"Eine Hetzjagd hat nicht stattgefunden"

Erstveröffentlicht: 
02.11.2016
Rechtsextreme haben erneut Flüchtlinge in Bautzen angegriffen, offenbar drohten sie Asylbewerbern mit einer Waffe. Die Polizei widerspricht Beobachtern vor Ort.

 

In Bautzen sind erneut Rechtsextreme auf Flüchtlinge losgegangen. Ein Reporter von ZEIT ONLINE beobachtete, wie etwa 40 bis 50 Rechtsextreme am Holzmarkt der ostsächsischen Stadt zwei Flüchtlinge jagten.

 

Vorausgegangen war ein Zwischenfall am Dienstagabend gegen 19.15 Uhr wenige Straßen weiter, am Kornmarkt. Eine Gruppe von drei Geflüchteten und zwei Einheimischen hatte die Polizei gerufen: Die Gruppe sei von einem Rechtsextremen mit einer Pistole bedroht worden. Zunächst fanden die Beamten keine Beweise. Später in der Nacht wurde allerdings bei der Kontrolle eines 29-jährigen Verdächtigen eine Schreckschusswaffe sichergestellt. Ob es sich dabei um die Waffe handelt, mit der die Gruppe am Kornmarkt bedroht worden war, konnte die Polizei nicht bestätigen.

 

Ein Schüler, der zufällig vor Ort war, sagte ZEIT ONLINE, er habe ebenfalls beobachtet, wie sich die Gruppe Rechtsextremer auf den Weg Richtung Holzmarkt machte. Auch er schätzt, dass es zwischen 40 und 50 Rechtsextreme waren. "Haut ab", habe die Masse gebrüllt. Die Polizei widerspricht den Augenzeugenberichten in diesem Punkt und spricht lediglich von 10 bis 15 Personen. Sie bestätigt jedoch, dass die Gruppe auf die beiden Asylbewerber losging und sie über den Platz jagte. Übereinstimmend berichten Polizei und Augenzeugen weiter, dass einer der Geflüchteten bei der Verfolgungsjagd von seinem Fahrrad stürzte und mit einem Stein beworfen wurde. Beide Geflüchtete konnten entkommen. 

 

Die Polizei war zu dieser Zeit bereits mit mehreren Streifen vor Ort. Wie Augenzeugen gegenüber ZEIT ONLINE übereinstimmend berichten, haben die Beamten aber erst eingegriffen, nachdem die Situation bereits eskaliert war. Die Polizei widerspricht in einer Stellungnahme: "Durch den unmittelbaren Einsatz von Polizeikräften zerstreute sich die Gruppe und flüchtete über verschiedene Hinterhöfe." Die Beamten nahmen die Personalien von vier teils polizeibekannten jungen Männern auf. Zugleich bestreitet die Polizei die Beobachtungen, die unter anderem ZEIT ONLINE geschildert wurden: "Eine Hetzjagd, wie Medien bereits berichteten, hat nach bisherigen polizeilichen Erkenntnissen nicht stattgefunden." 

 

Polizei berichtet von aggressivem Flüchtling


Die Polizei berichtet zudem von Übergriffen durch einen Geflüchteten in Bautzen. Die beiden Gejagten sollen mit einem Libyer unterwegs gewesen sein, bevor sie angegriffen wurden. Der 20-Jährige soll einen 19-jährigen Bautzener "körperlich angegriffen haben". Als die Polizei ihn daraufhin kontrollierte, habe sie festgestellt, dass der junge Mann bereits mehrfach auffällig geworden war. Auch soll er zum Tatzeitpunkt alkoholisiert gewesen sein.

 

Zuletzt war die Lage im Stadtzentrum von Bautzen Mitte September eskaliert. Damals hatten rechte Jugendliche gleichaltrige Flüchtlinge durch Straßen gejagt. Vorausgegangen waren wechselseitige Provokationen der beiden Gruppen, die sich dort regelmäßig auf dem Kornmarkt treffen. Bautzen verhängte eine abendliche Ausgangssperre für die minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge. Die Polizei verstärkte ihre Präsenz.

 

Tage später demonstrierten in der Stadt zahlreiche Menschen gegen Rechtsextremismus und für Weltoffenheit und Toleranz. Anfang Oktober versammelten sich dann Neonazis in der Stadt zu einer Demonstration. Oberbürgermeister Alexander Ahrens hatte sich vor dieser Veranstaltung resigniert geäußert und gesagt, Gegendemonstrationen und Lichterketten seien "kein brauchbares Mittel".  

 

Am 27. Oktober hatte sich Ahrens mit Mitgliedern rechter Gruppen getroffen. Er hatte nach den Auseinandersetzungen im September angedeutet, mehr über die Beweggründe und die Kritikpunkte der Rechten erfahren zu wollen. Für dieses Gespräch war er schon im Vorfeld scharf kritisiert worden. Der Vorwurf lautete, durch dieses Gesprächsangebot verharmlose er die Neonazis.