 2012 in Freital, er hat Deutschkurse besucht, arbeitete sich nach oben. Vom Jobcenter wird er als Dolmetscher für die ankommenden syrischen Flüchtlinge vermittelt.

 

Er weiß, dass einige Freitaler gegen Flüchtlinge sind. Wenn die demonstrieren, "dann sitzen wir zu Hause und haben Angst", sagt al Zoubi. Irgendwie hat er aber auch etwas gegen Asylbewerber: "Viele, die hierherkommen, haben keinen Grund zu fliehen. In Algerien, Marokko, Tunesien, Albanien droht keine Gefahr."

 

Er sei vor dem Krieg aus Syrien geflohen - jetzt ist er zwar sicher, aber irgendwie in einer Sackgasse. In Syrien, sagt al Zoubi, hatte er viel Geld, besaß ein Hotel, hatte viele Angestellte. Jetzt würde er gerne wieder etwas aufbauen, ein Restaurant, ein Café, einen Autohandel. "Aber dafür brauche ich Kapital, das ich nicht bekomme." Er wirkt ratlos. Hier kann er sein Leben nicht in die Hand nehmen - in die alte Heimat wird er aber nicht zurückkehren. Seine Kinder gehen in Freital zur Schule, die älteste Tochter ist auf dem Gymnasium. "Für sie ist Syrien ein fremdes Land. Für mich ist Deutschland eine Heimat, genau wie Syrien."

 

Zweifeln und trotzdem helfen


Aber passt er wirklich hierher, nach Freital? Kerstin Mager-Baran kennt Ramy al Zoubi nicht, aber sie dürfte zweifeln. Die 44-Jährige ist selbst eine Zugezogene: Sie kommt aus Thüringen, ihr Mann aus Aachen. Sie äußert Verständnis für die Unterstützer von Pegida und sie glaubt nicht, dass die Flüchtlinge sich ernsthaft integrieren wollen.

Einerseits.

 

Andererseits ist die Inhaberin eines Tanzstudios Mitglied im Freitaler Willkommensbündnis, hat Integrationsprojekte konzipiert und in ihrem Haus eine syrische Flüchtlingsfamilie eineinhalb Jahre lang aufgenommen.

 

Sie hat ihre Jugend in der DDR verbracht, ihr Studium im wiedervereinigten Deutschland. Sie kennt das Gefühl, wenn sich eine Welt auflöst und sie glaubt, es zeige sich auch in Freital. Viele fühlten sich hier ungerecht behandelt: "Ungerecht behandelt zu werden, war das latente Gefühl jedes DDR-Bürgers, der in die westdeutsche Gesellschaft gedrückt wurde."

 

Grenzen der Integrationsbereitschaft


Höchstens 300 Flüchtlinge sind jetzt noch in Freital, eine überschaubare Zahl für eine 40.000-Einwohner-Stadt. Ist das jetzt zu schaffen? Ja, hört man in vielen Gruppen und auf der Straße, irgendwann schon.

 

Mager-Baran glaubt das zwar auch - sagt aber: "Es gibt Grenzen der Integrationsbereitschaft. Die Flüchtlinge sind dazu bereit, Deutsch zu lernen, eine Ausbildung zu machen und eine Arbeit anzunehmen - wirklich integrieren wollen oder können sie sich nicht." Ihr Beleg für die Schwierigkeiten: die syrische Familie, die sie aufgenommen hatte, ein Ehepaar aus Damaskus mit zwei kleinen Kindern.

 

Sehr gebildet seien die beiden, freundlich und aufgeschlossen, sagt Mager-Baran. Für den Mann hatte das Ehepaar Mager-Baran sogar eine Ausbildungsstelle als Baumaschinenführer organisiert - die er aber nicht beginnen wird.

 

Die Ehefrau, laut Mager-Baran die konservativere der beiden, fürchtete offenbar, in Freital nicht heimisch zu werden. Sechs Monate nachdem die Aufenthaltsgenehmigung ausgestellt war, packten die Syrer ihre Sachen. Sie zogen nach Pforzheim, wo ihre weitverzweigte Familie lebt. "Sie sind in die Parallelgesellschaft abgetaucht", sagt Mager-Baran. Sie ist bitter enttäuscht - im Kreis der syrischen Exilgemeinde ist die Integration beendet, bevor sie richtig begonnen hat.

 

Schaffen wir das nun noch? "Nein, wir schaffen es nicht, weil schon die deutsche Gesellschaft gespalten ist - wie sollen wir dann Hunderttausende Flüchtlinge integrieren?" Warum macht sie dann überhaupt noch so viele Integrationsprojekte? "Reine Notwehr!", ruft Mager-Baran und lacht. Sie muss los, ihre Flüchtlinge warten auf sie.